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LATEINAMERIKA/2361: Verfassungsgericht verhindert dritte Amtszeit Uribes (SB)



Kolumbianischer Autokrat im letzten Augenblick gebremst

Die hochfliegenden Pläne des kolumbianischen Präsidenten und engsten Verbündeten der US-Regierung in Südamerika, Álvaro Uribe, den repressiven Staat und die Militarisierung der Innenpolitik in einer dritten Amtszeit voranzutreiben, sind gescheitert. Drei Monate vor der Präsidentschaftswahl hat sich das Verfassungsgericht überraschend gegen eine erneute Kandidatur gestellt und das vom Parlament beschlossene Referendum für verfassungswidrig erklärt. Damit steht fest, daß Uribe am 7. August die Führung abgeben muß. [1]

Angesichts seiner guten Aussichten, im Falle einer weiteren Bewerbung am 30. Mai wiedergewählt zu werden, hatte er argumentiert, das Volk solle über die Möglichkeit einer dritten Amtszeit entscheiden. Im September verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das eine entsprechende Verfassungsänderung per Referendum möglich macht. Die Richter wiesen dieses Gesetz jedoch zurück. Es würde gegen die Grundprinzipien der Demokratie verstoßen, erklärte Gerichtspräsident Mauricio Gonzales. Gegen das Gesetz votierten sieben der neun Verfassungsrichter, die anderen beiden enthielten sich der Stimme.

Da es Uribe in den letzten Jahren gelungen war, mehrere seiner Anhänger im Obersten Gericht zu plazieren, schienen seinen Ambitionen keine Grenzen gesetzt zu sein. Vor zwei Wochen war jedoch eine ablehnende Empfehlung des Vorsitzenden Richters bekanntgeworden. Möglicherweise rächte sich nun, daß der kolumbianische Geheimdienst DAS mehrere Richter abgehört hat. Seitdem dies im vergangenen Jahr bekanntgeworden war, galt das Verhältnis zwischen Uribe und dem Obersten Gericht als stark angespannt. [2]

Liberale und Linke feierten die Entscheidung des Verfassungsgerichts. "Die Demokratie und die Verfassung sind gerettet", freute sich Rafael Pardo, der Kandidat der Liberalen Partei für die Präsidentenwahl. Sein Rivale Gustavo Petro vom "Demokratisch-Alternativen Pol" sprach von zwei Möglichkeiten: "Entweder wir garantieren wirksam Sicherheit mit sozialer Gerechtigkeit oder Kolumbien bricht wegen der sozialen Kluft auseinander."

In einer Fernsehansprache erklärte der 57jährige Uribe, er respektiere und befolge die Entscheidung des ehrenwerten Verfassungsgerichts. Wie er hinzufügte, habe er allein den Wunsch, Kolumbien bis zu seinem letzten Tag zu dienen. Er sei überzeugt, daß auch der nächste Präsident Sicherheit und Vertrauen garantieren werde.

Die kolumbianische Verfassung gestattete ursprünglich nur eine Amtszeit von vier Jahren. Uribe, der 2002 zum ersten Mal gewählt worden war, konnte dank einer Verfassungsänderung 2006 erneut kandidieren und eine zweite Amtszeit antreten. Damals bediente er sich jedoch keines Referendums, sondern erwirkte im November 2005 die Verfassungsänderung über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Da dieses Votum zunächst keineswegs gesichert war, kam es im Vorfeld zu massiven Manipulationen. So erhielten Abgeordnete wie auch Mitglieder des Obersten Gerichtshofs beträchtliche Geldzahlungen für ihre Zustimmung. Diese Vorgänge konnten gerichtsfest belegt werden, worauf eine konservative Abgeordnete dafür sogar zu einer hohen Haftstrafe verurteilt wurde. Dennoch kam es zu keiner Revision der Verfassungsänderung, weshalb festzuhalten bleibt, daß bereits Uribes erkaufte zweite Amtszeit illegitim war. Er wurde damals mit über 60 Prozent wiedergewählt, doch war die Wahlbeteiligung mit 45 Prozent außerordentlich niedrig.

Auch das zuletzt vom Präsidenten angestrebte Referendum war von zahlreichen Unregelmäßigkeiten im Vorfeld gekennzeichnet. Wie das Gericht bei seinem aktuellen Votum beanstandete, sei die zur Entscheidung stehende Frage nachträglich umformuliert worden. Auch habe die Finanzierung der Stimmensammlung gegen geltendes Recht verstoßen.

