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LATEINAMERIKA/2311: Kriegstreiber bezichtigen Chávez der Provokation (SB)


Wer vor Kriegsgefahr warnt, wird als Bedrohung diffamiert


Schuld hat wie immer Hugo Chávez: "Venezuelas Präsident Chávez spricht von Krieg", berichtete die "Tagesschau". "Präsident Chávez ruft zu Kriegsvorbereitungen auf", meinte das "Hamburger Abendblatt". "Wirbel um Chávez-Drohung gegenüber Kolumbien", wußte die "Süddeutsche Zeitung" (alle am 09.11.09) zu berichten. Was blieb Kolumbien anderes übrig, als sich zu verteidigen? Die kolumbianische Regierung habe wegen der kriegslüsternen Aussagen von Venezuelas Staatschef Hugo Chávez den UN-Sicherheitsrat angerufen, meldete AFP tags darauf. [1] Nach Angaben des Außenministeriums in Bogotá hatte die kolumbianische UNO-Vertretung dem Sicherheitsrat ein diplomatisches Schreiben zukommen lassen, in dem man sich gegen die Drohung von venezolanischer Seite verwahrte und hervorhob, daß Kolumbien nie eine feindliche Geste gegenüber der internationalen Gemeinschaft und den Nachbarländern gezeigt habe und dies auch künftig nicht tun werde.

Zwar unterließ es die Nachrichtenagentur nicht hinzuzufügen, daß sich Chávez noch einmal zu dieser Kontroverse geäußert hatte, doch setzte sie ihn mit der Wortwahl erneut ins Unrecht: Der venezolanische Präsident habe beteuert, daß er keinen Konflikt heraufbeschwören wollte. So beschreibt man einen Menschen, der erst zündelt und es hinterher nicht gewesen sein will. Chávez der Populist, Chávez der Brandredner und nun auch noch Chávez der Kriegstreiber, schlägt die bürgerliche Presse unablässig auf den Eckstein ein, um das im Aufbau befindliche Gebäude namens "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" zum Einsturz zu bringen.

Bedroht der venezolanische Staatschef das Nachbarland, wenn er dessen Militärabkommen mit den Vereinigten Staaten zum Anlaß nimmt, vor künftigen Kriegen zu warnen und seine Landsleute zur Wachsamkeit aufzurufen? Ist es nicht seine Pflicht als höchster politischer Repräsentant Venezuelas, eine Entwicklung in aller Deutlichkeit beim Namen zu nennen und zu kritisieren, welche die gesamte Region in einen militärischen Konflikt zu stürzen droht? Indem man ihn als leichtfertigen Narren, wenn nicht gar kriegslüsternen Provokateur bezichtigt, rechtfertigt man die massiv verstärkte Präsenz der US-Streitkräfte in Kolumbien und stellt die Verhältnisse auf den Kopf: Nicht Washington und Bogotá treiben die Militarisierung und Kriegsgefahr voran, sondern Chávez, weil er dies eindringlich anprangert und in seinen Konsequenzen ausmalt.

Der Verschleierung dienen sich auch jene Kommentatoren an, welche die Äußerungen des venezolanischen Staatschefs als durchsichtiges Manöver diskreditieren, von Problemen im eigenen Land abzulenken. Sofern auch Venezuela angesichts der weltweiten kapitalistischen Verwertungskrise mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat, sind diese weder ein geeigneter Anlaß zu Häme und Schadenfreude, noch grundsätzlich anderer Natur als die gewaltigen Verwerfungen in den führenden Industriestaaten, deren Vorherrschaft im Raubgefüge diese Prozesse maßgeblich beschleunigt hat. Zudem führen die USA und ihre europäischen Verbündeten Krieg nicht nur am Hindukusch, während Venezuela weder Truppen jenseits seiner Grenzen stationiert, noch fremde Länder besetzt hat. Wer also allen Ernstes behauptet, da wolle jemand von seinen Problemen zu Hause ablenken, müßte er sich konsequenterweise zuerst und vor allem Washington, Brüssel und den anderen Hauptstädten Europas zuwenden.

