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LATEINAMERIKA/2481: Administrativer Gewaltakt Massenabschiebung (SB)



US-Heimatschutzministerium legt repressives Konzept vor

Die Migration von Süden nach Norden zählt zu den kontroversesten Themen in den Beziehungen der Nachbarländer Mexiko und USA. Im Spannungsfeld zwischen dem Bedarf an ausbeutbarer billiger Arbeitskraft auf der einen und nagendem Futterneid angesichts eines sinkenden Lebensstandards für immer breitere Kreise auf der anderen Seite ringt die US-amerikanische Gesellschaft seit langen Jahren um eine Reform der Einwanderungspolitik. Während in der Bevölkerung Fremdenfeindlichkeit um sich greift und eine Mehrheit "illegale" Einwanderer loswerden will, setzt die Wirtschaft in vielen Branchen auf das gefügige Niedriglohnreservoir der weitgehend rechtlosen Immigranten. Dabei trifft die Annahme, arbeitslose Mexikaner machten sich auf den Weg nach Norden, weniger denn je zu. Die meisten Migranten geben einen Job in der Heimat auf, um am Ziel ihrer beschwerlichen Reise trotz eines ungewissen Arbeitsplatzes und geringen Lohns womöglich höhere Einkünfte zu erzielen als zu Hause. Die meisten von ihnen werden längst nicht mehr vom Rand, sondern aus dem Herzen der mexikanischen Arbeitskraft abgezogen.

Bei den neuen Jobs in den USA handelt es sich mancherorts um Tätigkeiten in der Landwirtschaft und Manufaktur, anderswo sind es eher Arbeitsplätze auf dem Bau, in der Gastronomie oder im Hotelgewerbe. Diese Arbeitsplätze sind unsicher und bringen im Verhältnis zu durchschnittlichen US-amerikanischen Einkünften wenig, jedoch immer noch deutlich mehr als in Mexiko ein. Zweifellos führt die Beschäftigung zumeist "illegaler" Migranten in spezifischen Branchen der US-amerikanischen Wirtschaft zu den bekannten Umwälzungen auf dem dortigen Arbeitsmarkt. Das Lohnniveau wird mit Hilfe extrem ausbeutbarer Migranten auf niedrigstes Niveau gedrückt, und daraus geht eine Generation ohne Krankenversicherung, Rentenansprüche und nennenswerte Rücklagen hervor.

In den letzten Jahren scheint der Bedarf an Arbeitsmigranten rückläufig zu sein, so daß die schärfere Verfolgung "Illegaler" nicht in Widerspruch zum langfristigen Bedarf der US-Wirtschaft steht. Die zeitweiligen und partiellen Unstimmigkeiten zwischen Administration und bestimmten Wirtschaftskreisen, die sich zwangsläufig nicht vollständig zur Deckung bringen ließen, haben an Bedeutung verloren. Arbeitslosigkeit, gering bezahlte Tätigkeiten, gestrichene Sozialleistungen und eine schlechte Gesundheitsversorgung schufen in den USA ein Klima, in dem Ausländerhetze wächst und gedeiht. Vor allem aber hat die Dauerkampagne gegen die "Terrorgefahr" Ressentiments und Denunziantentum massiv gefördert. In Bundesstaaten wie Arizona, die als letztes großes Einfallstor für Arbeitsmigranten galten, spitzte sich der Konflikt dramatisch zu. Ausländer für die Verschlechterung der Lebensverhältnisse verantwortlich zu machen, ist eine Zauberformel, die sich längst von dumpfen Stammtischparolen emanzipiert hat. Schließlich rechtfertigt die angeblich weltweit bedrohte Sicherheit der Metropolen unter der Maßgabe der Herrschaftssicherung jedweden Eingriff wie auch jedes Opfer.

Als Vorreiter repressiver Einwanderungspolitik verschärfte Arizona die entsprechenden Gesetze wie insbesondere die Verfolgung "Illegaler". Wie sehr dies von weiten Teilen der Bevölkerung mitgetragen wurde, zeigte der Ausgang diverser Referenden wie auch der Beifall, den das sogenannte Minuteman Project fand, bei dem sich Zivilisten an der Grenze zur Jagd auf illegale Einwanderer versammelten. Schon vor einem Jahrzehnt wurden in diesem Bundesstaat beispielsweise Entwürfe diskutiert, der Polizei zu gestatten, auf bloßen Verdacht hin Einwanderer festzunehmen und dem Grenzschutz zu übergeben oder in Mexiko eine private Haftanstalt für "illegale" Einwanderer zu errichten, die in Arizona aufgegriffen werden. In den USA profitieren Privatgefängnisse längst von der verstärkten Festnahme von Arbeitsmigranten ohne gültige Papiere, doch wäre für eine Auslagerung ins Nachbarland ein Abkommen auf Bundesebene mit Mexiko erforderlich gewesen.

