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MEDIEN/428: Posse um Chef der Al-Kaida-PR-Abteilung in Brasilien (SB)


Posse um Chef der Al-Kaida-PR-Abteilung in Brasilien

Kritische Äußerungen über Nahost-Politik der USA können Folgen haben


Am 26. Mai landete die brasilianische Zeitung Folha de Sao Paulo einen ganz großen Coup mit der Geschichte, ein Führungsmitglied der "Abteilung für internationale Kommunikation der Al Kaida" sei von der Polizei des südamerikanischen Landes festgenommen worden und würde von dieser vernommen werden. Zwar haben die Verfasser des Artikels keine Quelle für die brisante Nachricht angegeben, jedoch der häufige Gebrauch des Begriffs FBI ließ den Eindruck entstehen, daß die Informationen von der US-Bundespolizei stammten. Gleich am selben Tag folgten die Dementis der brasilianischen Behörden, und das ganze Konstrukt der spektakulären Festnahme eines engen Vertrauensmannes von Osama Bin Laden in Lateinamerika - was natürlich die von westlichen Sicherheitsfanatikern immer wieder postulierte "globale Dimension" der vom Al-Kaida-"Terrornetzwerk" ausgehenden Bedrohung unterstrichen hätte - fiel wie das sprichwörtliche Kartenhaus in sich zusammen.

Die Tatsachen erscheinen bei näherer Betrachtung weitaus weniger dramatisch, als die Macher von Folha de Sao Paolo den Fall geschildert hatten. Am 26. April hatte die Polizei in Sao Paolo einen Libanesen, der in Brasilien mit seiner brasilianischen Frau und ihrem gemeinsamen Kind lebt und als selbständiger Computerfachmann arbeitet, unter "Terrorverdacht" festgenommen. Nach drei Wochen Vernehmungen wurde der Mann, dem nichts Ungesetzliches nachzuweisen war, am 25. Mai freigelassen. Bei der Dursuchung seiner Wohnung hatte man keine Waffen sichergestellt. Auf seinen Computer waren keine Hinweise auf Anschlagspläne oder auf E-Mail-Verkehr mit irgendwelchen militanten Islamisten zu finden gewesen. Der Mann war völlig harmlos und hatte dennoch drei Wochen lang unter dem Verdacht gestanden, zu den gefährlichsten Verbrechern und Volksfeinden der Erde zu gehören - was für ihn ganz schlimme Konsequenzen hätte haben können. Wie konnte das geschehen?

Nach Angaben der Bundesstaatsanwältin Ana Leticia Absy waren die brasilianischen Behörden vom FBI auf den Mann aufmerksam gemacht worden, weil dieser in einem Internetforum auf Arabisch einige "anti-amerikanische Botschaften" von sich gegeben hatte. Daraufhin hätte man ihn wegen der Förderung des Rassismus - in Brasilien ein Vergehen -festgenommen. Das Ergebnis der dreiwöchigen Untersuchung faßte am 26. Mai Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva so zusammen: "Es gibt keine Gründe, irgendeine Anklage gegen diese Person zu erheben." Lula, der nach eigenen Angaben über den Fall laufend informiert worden war, nahm auch die Gelegenheit wahr, seine Verärgerung über "Leute außerhalb von Brasilien, die Einschätzungen hinsichtlich dessen, was hier passiert" abgeben, Luft zu verschaffen. Mit dieser Äußerung griff Lula indirekt die Vertreter der US-Behörden an, die über die Zeitung Folha de Sao Paulo den Fall völlig aufgebauscht hätten - vielleicht um die Kollegen in Brasilia unter Zugzwang zu setzen?

Jedenfalls kann der Libanese, den die brasilianischen Behörden lediglich als "K" - eine nette Anspielung auf Joseph K., den tragischen Helden in Frank Kafkas berühmten Roman "Der Prozeß" - identifiziert haben, froh sein, daß er nicht an die USA ausgeliefert wurde. Den jüngsten Plänen von US-Präsident Barack Obamas zur Schließung des umstrittenen Gefangenenlagers Guantánamo Bay auf Kuba zufolge sollen einige der dort Inhaftierten niemals freigelassen werden, weil sie eine zu große Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA darstellen. Besagte Männer können auch nicht vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden, weil sie gefoltert worden sind und die Beweise gegen sie dadurch eventuell keinen Bestand hätten. Worin besteht dann die Gefährlichkeit dieser Männer? Aus dem, was Obama in seiner jüngsten Grundsatzrede zur Sicherheitspolitik am 21. Mai erklärt hat, macht es einen zum "erklärten Feind der USA", wenn man allzu vehement die Politik Washingtons im Nahen Osten kritisiert. Nach Meinung nicht weniger Rechtsgelehrter stellt Obamas Begründung für eine dauerthafte präventive Inhaftierung dieser Männer einen fatalen Angriff auf das in der US-Verfassung verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung dar.

30. Mai 2009