Übertreibt Chávez maßlos, wie andere Kritiker unterstellen? Schenkt man den treuherzigen Angaben aus US-amerikanischen und kolumbianischen Regierungskreisen Glauben, soll die erweiterte Nutzung von mindestens sieben Stützpunkten durch die US-Streitkräfte in Kolumbien, wie sie am 30. Oktober durch die Unterzeichnung eines entsprechenden Abkommens besiegelt wurde, dem Kampf gegen "Drogenhandel und Terrorismus" im Inland geschuldet sein. Weder werde die bestehende Obergrenze der stationierten US-Soldaten und Militärdienstleister erhöht, noch etwas anderes getan, als bislang unter dem Plan Colombia. Warum schleuste Präsident Alvaro Uribe dann den Vertragsentwurf am Parlament vorbei? Warum wurde der Inhalt zunächst geheimgehalten?

War Kolumbien ohnehin schon der engste Verbündete Washingtons in dieser Weltregion, so kommt das nun geschlossene Abkommen einer vollständigen Überantwortung an die Militärmacht USA gleich. Der "Zusatzvertrag über die Zusammenarbeit und technische Hilfe im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich zwischen den Regierungen der Vereinigten Staaten und Kolumbiens" sieht über die bereits zuvor bekannten Fakten hinaus vor, auch die Zivilflughäfen und jede andere Einrichtung, die den US-Streitkräften nützlich sein könnte, bei Bedarf in deren Hände zu geben. Den US-Militärs steht zudem der funktechnische Raum zur Verfügung, wie ihnen auch außerordentliche Privilegien wie uneingeschränkte Straffreiheit in Kolumbien gewährt werden. Und selbstverständlich kann die Anzahl der stationierten Soldaten auf Antrag der USA ohne jede Beschränkung erhöht werden. Fast erübrigt es sich zu erwähnen, daß die Flugzeugträger und Kriegsschiffe, welche die beiden zugestandenen Flottenstützpunkte an der Karibikküste besuchen werden, soviel Besatzungsmitglieder an Bord haben dürfen, wie sie wollen. Dieser Vertrag wird jeweils um zehn Jahre verlängert, und niemand kann ihn bis zum Ablauf der jeweiligen Frist ändern, wobei eine Änderung ein Jahr im voraus angekündigt werden müßte. [2]

Die Regierung habe den USA die nationale Souveränität übergeben, geißelte die liberale Senatorin Cecilia López in Bogotá das Abkommen. Senator Enrique Robledo von der Linkspartei Demokratischer Alternativer Pol sprach von einer "der schlimmsten Entscheidungen in der Geschichte Kolumbiens. Sie verwandelt das Land in einen Bauern innerhalb der US-Strategie, die Welt zu kontrollieren". Sein Parteifreund Carlos Romero verurteilte den Vertrag als ein "juristisch und politisch monströses Abkommen".

In einem bereits am 13. Oktober veröffentlichten Gutachten hatte der Staatsrat als oberste Verwaltungskontrollinstanz des Landes das Abkommen als "unausgewogen" eingestuft. "Die USA bestimmen und Kolumbien ist nur ein Mitarbeiter", hieß es dort. Die für das US-Personal vorgesehene Immunität verstoße gegen völkerrechtliche Normen und die uneingeschränkte und kostenlose Verfügung der US-Militärs über das Kommunikationsnetz und die Installation von Satellitenempfängern sei schlicht verfassungswidrig. [3]

Solche Einwände stören die Machthaber in Washington und Bogotá jedoch nicht im geringsten, wie sie auch die Befürchtungen Venezuelas, Ecuadors und Boliviens oder die Vorbehalte des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva in Kauf nehmen, der das Amazonasgebiet in Gefahr sieht. Wie es in einer Vorlage des Pentagons für den Kongreß heißt, sei die Option, die kolumbianische Luftwaffenbasis Palanquero zu nutzen, eine "einzigartige Möglichkeit", Operationen in einer "kritischen Region" durchzuführen, deren "Sicherheit und Stabilität ständig durch Anti-US-Regierungen bedroht sind".

Anmerkungen:

[1] Kolumbien ruft wegen venezolanischer Kriegsdrohungen UNO an (10.11.09)
http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5jHB7AAAb8u_GFka_1_jykVXH234g

[2] "Die Annexion Kolumbiens durch die USA" (10.11.09)
junge Welt

[3] Militärabkommen gegen Linksregierungen (02.11.09)
Neues Deutschland

13. November 2009