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LATEINAMERIKA/2305: Obama-Faktor fährt in Tegucigalpa seine machiavellistische Ernte ein (SB)


Thomas Shannons Abkommen lockt Zelaya in die Falle


Der gestürzte honduranische Staatschef Manuel Zelaya hat in einer persönlichen Erklärung unterstrichen, daß das Amt des Präsidenten der Republik, den das Volk verfassungsgemäß für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt hat, nicht zur Diskussion steht. Jede Interpretation des jüngst geschlossenen Abkommens außerhalb dieses Kontextes sei daher inakzeptabel und käme einem erneuten Affront gegen das honduranische Volk und die internationale Gemeinschaft gleich. Mit dieser Warnung bezog sich Zelaya auf den offenkundigen Versuch der Putschisten und ihrer Unterstützer in Washington, ihn mit dem Abkommen endgültig auszubooten und die Wahlen ohne seine Rückkehr ins Amt abzuhalten.

Nach Auffassung des einzig legitimen Präsidenten von Honduras verletzt die derzeit zutage tretende Haltung der US-Administration das von ihrem Vertreter Thomas Shannon ausgehandelte Abkommen, sofern sie die für den 29. November vorgesehenen Wahlen anerkennt, obgleich das Regime noch immer am Ruder ist. Zelaya forderte US-Außenministerin Hillary Clinton in einem Schreiben auf, dem honduranischen Volk zu erklären, ob sich die Haltung ihres Landes geändert hat. [1]

Er bezieht sich dabei auf den Widerspruch, daß sich die US-Regierung einerseits für seine Wiedereinsetzung stark gemacht hat, jüngsten Aussagen zufolge die Präsidentschaftswahl jedoch auch dann anerkennen will, wenn er nicht zuvor ins Amt zurückgekehrt ist. Shannon hatte den Sender CNN en Español wissen lassen, daß die USA den Urnengang selbst dann für legitim erachten würden, wenn sich das Parlament gegen eine Wiedereinsetzung Zelayas entscheiden sollte. [2]

Die Administration in Washington treibt weiter ihr doppelzüngiges Spiel, sich vorgeblich der weithin erhobenen Forderung nach der Rückkehr Zelayas ins Amt anzuschließen, jedoch de facto seine endgültige Entmachtung zu betreiben. Mit dem bezeichnenderweise unter ihrer Vermittlung ausgehandelten Abkommen hat sie dem honduranischen Präsidenten und seinen Anhängern eine Falle gestellt und ist ihrem Ziel einen großen Schritt näher gekommen.

Die Putschisten gebärden sich denn auch, als hätten sie die Lage vollständig unter Kontrolle. Roberto Micheletti forderte Zelaya schriftlich dazu auf, zehn Personen zu benennen, aus denen er jene "Diener der Öffentlichkeit" auswählen werde, die ab dem 6. November der Regierung der nationalen Einheit und Versöhnung angehören sollen. Demnach hat Micheletti keineswegs vor, den okkupierten Sessel zu räumen, sondern will selbst der im Abkommen vereinbarten Übergangsregierung vorstehen.

Zwar hat die zur Überprüfung der Einhaltung des Abkommens gebildete Kommission inzwischen ihre Arbeit aufgenommen, doch sind erhebliche Zweifel angebracht, ob sie auf die umgehende Wiedereinsetzung Zelayas dringen wird. Dem Gremium gehören der frühere chilenische Präsident Ricardo Lagos, US-Arbeitsministerin Hilda Solis, als Vertreter Michelettis Arturo Corrales und Jorge Arturo Reina als Repräsentant Zelayas an. Diese Zusammensetzung läßt befürchten, daß sich Zelaya mit seinen Interessen von vornherein in der Minderheit befindet. Sollte die Kommission jedoch wider Erwarten konsequent und zügig zur Tat schreiten, hat sie dennoch wenig Einfluß auf die Verzögerungstaktik der Putschisten.

