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LATEINAMERIKA/2288: Putschisten pokern um Pseudokompromiß auf niedrigstem Niveau (SB)


Machtkampf in Honduras radikalisiert auch den Widerstand


Der Putsch in Honduras folgt dem Muster vorangegangener Staatsstreiche in Venezuela und Haiti, bei denen nationale Eliten mit Rückendeckung Washingtons demokratisch gewählte Präsidenten und deren Regierungen zu Fall bringen wollten, um deren Gesellschaftsentwürfe zu beseitigen. Was unter den jeweils besonderen Bedingungen in Caracas scheiterte, in Port-au-Prince gelang und in Tegucigalpa offen ist, weist zwar Unterschiede in der Durchführung auf, bei denen es sich jedoch um Modifikationen im taktischen Bereich handelt, die nichts an der verbindenden strategischen Ausrichtung ändern.

Daß Washington die von Manuel Zelaya eingeschlagene Annäherung an das Entwicklungsmodell des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und seiner Verbündeten in Honduras verhindern will, steht ebenso außer Frage wie das gleichlautende Interesse der im Putschregime paktierenden Fraktionen der honduranischen Führungsschichten. Die Präsidentschaft Barack Obamas hat eine veränderte Lateinamerikapolitik in Aussicht gestellt, die darauf hinausläuft, dieselben Ziele mit geschmeidigeren Manövern als in der Ära George W. Bushs zu erreichen, dessen brachiale Herangehensweise wachsenden Widerstand hervorrief. Daher gewährt man den Putschisten Rückendeckung in mehr oder minder verschleierter Form, die insbesondere die verhängten Sanktionen unter dem Niveau hält, das zum sofortigen Scheitern des Umsturzes führen würde.

Das Regime in Tegucigalpa verfolgt das Ziel, Manuel Zelaya als Kondensationskern der Reformbestrebungen auszuschalten und zugleich die von ihm beflügelte Bewegung in der Gesellschaft auszuhebeln. Der eigentümliche Schlingerkurs der Putschisten, die fortgesetzt zwischen Eskalation und angeblichem Einlenken pendeln, resultiert aus dem Bestreben, Zelaya und den Widerstand solange zu neutralisieren, bis sich deren Dynamik erschöpft und mangels greifbarer politischer Strukturen zerstreut hat. Verhindert werden soll insbesondere eine verfassunggebende Versammlung, in der Repräsentanten einer Mehrheit der honduranischen Gesellschaft deren Parameter verändern und damit die bestehenden Herrschaftsverhältnisse in Frage stellen könnten. Ausschalten will man einen handlungsfähigen Präsidenten Zelaya, der in den schwindenden Wochen der ihm verbliebenen Amtszeit Impulse geben könnte, die über das Ende seiner Legislatur hinaus Früchte tragen und den von ihm begonnenen Prozeß fortzuführen geeignet sind.

Den Putschisten ging es nicht darum, ein Regime wie etwa eine Militärjunta dauerhaft zu installieren, um auf Jahre hinaus diktatorisch zu regieren. Ihr ursprünglicher Plan sah vielmehr vor, bis zu den Wahlen im November die Kontrolle zu behalten, um nach der Kür eines herrschaftskonformen Nachfolgers zur Normalität vormaliger Verhältnisse zurückzukehren. Ihre Hoffnung, das Problem Zelaya werde sich dank geschickten Nachhelfens in dieser überschaubaren Frist gewissermaßen von selbst erledigen, ist jedoch gescheitert. Der Präsident blieb hartnäckiger als erwartet, der Widerstand entschlossener als eingeschätzt und die internationale Unterstützung des demokratisch gewählten Staatschefs zumindest in Teilen energischer als von den Putschisten angenommen.

Daß der sogenannte Übergangspräsident Roberto Micheletti dieser Tage wieder einmal Kreide gefressen zu haben scheint und plötzlich seine Bereitschaft zu Konzessionen andeutet, die er noch vor kurzem vehement ausgeschlossen hat, spiegelt zum einen die heraufziehende Krise des Regimes wider, das in seine Fraktionen zu zerfallen scheint. Andererseits bleibt Micheletti dabei seiner perfiden Taktik des geordneten Rückzugs treu, die mit der Behauptung begann, es habe nie ein Putsch stattgefunden, und mit dem Schlußstrich der Novemberwahl enden sollte. Geschlagen geben sich die Umstürzler noch lange nicht, die zweifellos darauf spekulieren, mit ihrer Unbeugsamkeit eine Situation herbeizuführen, in der ein vorgeblicher Kompromiß zu Lasten Zelayas und des Widerstands als Beilegung der Krise gefeiert wird.

Folglich pokert Micheletti derzeit mit Andeutungen, die Verschleppung Zelayas nach Costa Rica sei ein Fehler gewesen, für den die von ihm nicht näher bezeichneten Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müßten. Auch will er erstmals eine Rückkehr Zelayas in sein Amt nicht mehr ausschließen, doch dürfe diese erst nach der für den 29. November vorgesehenen Präsidentschaftswahl erfolgen. Zelaya blieben dann nur noch wenige Wochen, bis er das Amt im Februar 2010 an einen unter Kontrolle der Putschisten gekürten Nachfolger übergeben muß.

