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LATEINAMERIKA/2318: Friedhofsruhe soll Wahlfarce in Honduras legitimieren (SB)


Putschisten wollen Schlußstrich unter das Kapitel Zelaya ziehen


Mit der Präsidentschaftswahl am 29. November hofft das Regime in Honduras, die Ernte des Putsches endgültig einzufahren. Der neue Staatschef wird ein Kandidat der Eliten sein und soll nach dem Intermezzo des gewaltsam entmachteten Manuel Zelaya die Wiederherstellung der traditionellen Herrschaftsverhältnisse gewährleisten. Sollte es dem Regime gelingen, die Wahlfarce erfolgreich über die Bühne zu bringen und internationale Anerkennung des siegreichen Bewerbers zu erwirtschaften, wäre der Putsch auf ganzer Linie erfolgreich verlaufen und gleichsam eine Blaupause für weitere Umsturzversuche in Nicaragua oder anderen Ländern Mittelamerikas.

Wenngleich der Putsch in einem trügerischen Konsens weithin verurteilt und Zelaya als rechtmäßiger Präsident seines Landes angesehen wurde, stehen die Aussichten Roberto Michelettis und seiner Kumpane nicht schlecht, ihre Hinhaltetaktik bis zum Ende durchzutragen und ihr falsches Spiel zu gewinnen. Da sich Manuel Zelaya im Laufe seiner Amtszeit von einem konservativen Großgrundbesitzer zu einem Sympathisanten des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und dessen Verbündeten gemausert hat, trauern ihm all jene Kräfte keine Träne nach, die den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" verteufeln. Den Staatsstreich in Honduras abzulehnen, bedeutete daher in vielen Fällen keineswegs, ernsthaft für Zelaya und sein politisches Vorhaben Partei zu ergreifen.

Wie man mit einer solchen Doppelzüngigkeit nicht nur leben, sondern sogar erfolgreich Regie führen kann, demonstrierte die US-Regierung. Sie schloß sich zwar in ihren offiziellen Verlautbarungen der Forderung nach einer Wiedereinsetzung Zelayas an, doch machte sie von ihren weitaus stärksten Mitteln, diese zu erzwingen, keinen Gebrauch und signalisierte dem Regime in Tegucigalpa auf diese Weise klammheimliche Rückendeckung bei dessen Manövern, den Konter durchzutragen. Im Zuge einer Intervention innovativer Lenkung perfektionierte sie ihre Strategie, den Umsturz in lateinamerikanischen Staaten als vorgeblich innere Angelegenheit des betreffenden Landes mittels eines Stellvertreterregimes zu inszenieren.

Zelayas Ansinnen, zumindest symbolisch noch vor der Wahl wieder ins Amt zurückzukehren, wurde endgültig eine Absage erteilt, als Washington in Aussicht stellte, den Urnengang unter allen Umständen anzuerkennen. Dem legitimen Präsidenten blieb somit nur die Option, sich durch einen Rückzug seiner Funktionalisierung in diesem Komplott zu verweigern und zum Wahlboykott aufzurufen, den auch die radikale Fraktion der Widerstandsbewegung favorisiert. Doch selbst wenn erhebliche Teile der Wählerschaft dem Urnengang fernbleiben sollten, wäre das bestenfalls ein Etappensieg, dessen Bedeutung rasch unter dem Druck schwinden dürfte, den Konflikt für beendet zu erklären und der Rückkehr zur Normalität der Ausbeutungs- und Verfügungsverhältnisse stattzugeben.

Mit dem hoch favorisierten Porfirio Lobo von der Nationalen Partei und Elvin Santos von den Liberalen gehen zwei politische Handlanger der aus zehn Familien bestehenden Führungsschicht ins Rennen, welche die Ökonomie des Landes kontrolliert. "Die Menschen wollen wählen - das müssen wir respektieren", versucht Lobo scheinheilig, seine künftige Präsidentschaft auf dem Vorweg zu legitimieren und als Bedürfnis des Volkes auszugeben. [1] Der reiche Baulöwe Santos, der unter Zelaya zunächst Vizepräsident war, dann aber im Streit mit ihm aus dem Amt schied, hat Umfragen zufolge 15 bis 20 Prozentpunkte Rückstand auf Lobo.

