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LATEINAMERIKA/2460: Perus künftiger Präsident ist kein Wolf im Schafspelz (SB)


Ollanta Humalas Kurskorrektur offenbar fundamentaler Natur


Ist Ollanta Humala ein Wolf im Schafspelz, der zu Wahlkampfzwecken Kreide gefressen hat, um erst nach seinem Einzug in den peruanischen Präsidentenpalast am 28. Juli, dem Nationalfeiertag des Andenstaats, sein wahres Gesicht zu zeigen und die Landsleute mit einem stramm linken Kurs zu konfrontieren? Wohl kaum, befindet das Portal Wallstreet-online, wo man den Kurssturz der Aktien vieler ausländischer, in Peru tätiger Bergbauunternehmen nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses für eine kurzfristige Überreaktion hält. Mutigen Anlegern, die sich eines gewissen Risikos bewußt seien, böten sich gerade in diesem Sektor gute Chancen. [1]

Die Befürchtung in Wirtschaftskreisen, der ehemaliger Oberstleutnant der peruanischen Armee mit großen Sympathien für Venezuelas Präsident Hugo Chávez werde die staatliche Kontrolle über die Rohstoffreserven des Landes massiv ausweiten, hält nach Einschätzung der Börsenexperten, denen man sozialistische Ambitionen am allerwenigsten nachsagen kann, einer nüchternen Abwägung der Fakten nicht stand. Humala habe sich in den letzten Wochen von früheren Aussagen distanziert, er denke über eine Nationalisierung strategischer Sektoren der Wirtschaft nach. Privatwirtschaftliche Unternehmen zu enteignen oder die Kontrolle über private Pensionsfonds zu übernehmen, liege ihm fern. Zudem habe der künftige Staatschef Technokraten wie Oscar Dancourt, den ehemaligen Präsidenten der Zentralbank, und Kurt Burneo, früher stellvertretender Finanzminister, in sein Team aufgenommen. Auf in Peru tätige Minenfirmen kämen daher lediglich höhere Steuern zur Finanzierung der sozialstaatlichen Reformen zu, die Humala angekündigt hat. Das sei unangenehm, doch noch lange kein Grund, auf die nach der Erholung der Kurse absehbaren Renditen zu verzichten.

Sollte Humala wider Erwarten dennoch versuchen, radikalere Vorhaben in die Tat umzusetzen, werde ihn das Parlament ausbremsen. Wenngleich der Präsident in Peru über weitreichende Befugnisse verfüge, fehle ihm doch die Mehrheit in der Nationalversammlung, wo seine Partei lediglich über 47 von 130 Sitzen verfügt. Zwar unterstütze ihn der ehemalige Präsident Alejandro Toledo mit einer Fraktion von 21 Abgeordneten, doch gelte das nicht für Abweichungen von dem moderateren Programm, das Humala nach der ersten Wahlrunde vorgelegt hat.

Humalas künftige Amtskollegen in Bolivien und Venezuela, Evo Morales und Hugo Chávez, gratulierten Humala zum Wahlsieg und hoben den Willen der peruanischen Bevölkerungsmehrheit zu einem politischen und sozialen Transformationsprozeß hervor, doch ist damit allenfalls die von ihnen favorisierte Ausrichtung benannt, die der künftige Präsident Perus für sein Land erst noch mit Leben füllen muß. Humala kündigte einen Ausbau der Sozialsysteme und die verstärkte Zusammenarbeit mit anderen Staaten der Region an, doch betonte der Kandidat der Linksallianz "Gana Perú" (Peru gewinnt) zugleich, daß er auf eine offene und marktorientierte Wirtschaft setze. [2]

Weder hatte Humala im Wahlkampf den seit 2009 bestehenden Freihandelsvertrag (TLC) mit den USA, noch die Mitgliedschaft Perus im neugegründeten "Pazifikpakt" in Frage gestellt, der als Konter gegen die "Union südamerikanischer Nationen" und die "Bolivarische Allianz für die Völker Unseres Amerikas" (ALBA) in Stellung gebracht wurde. Der insbesondere von Washington befürchtete Verlust des bislang als zuverlässiger Vasall in Lateinamerika eingestuften Peru an das Lager nach nationaler und regionaler Eigenständigkeit strebenden Länder ist mithin keineswegs so akut, wie dies die Allianz zur Verhinderung eines Präsidenten Humala glauben machen wollte. Wo dieser bei der Siegesfeier von einer "echten Politik zur Lösung der Probleme Perus in Gesundheit, Bildung, Sicherheitsinfrastruktur ohne Gnade für Korrupte" sprach und "Transformationen" in Industrie und Landwirtschaft ankündigte, blieb er womöglich nicht nur aus Gründen gebotener Vorsicht diffus. [3]

Wenngleich angesichts seines äußerst knappen Vorsprungs von allenfalls drei Prozentpunkten vor seiner Konkurrentin Keiko Fujimori aus dem rechten Lager außer Frage steht, daß der 48jährige Politologe Humala in der Stichwahl ohne eine weitgehende Preisgabe früherer Positionen auch diesmal unterlegen wäre, ist eine grundlegendere Kurskorrektur als nur aus taktischen Erwägungen zu befürchten. Die gern als "Wirtschaftswunder" vernebelte neoliberale Offensive der zurückliegenden fünfzehn Jahre hat den peruanischen Eliten die höchsten Wachstumsraten der Region, der verarmenden Bevölkerungsmehrheit jedoch soziale Verwerfungen beschert, die immer wieder zu eskalierenden Kämpfen um bessere Lebensverhältnisse führten. Rund ein Drittel der Peruaner lebt unterhalb der Armutsgrenze, drei Viertel der 15 Millionen Erwerbstätigen arbeiten ohne feste Verträge und Sozialversicherungen im informellen Sektor.

Um diese Widerspruchslage ernsthaft anzugehen, bedürfte es einer Abkehr von der herrschenden Wirtschaftsrezeptur, die zugleich eine gesellschaftspolitische und nicht zuletzt international eingebundene Doktrin ist. Ollanta Humala hat sich im Wahlkampf mit einem mehrköpfigen Beraterstab des brasilianischen Expräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva umgeben, den er als sein neues politisches Leitbild auszuweisen nicht müde wurde. Lula bezog seinerseits offen Position für Humala, wobei er freimütig einräumte, er wolle mit seinem Engagement mehr brasilianischen Firmen den Weg nach Peru ebnen. Gegenwärtig spricht alles dafür, daß sich die künftige Führung in Lima einem sozialdemokratischen Entwurf verschreiben wird und damit die Wohlfahrt von Arm und Reich auf Grundlage eines marktwirtschaftlichen Modells kapitalistischer Verwertung gleichsetzt, was der schwächeren Seite in dieser Widerspruchslage noch nie gut bekommen ist.

Anmerkungen:

[1] Überreaktion? Wahlsieg des linksnationalen Präsidentschaftskandidaten in Peru setzt Minenaktien unter Druck (07.06.11)
http://www.wallstreet-online.de/nachricht/3173134-ueberreaktion-wahlsieg-des-linksnationalen-praesidentschaftskandidaten-in-peru-setzt-minenaktien-unter-druck

[2] Peru: Humala verspricht sozialen Wandel (07.06.11)
http://amerika21.de/meldung/2011/06/34305/peru-humala-wandel

[3] Linksruck mit Fragezeichen (07.06.11)

junge Welt

7. Juni 2011