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LATEINAMERIKA/2396: Hillary Clintons Werbetour in Südamerika (SB)


Lima, Quito, Bogotá - Hier Kreidefressen, da gelöste Zunge


In der Ära George W. Bushs erschöpfte sich der Umgang der Vereinigten Staaten mit den Ländern Lateinamerikas in einer kruden Mixtur aus Vernachlässigung und Konfrontation, die einen Scherbenhaufen in den beiderseitigen Beziehungen hinterließ. Da sich die US-Regierung bei ihren Angriffskriegen im Nahen und Mittleren Osten zu überstrecken drohte, fielen für den Süden der westlichen Hemisphäre nur gebrochene Versprechen und aggressive Anwürfe ab, die der Entfremdung Vorschub leisteten und dem in dieser Weltregion aufblühenden Streben nach Unabhängigkeit von der Hegemonialmacht, eigenständiger gesellschaftlicher Entwicklung und vertiefter nachbarschaftlicher Zusammenarbeit einen zusätzlichen Schub verliehen.

Barack Obamas Mission, den eingeschlagenen Kurs ungebrochen fortzusetzen und dies mit einem Schwall vollmundiger Ankündigungen und versöhnlicher Lockreden zu verschleiern, versieht die stahlharte Doktrin, daß sich die Welt scharf und ausschließlich in vorbehaltlose Vasallen der USA und deren heimtückische Feinde trenne, mit dem Leim perfider Schmeichelei und versöhnender Wiedereingliederung ins stärkste Rudel der Räuber. Für die lateinamerikanischen Staaten folgt auf die abstoßende, aber klar auszumachende Borniertheit und Überheblichkeit der Bush-Administration die weitaus geschmeidigere Verführungskunst Obamas, die als Karotte vor der Nase den Blick vom Verlauf des Weges ablenkt.

Wenngleich Charmeoffensiven nicht gerade die Stärke der US-amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton sind, die im Gespann mit ihrem Kabinettschef eher die Frau fürs Grobe ist, versteht auch sie sich auf die Kunst, notfalls Honig um den Bart zu schmieren. So zeichnete sich ihre jüngste Tour durch Südamerika, die sie zunächst zur Jahresversammlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) nach Peru führte, worauf sie anschließend noch in Ecuador und Kolumbien Station machte, durch eine Gemengelage aus harschen Forderungen, ungewohntem Kreidefressen und unverhohlenem Triumph aus.

Daß Washington sich auf die Botmäßigkeit seiner in dieser Gegend allerdings dünn gesäten Verbündeten verlassen kann, bewies die gastgebende Regierung Perus, auf deren Wunsch die Versammlung der OAS einen Aufruf zur Waffenkontrolle und Transparenz bei der Rüstung, zur Limitierung der konventionellen Waffen und gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen in der Region verabschiedete. Was auf den ersten Blick harmlos und friedfertig anmuten mag, entschlüsselt sich vor dem Hintergrund der Bedrohung des Irans durch die USA, Israel und diverse europäische Mächte als Auftakt zu einem in Stellung gebrachten Sanktionsregime.

Hingegen scheiterte der Vorstoß Washingtons, die nach dem Putsch in Honduras von der OAS verhängten Sanktionen aufzuheben und das mittelamerikanische Land wieder aufzunehmen. Clinton sprach sich für die sofortige Rehabilitierung aus, da Präsident Porfirio Lobo im November in freien Wahlen gewählt worden sei und seither die Vereinbarungen zur Befriedung des Landes vor allem mit der Einsetzung einer Wahrheitskommission erfüllt habe. Generalsekretär Insulza brachte bei der Eröffnung der Versammlung die Auffassung ein, daß viele Mitgliedsländer die unbehelligte Rückkehr des in Santo Domingo exilierten Manuel Zelaya nach Tegucigalpa als Voraussetzung für eine Wiederaufnahme des Landes erachteten.