Bereits 1996 wurde vom US-Kongreß der Rechtsrahmen zur massenhaften Abschiebung "illegaler" Einwanderer geschaffen. Der Secure Fences Act von 2006, auf den sich Trump heute zur Rechtfertigung seines Mauerbaus beruft, wurde von den damaligen Senatoren Hillary Clinton, Obama, Biden und Schumer unterstützt. Während der Präsidentschaft Barack Obamas wurden mit schätzungsweise 2,7 Millionen Menschen mehr Migranten abgeschoben als von allen Vorgängerregierungen zusammen. Donald Trump knüpft also an eine lange Vorgeschichte an, wenn er die Einwanderungspolitik nun qualitativ und quantitativ auf eine neue Stufe hebt. Auch lassen die jüngst von Heimatschutzminister John Kelly offiziell vorgestellten Dokumente seiner Behörde vermuten, daß es sich dabei kaum um ein kurzfristig entworfenes Konzept handelt.

Demnach sollen neben vorbestraften Einwanderern auch solche abgeschoben werden, die des "Mißbrauchs" von Sozialleistungen überführt worden sind. Dabei ist die Definition von "Mißbrauch" sehr weit gefaßt und kann sich beispielsweise auf die Angabe einer falschen Rentenversicherungsnummer oder falsche Angaben über den Immigrantenstatus in einem offiziellen Dokument beziehen. Die Zulässigkeit dieser Abschiebungen wurde bereits gerichtlich bestätigt, nur die Abschiebebefehle müssen noch ausgestellt werden. Wie es in den Dokumenten heißt, hätten die Beamten des Ministeriums "uneingeschränkte Vollmachten, einen Ausländer festzunehmen oder zu inhaftieren, sofern sie Grund zu der Annahme haben, dass er gegen das Einwanderungsrecht verstößt". Ebenso hätten sie "uneingeschränkte Vollmachten, Abschiebeverfahren gegen jeden Ausländer einzuleiten, der unter dem Gesetz über Einwanderung und Staatsbürgerschaft abgeschoben werden kann".

Laut den Dokumenten des Heimatschutzministeriums ist der Bau weiterer Haftzentren und einer Grenzmauer sowie die Einstellung von 15.000 Einwanderungs- und Abschiebebeamten geplant. Zudem sollen lokale Polizeibehörden zur Unterstützung bei der Verhaftung und Abschiebung von Migranten herangezogen werden, was landesweit auf einen deutlichen Ausbau des Polizeistaats hinauslaufen wird. Bei aller brachialen Gewalt und Eile, die der neue US-Präsident demonstrativ an den Tag legt, geht die administrative Umsetzung aus zwei Gründen systematischer und strategischer zu Werke. Zum einen hat das Heimatschutzministerium vorerst weder das Personal noch die Zeit oder Mittel, in die Kommunen zu gehen und Menschen massenhaft abzuschieben. Wenn es daher heißt, von einer geplanten Massenabschiebung könne keine Rede sein, ist dies keine grundsätzliche Entwarnung, sondern lediglich ein Aufschub. Zum anderen stellen die im Lande lebenden Menschen hispanischer Herkunft die größte Minderheit dar, deren kollektiven Zorn die Regierung keinesfalls wecken will. "Wir können in den Gemeinden keine Panik gebrauchen", erklärte denn auch ein Beamter des Heimatschutzministeriums vor der Presse.

Daß es zu millionenfachen Abschiebungen kommen soll, sind keine bloßen Drohgebärden Donald Trumps. Da es politisch höchst riskant und in der Praxis unmöglich wäre, all diese Menschen auf einmal zu deportieren, wird sich das Tempo der Abschiebungen sukzessive erhöhen, sobald genügend Polizeikräfte mobilisiert und Haftzentren in ausreichender Zahl errichtet sind. Wie Trumps Pressesprecher Sean Spicer drohte, könne jeder, der sich "illegal" im Land aufhalte, jederzeit abgeschoben werden. Das Heimatschutzministerium habe Richtlinien zur Priorität bei den Abschiebungen festgelegt. Schon bei dem ersten Schub soll es sich um nicht weniger als eine Million Menschen handeln. Danach werden die Behörden Spicer zufolge stufenweise gegen den Rest vorgehen, bis es "zwölf, vierzehn oder fünfzehn Millionen" seien, wie es der Präsident deutlich gemacht habe. "Wir machen das Schritt für Schritt auf ganz methodische Weise." [1]