Uribe setzte in seiner zweiten Amtszeit das militärische Vorgehen gegen die linksgerichtete Guerilla fort und war trotz seiner Nähe zu paramilitärischen Gruppen selbst dann nicht in seiner Macht zu erschüttern, als sein engstes privates und politisches Umfeld durch Inhaftierung und Verurteilung gelichtet wurde. Seine Präsidentschaft war von Skandalen wie den Menschenrechtsverletzungen der Streitkräfte und dem illegalem Abhören seiner Gegner durch den Geheimdienst geprägt. Erst vor wenigen Tagen wurde einer seiner Cousins, der frühere Senator Mario Uribe Escobar, im Zuge laufender Ermittlungen hinsichtlich der Verbindungen zwischen Politikern und Paramilitärs erneut festgenommen. Aufgrund derartiger Vorwürfe sitzen gegenwärtig mehr als 60 Politiker im Gefängnis.

Als aussichtsreichster Kandidat für das Präsidentenamt gilt nun Juan Manuel Santos, wobei der unabhängige Bewerber Sergio Fajardo, dessen Amtsführung als früherer Bürgermeister von Medellín Anerkennung erfuhr, in Meinungsumfragen Boden gutgemacht hat. Der ehemalige Landwirtschaftsminister Andrés Felipe "Uribito" Arias und die frühere Außenministerin Noemí Sanín bewerben sich um die Kandidatur der Konservativen. Die linksliberale Wählerschaft umwerben Rafael Pardo, Gustavo Petro und ein grüner Kandidat, der erst nach den Vorwahlen am 14. März feststehen wird. Angesichts dieses heterogenen Kandidatenfeldes dürfte die Entscheidung über die Präsidentschaft erst in der Stichwahl am 20. Juni fallen.

Wenngleich erst nach den Vorwahlen im März Entscheidungen über Kandidaten und Koalitionen des konservativen Lagers getroffen werden, geht man davon aus, daß Santos als gemeinsamer Kandidat von Uribes persönlicher Partei de la U und der alten konservativen Partei auf den Schild gehoben wird. Hingegen hat die Partei Cambio Radical das Bündnis aus Protest gegen Uribes Pläne, sich erneut wählen zu lassen, verlassen. Ohne dessen Führungsposition dürften unter den Konservativen weitere Machtkämpfe und Kontroversen ausbrechen.

Der 58jährige Manuel Santos gehört einer der einflußreichsten Familien des Landes an. Sie hat ein weitverzweigtes Netz verschiedener Unternehmen, darunter auch den großen Medienkonzern Casa Editorial El Tiempo, in ihrem Besitz. Sein Cousin Enrique Santos ist Präsident der Interamerikanischen Presse Assoziation (IAPA), in der 1.300 private Medienunternehmen des Kontinents organisiert sind, ein weiterer Cousin, Francisco Santos, ist Vizepräsident Álvaro Uribes.

Manuel Santos war von 2006 bis 2009 Verteidigungsminister und ist ein Vertrauter Uribes. Während seiner Zeit im Ministeramt brachten Militärs zahlreiche Zivilisten um, die als getötete Rebellen ausgegeben wurden. Auch der völkerrechtswidrige Angriff der kolumbianischen Armee auf ein Lager der FARC im benachbarten Ecuador, das eine schwere regionale Krise auslöste, fand unter seiner Verantwortung statt.

Wie Álvaro Uribe erklärte, müsse seine politische Linie wiedergewählt werden. Man könne jetzt keinen Wachwechsel vornehmen und die Richtung ändern. Dem schloß sich Manuel Santos mit den Worten an, man müsse nun sicherstellen, daß Uribes Erfolge in puncto Sicherheit und Fortschritt nicht verlorengingen. "Wir können ihn nicht wiederwählen", sagte er. "Aber laßt uns die Sicherheit einer Demokratie, den sozialen Zusammenhalt und das Vertrauen der Investoren wiederwählen." Sollte Santos die Nachfolge Uribes antreten, steht zu befürchten, daß dessen Kurs nahezu unverändert fortgesetzt wird.

Anmerkungen:

[1] Keine dritte Amtszeit für Uribe. Verfassungsrichter in Kolumbien stoppen Referendum (27.02.10)
http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/medien/uribe_dritte_amtszeit_kolumbien_1.5098570.html

[2] Kolumbien: Keine Wiederwahl für Uribe. Oberstes Gericht stoppt Referendum. Ehemaliger Verteidigungsminister neuer Spitzenkandidat (27.02.10)
http://www.amerika21.de/nachrichten/inhalt/2010/feb/uribe_203948_seva/

1. März 2010