Im drittärmsten Land Lateinamerikas hat ein Drittel der 7,5 Millionen Einwohner weniger als einen Dollar am Tag zur Verfügung. Die Multimillionäre der mächtigen Familien haben fast die gesamte honduranische Wirtschaft unter sich aufgeteilt und beim Staatsstreich gegen Zelaya die Fäden gezogen. Dieser erkannte die Notwendigkeit, in seinem Land etwas zu verändern, und verdoppelte den Mindestlohn, schuf das staatliche Schulfrühstück, gewährte Rentnern, Studenten und Taxifahrern eine regelmäßige Unterstützung und schloß sich dem Wirtschaftsbündnis ALBA an. Schon dieser Ansatz eines Reformprozesses ging den Eliten entschieden zu weit, die der von Zelaya angestrebten partizipativen Demokratie einen Riegel vorschoben. [2]

Putschistenführer Roberto Micheletti bediente sich eines weiteren faulen Tricks, um der Wahl den Anstrich von Legalität zu verleihen, und kündigte an, er werde sich für einige Tage von seinem Amt zurückziehen und den Ministern seines Kabinetts für diesen Zeitraum die Regierungsgewalt übertragen. Sollte es zwischenzeitlich Probleme geben, werde er jedoch seine Amtsgeschäfte sofort wieder aufnehmen und mit Entschlossenheit regieren. Ein Vertreter der US-Regierung begrüßte diesen Schritt des Putschpräsidenten. [3] Wie diese Warnung an die Adresse der Anhänger Zelayas unterstreicht, ist das jüngste Manöver Michelettis eine weitere Farce, da er in der Woche seiner vorgeblichen Abwesenheit jederzeit Gewehr bei Fuß steht, um bei Bedarf von seinen Gewaltmitteln Gebrauch zu machen. Er hat die Wiedereinsetzung Zelayas erfolgreich verhindert und scheint fest entschlossen, bis zur Amtseinführung des nächsten Präsidenten am 27. Januar am Ruder zu bleiben.

Manuel Zelaya hat zuletzt eine Verschiebung des Urnengangs gefordert, da dies eine der Bedingungen dafür sei, die Wahl zu legitimieren und die Rückkehr zum Rechtsstaat, zur verfassungsmäßigen Ordnung und zur internationale Glaubwürdigkeit zu gewährleisten. Während zahlreiche Bewerber wie der unabhängige Vertreter Carlos H. Reyes sowie Mitglieder der Liberalen Partei (PLH) und der linken Demokratischen Vereinigung (UD) ihren Verzicht auf die Kandidatur erklärt haben, steht letztere an einem grundsätzlichen Scheideweg: Nimmt sie an der Wahl teil, legitimiert sie die von den Putschisten kontrollierte Abstimmung und fällt damit der Widerstandsbewegung in den Rücken. Schließt sie sich hingegen dem Boykott an, verliert sie aller Voraussicht nach ihren legalen Status als Partei, da mit einer nachträglichen Annullierung der Wahlen kaum zu rechnen ist. [4]

Um Aktivitäten der Bewegung des Widerstands im Keim zu ersticken, fährt das Regime schweres Geschütz auf. Während die Arbeit der wenigen verbliebenen oppositionellen Sender weiter massiv behindert wird, haben die Streitkräfte Einheiten überall im Land stationiert, die im Vorfeld der Abstimmung und insbesondere am Wahltag Protestaktionen unterdrücken sollen. Wie der Militärchef, General Romeo Vásquez, bestätigt hat, werden 17.000 Soldaten und 14.000 Polizisten aufgeboten, die für die Sicherheit der Wahlen verantwortlich seien.

Für die Putschisten geht es nun vordringlich darum, den nach ihrem Kalkül entscheidenden Streich zu führen und für Friedhofsruhe im Umfeld der Wahl zu sorgen. Einen Urnengang, der ohne nennenswerte Zwischenfälle und ersichtliche Kundgebungen des Widerstands erzwungen wird, soll den Eindruck erwecken, die breite Mehrheit der Honduraner wünsche nichts sehnlicher, als ein auf diesem Wege herbeigeführtes Ende des Konflikts. Dieses Trugbild würde der Obama-Administration eine Steilvorlage liefern, das Wahlergebnis anzuerkennen und in ihrem Schlepptau weitere Länder auf die Seite einer Kontinuität der traditionellen Herrschaft in Honduras zu ziehen. Regieren in Tegucigalpa künftig wieder Statthalter Washingtons, glaubt man die Emanzipationsbewegung Lateinamerikas ausgebremst, wenn nicht gar die langersehnte Trendwende eingeleitet zu haben, die dem Diktat hegemonialer und imperialistischer Einflußnahme auf einer höheren und somit tiefgreifenderen Ebene als in der Vergangenheit Tür und Tor öffnen soll.

Anmerkungen:

[1] Putschisten sitzen Widerstand aus. USA wollen Wahlen in Honduras anerkennen (23.11.09)
http://www.berlinerumschau.com/index.php?set_language=de&cccpage=23112009ArtikelPolitikMarcks1

[2] Putschisten am Ziel (23.11.09)
http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/11664941/492531/Klaus- Ehringfeld-ueber-die-Lage-in-Honduras-eine.html

[3] Interim Leader in Honduras Says He ll Briefly Step Down (20.11.09)
New York Times

[4] Protest gegen Wahlfarce. Honduras: Putschgegner ziehen Kandidatur zurück (21.11.09)
junge Welt

25. November 2009