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LATEINAMERIKA/2286: Micheletti treibt weiter sein verschlagenes Spiel (SB)


Vordringlichstes Ziel des Regimes bleibt die Eindämmung des Widerstands


Am 29. November soll in Honduras ein neuer Präsident gewählt werden. Weder der gestürzte Staatschef Manuel Zelaya, dem die Verfassung eine zweite Amtszeit verbietet, noch der sogenannte Interimspräsident Roberto Micheletti kandidieren bei diesem Urnengang. Das Kalkül der Putschisten, mit dieser Wahl endgültig vollendete Tatsachen zu schaffen und die von Zelaya eingeleitete Reform der honduranischen Gesellschaft nachhaltig auszubremsen, scheint nicht aufzugehen. Zelaya hat mit seiner Rückkehr nach Tegucigalpa, wo ihm die brasilianische Botschaft Schutz gewährt, eine Offensive eingeleitet, auf die das Regime mit wachsender Repression reagiert. Um die Bewegung des Widerstands in Schach zu halten, verhängte Micheletti per Dekret für die Dauer von 45 Tagen den Ausnahmezustand. Als sich das Parlament jedoch weigerte, diese Zwangsmaßnahme zu billigen, sah sich die Führungsfigur der Putschisten zu einem Rückzieher genötigt.

Die Widersprüche im Lager der Unterstützer des Staatsstreichs sind darauf zurückzuführen, daß man um die internationale Anerkennung der Präsidentschaftswahl fürchtet. Da der Ausnahmezustand erst zwei Wochen vor dem Urnengang geendet hätte, drohte selbst die US-Regierung, sie werde unter diesen Umständen das Wahlergebnis kaum für legitim erachten. Micheletti kehrte einmal mehr zu seiner erprobten Hinhaltetaktik zurück, die zwischen aggressiven Vorstößen und vorgeblicher Gesprächsbereitschaft pendelt. Er entschuldigte sich bei seinen Landsleuten und versprach, auf den Obersten Gerichtshof einzuwirken, damit der Ausnahmezustand so bald wie möglich beendet werden könne. Diese nebulöse Formulierung deutete bereits an, daß es sich um eine weitere Finte handelte.

Obgleich seither eine Woche vergangen ist, sorgen die Sicherheitskräfte nach wie vor dafür, daß sich der Widerstand nicht in der Öffentlichkeit formiert. Die Menschen daran zu hindern, für die Wiedereinsetzung Zelayas auf die Straße zu gehen, ist das vordringliche taktische Ziel der Putschisten, die bestrebt sind, die sogenannte Verhandlungslösung des Konflikts in die Sphäre immer neuer Vermittlungspersonen und -gremien zu verlagern, wo sie sich ohne Gefahr für die herrschenden Verhältnisse verzögern und regulieren läßt.

Die vergangene Woche hatte mit der Schließung zweier Sender begonnen, die mit dem gestürzten Präsidenten sympathisieren. Demonstrationen und Kundgebungen wurden verboten und im Ansatz eingedämmt. Mitte der Woche entfernte man 55 Bauern gewaltsam aus dem Nationalen Agrarinstitut, das sie seit der Vertreibung Zelayas am 28. Juni besetzt gehalten hatten, wobei man die meisten festnahm. [1] In der 25 Kilometer nördlich der Hauptstadt Tegucigalpa liegenden größten Haftanstalt des Landes, der Penitencia Nacional, sind 38 von ihnen aus Protest gegen ihre Inhaftierung in einen Hungerstreik getreten. Neben ihrer Freilassung forderten sie eine Rückkehr Zelayas ins Amt sowie eine Anerkennung ihrer Landrechte. [2] Als sich am Freitag rund 200 Demonstranten vor der US-Botschaft in Tegucigalpa versammelten, wurden sie einem Bericht der Zeitung "El Heraldo" zufolge von 300 Polizisten und Soldaten in Schach gehalten.

Micheletti beriet sich unterdessen weiter mit dem Obersten Gerichtshof und seinem Kabinett, ohne eine Erklärung abzugeben, warum die volle Wiederherstellung der Bürgerrechte so lange dauert. Am Donnerstag wiederholte er lediglich seine Behauptung vom Montag, das Dekret werde so bald wie möglich aufgehoben. Offensichtlich will die harte Fraktion der Putschisten sichergehen, daß die Verbindungswege und Kommunikationsmöglichkeiten des Widerstands zerschlagen werden. Micheletti berichtete von einem geheimen Treffen mit OAS-Präsident José Miguel Insulza am vergangenen Dienstag auf einer US-Militärbasis nördlich der Hauptstadt Tegucigalpa. Insulza bestätigte dies mit dem Hinweis, dieses Treffen habe der Förderung des Dialogs zwischen den Konfliktparteien gedient.

Am kommenden Donnerstag will eine Gruppe lateinamerikanischer Außenminister nach Honduras reisen, um die Verhandlungen unter internationaler Vermittlung wiederaufzunehmen. Seit einigen Tagen halten sich Mitarbeiter der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Tegucigalpa auf, um einen für Mittwoch geplanten Besuch von OAS-Generalsekretär Insulza vorzubereiten. Inzwischen kann man sich kaum noch daran erinnern, wieviele Anläufe zu einer Vermittlung unternommen und von der Putschregierung sabotiert worden sind. Dies gilt auch für die Vorgeschichte der jüngsten Mission, da die Delegation der OAS dreimal ein- und wieder ausgeladen wurde, wobei niemand weiß, ob es tatsächlich zur Einreise Insulzas und der Außenminister kommen wird.