Brasilien und die Staaten des bolivarischen Lagers, nämlich Venezuela, Bolivien, Ecuador und Nicaragua, waren jedoch auf der Hut und verlangten weitere Schritte zur Wiederherstellung der Demokratie und zum Schutz der Grundrechte in Honduras. Angesichts dieser Uneinigkeit beauftragten die Außenminister der Mitgliedsländer den Generalsekretär, eine hochrangige Kommission einzusetzen, die in Honduras abklären soll, ob die Bedingungen zur Wiederaufnahme des Landes gegeben sind. Erst nach Vorliegen dieser Ergebnisse will die OAS entscheiden, ob die Suspendierung aufgehoben wird. [1]

Nach diesem durchwachsenen Resultat in Lima, wo Clinton auch zu Gesprächen mit Präsident Alan García und dem stellvertretenden Außenminister Brasiliens zusammentraf, suchte sie in Quito den Staatschef Ecuadors auf. Rafael Correa ist wegen seiner Nähe zu Venezuela und Bolivien eine harte Nuß für Washington, an der man sich in der Vergangenheit die Zähne ausgebissen hat. Ihn bestärkten die heftigen Attacken der Bush-Administration im Wunsch nach größerer Unabhängigkeit von den USA und einer verstärkten Bündnispolitik mit befreundeten Regierungen der Region, weshalb Clinton nach dem offensichtlichen Versagen der Peitsche leutselig mit dem Zuckerbrot winkte.

Wie sie versicherte, wünsche die Regierung Präsident Obamas bessere Beziehungen zu allen Ländern der Region, wovon auch Ecuador ungeachtet der vorhandenen Differenzen nicht ausgenommen sei. Ihr seien ohnehin keine Länder bekannt, die in sämtlichen Punkten einer Meinung sind. Nach ihrem zweistündigen Gespräch und einem gemeinsamen Essen hob sie unter anderem Correas Fortschritte beim Kampf gegen soziale Ungleichheit hervor. Dieser gab das Lob zurück und erklärte, er bewundere sie wie auch ihren Ehemann Bill Clinton. Und was den amtierenden Präsidenten der USA betreffe, "liebten" die Menschen in Lateinamerika Barack Obama. Die neue Linke, die er selbst repräsentiere, sei keineswegs antiamerikanisch. Seine Studienjahre an der University of Illinois seien die glücklichste Zeit seines Lebens gewesen. Er sei allerdings erleichtert, daß die Politik der Bush-Ära der Vergangenheit angehöre. [2]

Daß Correa der aus dieser Richtung ungewohnten Schmeichelei erlegen ist, darf indessen bezweifelt werden. Die hier wiedergegebene "New York Times" will jedenfalls Anflüge stählerner Härte hinter Correas Lächeln ausgemacht haben, als man ihn mit der Frage bedrängte, warum es der neuen US-Regierung nicht gelungen sei, ihre Beziehungen zu allen Staaten Lateinamerikas entscheidend zu verbessern. Wer der Auffassung sei, Ecuador solle sich äußerem Druck beugen, werde derartiges weder in seinem Land, noch in Venezuela oder Bolivien finden, bekräftigte er entschieden seine Verbundenheit mit den befreundeten Regierungen.

An Streitpunkten fehlt es Quito und Washington nicht. So warnt Ecuador insbesondere, daß der ausgeweitete Zugang der US-Streitkräfte zu Stützpunkten in Kolumbien die Souveränität aller lateinamerikanischen Länder bedrohe, weshalb man gute Gründe habe, mißtrauisch zu sein. Die US-Außenministerin zeigte sich bemüht, diesen Verdacht zu zerstreuen, indem sie auf der Pressekonferenz behauptete, Correa könne ganz beruhigt sein. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Kolumbien beinhalte ausschließlich den Beistand im Kampf gegen innere Bedrohungslagen, womit sie die Standardformel zur Rechtfertigung und Verharmlosung dieses ausgebauten Brückenkopfs der USA in Südamerika rezitierte. Zudem forderte sie ihren Gastgeber auf, die Pressefreiheit in seinem Land zu verbessern. In Ecuador wird derzeit ein neues Mediengesetz debattiert, das nach Ansicht seiner Kritiker journalistische Arbeit unzulässig einschränkt. Correa wies demgegenüber darauf hin, daß das Gesetz erforderlich sei, um dem Mißbrauch der Pressefreiheit durch einflußreiche Medienkonzerne einen Riegel vorzuschieben.