Als äußeres Zeichen des Einlenkens hob das Regime den Ausnahmezustand wieder auf und erfüllte damit eine der wichtigsten Forderungen, von deren Erfüllung Zelaya die Aufnahme von Verhandlungen abhängig gemacht hatte. [1] Der Frieden im Land sei wiederhergestellt, der Notstandserlaß daher nicht länger nötig. Man wolle zur Normalität zurückkehren, wendete Micheletti sein Leitmotiv auf die aktuelle Situation an. Er hatte per Dekret die Presse- und Versammlungsfreiheit außer Kraft gesetzt und die Polizei ermächtigt, Festnahmen ohne Haftbefehl vorzunehmen. Daraufhin wurden zahlreiche Personen verhaftet, zwei Sender aus dem Lager Manuel Zelayas geschlossen und Demonstrationen durch massiven Aufmarsch der Sicherheitskräfte verhindert. [2]

Da es gelungen war, die Anhänger Zelayas weitgehend von der Straße fernzuhalten und insbesondere den Zusammenschluß mit dem Präsidenten in der belagerten brasilianischen Botschaft zu verhindern, war der unmittelbare Zweck des Ausnahmezustands erfüllt. Vor allem aber hatte das Parlament Micheletti überraschend die Zustimmung verweigert, da im Lager der Putschisten die Befürchtung um sich greift, die Legitimation der Novemberwahl könnte nachhaltig Schaden nehmen. Würde das Wahlergebnis international nicht anerkannt, wäre der Zeitplan der Putschisten Schall und Rauch, ja der Ausgang ihres Abenteuers völlig ungewiß.

Mit welcher Brutalität das Regime unterdessen zur Sache geht, dokumentieren die mindestens 17 Toten seit dem Putsch am 28. Juni, wobei die mutmaßliche Opferzahl deutlich höher liegt. Etliche Personen gelten als verschwunden, zahlreiche Menschen wurden verhaftet, noch mehr von den Sicherheitskräften mißhandelt und massiv in ihren Rechten eingeschränkt. Menschenrechtsgruppen zufolge hat diese Repression seit der Rückkehr Zelayas am 21. September noch einmal sprunghaft zugenommen, wobei die Tage des Ausnahmezustands weidlich ausgenutzt wurden, um Anführer des Widerstands gezielt herauszugreifen, dessen Strukturen zu zerschlagen und die Anhänger des Präsidenten einzuschüchtern. [3]

Heute werden neben OAS-Generalsekretär José Miguel Insulza hochrangige Vertreter aus zehn Ländern in Tegucigalpa erwartet, darunter die Außenminister von Costa Rica, Mexiko, Argentinien, Jamaika und Panama sowie Staatssekretäre aus Kanada und Spanien. In diese Delegation werden hohe Erwartungen gesetzt, die bis hin zu einer Lösung der Krise reichen. [4] Wahrscheinlicher ist jedoch eine fortgesetzte Verzögerungstaktik des Regimes, das mit Sicherheit keiner Vereinbarung zustimmen wird, die seine fundamentalen Ziele gefährden könnten. Schon der Vermittlungsvorschlag des costaricanischen Staatschefs Oscar Arias, den die Putschisten ablehnten, kam einer Kapitulation Zelayas gleich. Ihm sollten in einer sogenannten Einheitsregierung unter Beteiligung seiner Gegner die Hände gebunden werden, wie man auch die Durchführung einer verfassunggebenden Versammlung ausschloß. Was immer dieser Tage als angeblicher Kompromiß verhandelt oder womöglich gar beschlossen wird, dürfte selbst hinter das inakzeptable Abkommen von San José zurückfallen.

In einer vor wenigen Tagen verbreiteten Erklärung halten die in der Nationalen Widerstandsfront zusammengeschlossenen Gewerkschaften und Organisationen an ihrer Forderung nach einer bedingungslosen Wiedereinsetzung Manuel Zelayas in sein Amt wie auch der Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung fest. Während die Putschisten das Niveau des für sie Verhandelbaren immer niedriger gedrückt haben, hat sich der Widerstand formiert und radikalisiert. In diesem Konflikt sind die gesellschaftlichen Widersprüche inzwischen scharf hervorgetreten, was darauf schließen läßt, daß das Regime und seine klammheimlichen Hintermänner in ein Wespennest gestochen haben.

Anmerkungen:

[1] Der Diktator knickt ein. In Honduras wackelt das Regime der Putschisten. Internationale Vermittlung beginnt (07.10.09)
junge Welt

[2] "Wir wollen zur Normalität zurückkehren". Bürgerrechte in Honduras sollen wieder gelten (06.10.09)
NZZ online

[3] Honduran Security Forces Accused of Abuse (06.10.09)
New York Times

[4] Morde vor Verhandlungen (06.10.09)

junge Welt

7. Oktober 2009