Während Micheletti noch immer behauptet, die Lage in Honduras beeinträchtige die Transparenz der geplanten Präsidentschaftswahl nicht, spricht die Repression eine andere Sprache. Zelaya hatte am vergangenen Dienstag die Zahl der seit dem Putsch durch das Regime ermordeten Menschen gegenüber dem Fernsehsender TeleSur auf mindestens 100 geschätzt und zugleich die Vereinten Nationen aufgefordert, ihre Boykottmaßnahmen gegen die Putschisten zu verstärken. Augenzeugenberichten zufolge wurde die brasilianische Botschaft von riesigen Lautsprechern mit unerträglichem Lärm beschallt, und die Balagerer leiteten giftige Gase ins Gebäude ein, das Atembeschwerden und Hautausausschlag hervorrruft. [3]

Wie Manuel Zelaya in einem Telefonat aus der brasilianischen Botschaft in Tegucigalpa der Deutschen Presse-Agentur mitgeteilt hat, betrachte er die Novemberwahl unter den Bedingungen der Diktatur als Betrug. Er werde die Präsidentschaftswahl nur anerkennen, sofern er zuvor wieder in das Amt des Staatschefs eingesetzt worden ist. Er sei Demokrat und glaube an Wahlen, sagte Zelaya, dessen Amtszeit im Januar 2010 endet. Es herrsche jedoch ein Regime der Unterdrückung, in dem oppositionelle Medien abgeschaltet und Grundrechte außer Kraft gesetzt sind. [4]

Wenn Micheletti von einem Dialog spreche, sei das unaufrichtig, da man viele Leute daran hindere, in die Botschaft zu gelangen. Das Militär habe einen Belagerungsring um das Grundstück gezogen. Dennoch sei der Widerstand gegen die Unterdrückung keineswegs ermüdet und werde ungeachtet des Ausnahmezustands Tag für Tag fortgesetzt. Nun komme es darauf an, die errungenen Werte zu verteidigen, wofür er jede Beleidigung zu ertragen bereit sei. Wie Zelaya unterstrich, liege ihm vor allem daran, eine verfassunggebende Versammlung einzuberufen. Bei seiner Rückkehr gehe es nicht um das Amt, sondern um die Verurteilung des Putsches, damit sich so etwas nicht wiederholen kann. Der Wille des honduranischen Volkes, der sich in der Verfassung niederschlägt, müsse respektiert werden.

Der Sondergesandte der OAS, John Biehl, der sich in der honduranischen Hauptstadt aufhält, teilte mit, daß beide Seiten ihre Bereitschaft zu Gesprächen über die Krise bekundet hätten. Micheletti bestätigte, daß es erste Gespräche mit Anhängern Zelayas gebe. Zu den einheimischen Vermittlern, die den Belagerungsring um die brasilianische Botschaft passieren durften, gehörte der Hilfsbischof von Tegucigalpa, Juan José Pineda, der mehrfach zwischen Zelaya und Micheletti hin und her pendelte.

Was die Putschisten zuversichtlich stimmt, sind aufmunternde Besuche wie die einer Delegation republikanischer Mitglieder des US-Kongresses, die ihnen den Rücken stärken. Senator Jim DeMint aus South Carolina erklärte, Zelayas Entmachtung als Putsch zu bezeichnen, entspringe mangelnder Information und entbehre jeder Grundlage. Die Gäste trafen mit Micheletti zusammen, der ihnen versprach, der Ausnahmezustand werde am heutigen Montag aufgehoben. Außerdem will die Delegation mit Mitgliedern des Obersten Gerichtshofs und einigen Präsidentschaftskandidaten sprechen. [5]

Die Gruppe um Jim DeMint, die ihren Besuch als privat bezeichnete, sieht in den Putschisten ein Bollwerk gegen den Linksruck in Lateinamerika und gegen den Einfluß des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Die reaktionären US-Politiker stellten sich damit in Gegensatz zur offiziellen Politik der Regierung in Washington, die eine Wiedereinsetzung Zelayas verlangt und eine Reihe von Sanktionen gegen das Regime in Tegucigalpa verhängt hat. Allerdings sah die Obama-Administration von wirksamen Druckmitteln ab und signalisierte den Putschisten damit, daß sie durchaus den strategischen Interessen Washingtons dienen, auch wenn dies nicht offen zum Ausdruck gebracht werden kann. Kommen Besucher vom Schlage Jim DeMints hinzu, muß das Regime in Honduras um so mehr davon ausgehen, im Sinne der Hegemonialmacht zu handeln.

Anmerkungen:

[1] A Promise to Restore Civil Liberties Is Slow to Become Reality in Honduras (03.10.09)
New York Times

[2] Honduras: Anhänger von Zelaya im Hungerstreik (05.10.2009)
junge Welt

[3] 100 Tage Widerstand (05.10.2009)

junge Welt

[4] Zelaya: Wahlen nur unter Bedingungen (04.10.09)
http://www.greenpeace- magazin.de/index.php?id=55&tx_ttnews%5Btt_news%5D=63185&tx_ttnews%5BbackPid%5D=23&cHash=9e9e2406f0

[5] Dialog in Honduras: Micheletti trifft mit konservativen US- Abgeordneten zusammen (04.10.09)
http://www.net-tribune.de/nt/node/11829/news/Dialog-in-Honduras- Micheletti-trifft-mit-konservativen-US-Abgeordneten-zusammen

5. Oktober 2009