Wie sich zeigt, haben die Anhänger Zelayas nach dem vermeintlichen Durchbruch des Abkommens zu früh die Sektkorken knallen lassen, da seine Rückkehr ins Amt weder binnen weniger Tage erfolgen wird noch ein Selbstgänger ist. Ob des gelungenen Coups die Hände reiben kann sich bislang nur die Gegenseite. Der Präsident geht geschwächt aus der veränderten Situation hervor, da seine Wiedereinsetzung nicht uneingeschränkt vereinbart worden ist. Diese von der Zustimmung des Parlaments abhängig zu machen, lieferte Zelaya den Manövern seiner Widersacher aus, die nun die Einberufung der erforderlichen Parlamentssitzung verzögern. Sie haben bereits erklärt, die Abgeordneten könnten erst gegen Ende des Monats erneut zusammenkommen. Sie befänden sich derzeit in den Parlamentsferien oder hätten mit der Vorbereitung der Wahlen alle Hände voll zu tun. Da in dem Abkommen kein Termin für die Beschlußfassung des Parlaments festgesetzt wurde, hat man Zelaya de facto über den Tisch gezogen.

Entscheidend für die US-Regierung und das Regime in Tegucigalpa ist derzeit vor allem, daß die Novemberwahlen international anerkannt werden. Würde die Obama-Administration dies im Alleingang mit den Putschisten durchziehen, wäre der Kredit verspielt, den sie mit ihrer scheinheiligen Verurteilung des Staatsstreichs erwirtschaftet hat. Thomas Shannon hat einem Abkommen zur Durchsetzung verholfen, das hinter den Stand des ursprünglich vom costaricanischen Präsidenten und Friedensnobelpreisträger Oscar Arias vorgelegten Vermittlungsvorschlags zurückfällt. Die auf den ersten Blick erstaunliche Bereitwilligkeit der Putschisten, entgegen ihrer vier Monate währenden Zurückweisung jedes Vorschlags und Gesprächsansatzes Shannons Initiative sofort zuzustimmen, ist durchaus verständlich, wenn man berücksichtigt, daß die nun getroffene Vereinbarung zwei Fliegen mit einer Klappe für das Regime zu schlagen verspricht, nämlich die Anerkennung der Wahlen auch ohne die Wiedereinsetzung Zelayas.

Manuel Zelaya läuft somit mehr denn je die Zeit davon. Die fatale Neigung vieler Honduraner und ausländischen Regierungen, mit der Wahl endlich einen Schlußstrich unter das leidige Kapitel des Putsches zu ziehen, spielt seinen Gegnern in die Hände. Er sitzt noch immer in der brasilianischen Botschaft fest, da seine Festnahme unter den diversen konstruierten Vorwürfen keineswegs ausgeschlossen ist. Ihm bleibt als vorerst letztes diplomatisches Mittel, die Einheitsregierung nicht anzuerkennen, sofern er nicht zugleich ins Amt zurückkehren kann.

Möglicherweise lassen sich die Regierungen, die bislang eben diese Forderung erhoben haben, das Täuschungsmanöver nicht bieten und versagen einer Wahl ohne Zelayas Rückkehr ihre Anerkennung. Vielleicht zieht es sogar die US-Regierung nach einer Sondierung der Lage und Optionen vor, die Putschisten doch noch eine Kröte schlucken zu lassen, da man Zelaya in einer von seinen Gegnern dominierten Einheitsregierung für vollständig neutralisiert hält.

Bislang hat der entmachtete Staatschef seine Anhänger zwar des öfteren zur Protestaktionen auf die Straße gerufen, sie jedoch eher vor einer Konfrontation mit den Sicherheitskräften gewarnt und abgehalten. Wo dies nicht ausreichte, sorgten die Putschisten durch massive Einschüchterung und Repression dafür, daß die Widerstandsbewegung nie zu einer gewaltigen Woge anwuchs, die das Regime wegfegte. Der verhängnisvolle Obama-Faktor, nämlich der neuen US-Regierung weitaus mehr Kredit zu geben als der alten und ihr andere Absichten zu unterstellen, solange das Gegenteil nicht restlos bewiesen ist, droht in Honduras seine machiavellistische Ernte einzufahren.

Anmerkungen:

[1] Putschisten wollen dranbleiben. Honduras: Micheletti will "Regierung der nationalen Einheit" kontrollieren (05.11.09)
junge Welt

[2] Honduras: Ousted Leader Questions U.S. Policy (04.11.09)
New York Times

[3] Did Honduras deal weaken Zelaya? (03.11.09)

http://www.csmonitor.com/2009/1104/p06s04-woam.html

5. November 2009