Nach ihrem Treffen mit Präsident Correa bekam die US-Außenministerin Gelegenheit zu einem Vortrag, in dem sie Grundzüge ihrer Lateinamerikapolitik umriß. Dem Ort und Anlaß entsprechend, fiel ihre Rede natürlich vordergründig und kodifiziert aus. Sie forderte verstärkte Anstrengungen für mehr soziale Gleichheit in ganz Lateinamerika und bemängelte in diesem Zusammenhang insbesondere die verbreitete Steuerflucht der Reichen, die den Armen die Last aufbürde. Daß die Wohlhabenden nicht ihren fairen Anteil bezahlten, sei eine schlichte Tatsache, die man nicht in Abrede stellen könne. Vielerorts zahle über die Hälfte der Steuerpflichtigen keine Abgaben, was man nicht länger akzeptieren dürfe. Es gehe hier nicht um Klassenkampf, sondern lediglich um die Einsicht, daß die Haltung, dem Sieger stehe alles zu, keine Option für eine wünschenswerte ökonomische Zukunft sei. Indem Clinton sich gegen Steuerflucht wie auch Schwarzarbeit wandte und Reformen auf diesem Gebiet anmahnte, trat sie ihrem Gastgeber nicht offensichtlich auf die Füße. Das Signal, man müsse gesellschaftliche Widersprüche nicht als solche definieren, sondern durch Reformprozesse einfrieden, war jedoch deutlich genug.

Im Bogotá des verbündeten, doch aus dem Amt scheidenden Alvaro Uribe war Hillary Clinton schließlich ganz in ihrem Element und konnte ihren dortigen Gastgeber frei von der Leber weg loben, ohne sich diplomatische Verrenkungen auferlegen zu müssen. Sie kündigte eine intensivierte Partnerschaft, weitere finanzielle Zuwendungen wie auch erhöhten Druck auf den US-Kongreß, endlich dem Freihandelsabkommen zuzustimmen, an. In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem kolumbianischen Staatschef in Bogotá beschwor die US-Außenministerin insbesondere die erfolgreiche Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit, die zu einem "noch nachhaltigeren Frieden, Fortschritt und Wohlstand für die Menschen in diesem schönen Land" führten. [3]

Berücksichtigt man, daß die USA den Kampf der kolumbianischen Regierung gegen die Guerilla in den letzten zehn Jahren mit Militärhilfe in Höhe von nahezu 7 Milliarden Dollar subventioniert haben, sind die Resultate des "Plan Colombia" nicht gerade überzeugend, sofern man nicht der einheimischen Elite oder urbanen Mittelschicht angehört. Für die Bewohner der städtischen Elendsquartiere, für Kleinbauern und Indígene, Gewerkschafter, Oppositionelle und kritische Journalisten sind sie verheerend und nicht selten mörderisch.

In der Hoffnung, daß sich an diesen Verhältnissen auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt nichts ändert, versicherte Uribe, sein Land sei ein treuer Verbündeter der USA gewesen und werde diese Allianz auch in den nächsten Generationen fortsetzen. Clinton hob die Errungenschaften in den zurückliegenden acht Jahren unter Führung dieses Präsidenten hervor und erklärte sich zur rückhaltlosen Zusammenarbeit ihrer Regierung mit dem Nachfolger bereit. Am 20. Juni treffen in der Stichwahl der frühere Verteidigungsminister Juan Manuel Santos und der zweimalige Bürgermeister von Bogotá, Antanas Mockus, aufeinander, wobei der Uribe-Vertraute Santos als Favorit gilt.

Da konnte es nicht schaden, demonstrativ mit beiden Kandidaten zusammenzutreffen und dem Bekenntnis zu einer demokratischen Transition freien Lauf zu lassen. Santos hat Wahlkampf mit der Ankündigung gemacht, er wolle den Kurs Uribes unverändert fortsetzen, und damit fast die absolute Mehrheit erreicht. Mockus von der kleinen Grünen Partei ist nach einem phänomenalen Höhenflug in den Vorhersagen weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben und wird aller Voraussicht nach nicht zuletzt an der eingespielten Wahlmaschine der Regierungspartei scheitern. Mithin kann die Obama-Administration darauf bauen, daß sich an der kolumbianischen Front so schnell nichts ändern wird, was in dieser weithin widerspenstigen Weltregion Balsam für die Seele des Hegemons sein muß.

Anmerkungen:

[1] Honduras zurück in die OAS? Eine Kommission soll die Lage in Tegucigalpa prüfen (10.06.10)
NZZ Online

[2] Clinton Woos a Leftist President (08.06.10)

New York Times

[3] US To Strengthen Colombia Partnership, Maintain Aid (10.06.10)
www.finanzen100.de

11. Juni 2010