Wenn daher Außenminister Rex Tillerson und Heimatschutzminister John Kelly bei ihrem jüngsten Besuch in Mexiko versichert haben, es werde weder Massenabschiebungen noch Abschiebungen unter Einsatz des Militärs geben, gilt das allenfalls für die ersten Schritte. Kellys Worten zufolge werde alles "nach rechtlichen Grundlagen und entsprechend der Menschenrechte" geschehen. Die Ausweisungen sollten "zwar systematisch, aber unter Respekt der Menschenwürde" und in Absprache mit den mexikanischen Behörden erfolgen. Damit kaschierten sie die vorangegangene Aussage Donald Trumps, der die Abschiebungen als eine Militäroperation bezeichnet hatte. Er will zudem Einwanderer ohne Papiere aus Zentralamerika, unabhängig ihrer Nationalität, über die Grenze nach Mexiko abschieben. Dagegen protestiert die mexikanische Regierung, die sogar in Erwägung zieht, die Vereinten Nationen anzurufen. Schätzungen zufolge leben in den USA mindestens elf Millionen Migranten ohne Aufenthaltserlaubnis, von denen viele aus Zentralamerika stammen.

Daß Tillerson und Kelly bei ihrem Besuch in Mexiko-Stadt moderatere Töne anschlugen, darf nicht mit grundsätzlichen Kontroversen innerhalb der US-Regierung verwechselt werden. Wenngleich Trump seine Pläne rabiater offenlegt, als es seinem administrativen Umfeld genehm sein mag, ist der Part des guten Cops doch ein integrales Element zur Durchsetzung des gewaltigen repressiven Vorhabens. Tillerson faßte das angespannte Verhältnis zu Mexiko in die Worte, die Nachbarländer kooperierten bei Handel, Energie und Sicherheit. Gemeinsam wollten sie an der gemeinsamen Grenze "für Recht und Ordnung sorgen". "Starke souveräne Nationen haben nun mal von Zeit zu Zeit Meinungsverschiedenheiten." Kelly lobte anschließend Mexiko als wichtigen Partner und "Ort der Freundschaft". Beide Länder hätten eine engere Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit sowie im Kampf gegen den Waffen- und Drogenhandel vereinbart.

Mexikos Außenminister Luis Videgaray ließ sich jedoch zumindest nicht vollends über den Tisch ziehen und zeigte sich nach ihrem Treffen "besorgt und irritiert" über die Politik des US-Präsidenten. Es seien komplizierte Zeiten für die mexikanisch-amerikanischen Beziehungen. In seinem Land herrsche der Eindruck vor, Trumps Politik könne den nationalen Interessen sowie den Mexikanern im In- und Ausland schaden. Die Tageszeitung "La Jornada" zitierte ihn mit den Worten, es herrschten "offenkundige Differenzen". Mexiko akzeptiere keine unilateralen Entscheidungen der USA und werde keine Migranten anderer Nationalitäten aufnehmen. [2]

Das Reizthema Grenzmauer kam wohlweislich gar nicht erst zur Sprache, um so den Ball flach zu halten und einen Eklat zu vermeiden. Bekanntlich schwebt Trump eine 3200 Kilometer lange Mauer vor, die Mexiko bezahlen soll. Deren Regierung unter Präsident Enrique Peña Nieto hat jedoch wiederholt erklärt, sie werde keinesfalls für die Kosten von bis zu 40 Milliarden Dollar aufkommen. Deswegen denkt die US-Regierung daran, Strafzölle auf mexikanische Produkte zu erheben oder die Rücküberweisungen zu besteuern, die mexikanische Arbeitskräfte in den USA tätigen. Von den geplanten Abschiebungen könnten rund 5,8 Millionen Mexikaner betroffen sein, die sich nach Schätzungen aktuell "illegal" in den USA aufhalten. Die Integration der Abgeschobenen würde Mexiko vor gewaltige Probleme stellen, und der Wegfall ihrer Überweisungen wäre katastrophal. Die sogenannten Remesas bringen Mexiko mehr Devisen als der Verkauf von Erdöl ein, was die Bedeutung dieser Einkünfte deutlich macht, von denen zahllose vor allem ärmere Familie im Land maßgeblich ihren Lebensunterhalt bestreiten. [3]


Fußnoten:

[1] https://www.wsws.org/de/articles/2017/02/23/immi-f23.html

[2] http://www.tagesspiegel.de/politik/mexiko-und-die-usa-us-heimatschutzminister-keine-massenabschiebungen-keine-militaerische-gewalt/19438812.html

[3] https://www.tagesschau.de/mexiko-usa-111.html

24. Februar 2017


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