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MEDIEN/430: Abhörskandal um Murdoch-Presse in Großbritannien (SB)


Abhörskandal um Murdoch-Presse in Großbritannien

Murdochs schmutzige Geheimdienstmethoden sorgen für Empörung


In den größten Medienskandal in Großbritannien seit Jahren sieht sich das Imperium Rupert Murdochs verwickelt, nachdem die liberale Tageszeitung Guardian in ihrer Ausgabe vom 10. Juni bislang unbekannte Details der illegalen Abhör- und Schnüffeloperationen der beiden Boulevardblätter Sun und News of the World enthüllte. Aufhänger der Geschichte waren bisher geheimgehaltene Zahlungen in Höhe von rund zwei Millionen Euro, welche News International, der britische Arm von Murdochs weltumspannendem Medienunternehmen News Corporation - zu dem unter anderem in Großbritannien die Sender Sky One, Sky News, Sky Sports 1-3 sowie die Zeitungen Times und Sunday Times, in den USA das Hollywood-Filmstudio 20th Century Fox, die Fernsehsender Fox und Fox News, die enorm einflußreiche Finanzzeitung Wall Street Journal und das Massenblatt New York Post sowie auf dem fünften Kontinent die dort meistverkaufte Zeitung Australian gehören -, letztes Jahr an Gordon Taylor, den früheren Chef des Interessenverbands der englischen Profifußballspieler, und zwei weitere Personen aus dem Bereich Fußball zur Beilegung von Klagen in Verbindung mit der Verletzung ihrer Privatsphäre hat bezahlen müssen.

Doch diese Episode stellt nur die Spitze des Eisbergs dar. Die Rede ist von Hunderten bis Tausenden von Personen, deren Telefonate abgehört, E-Mails gelesen, SMS-Texte abgefangen und Privatdaten aus behördlichen Datenbanken abgezogen wurden und zwar von privaten Schnüfflern im Auftrag der Redaktionen der News of the World und der Sun. Zu den profiliertesten Opfern gehören der frühere Stellvertretende Vorsitzende der Labour-Partei und Stellvertretende Premierminister John Prescott, die frühere Ministerin und heutige Staatssekretärin Tessa Jowell, der liberaldemokratische Parlamentsabgeordnete Simon Hughes, die Hollywood-Schauspielerin Gwyneth Paltrow, das Supermodel Elle McPherson, der konservative Bürgermeister von London, Boris Johnson, und die populäre Fernsehköchin Nigella Lawson.

Daß sich die britische Boulevardpresse illegaler Spionagemethoden bedient, um sich intime Kenntnisse über das Leben von Prominenten zu beschaffen, ist keine Neuigkeit. Dies zeigte sich bereits 1993 im Camillagate-Skandal, bei dem es um abgehörte Liebesplaudereien zwischen dem Thronfolger Prinz Charles, damals Noch-Ehemann von Diana, Prinzessin von Wales, und seiner langjährigen Mätresse und heutigen Gattin Camilla Parker-Bowles, Herzogin von Cornwall, ging. Neu und erschreckend an dem, was der Guardian dieser Tage berichtet, ist das Szenario, daß Polizei und Justizbehörden Großbritanniens von den illegalen Praktiken der Murdoch-Gossenblätter seit langem wußten, jedoch nichts dagegen unternahmen.

Auch der jüngste Skandal hat seinen Ursprung bei der schamlos betriebenen Jagd nach verwertbaren Geschichten aus dem Hause Windsor. Anfang 2007 erhielten der News-of-the-World-Reporter Clive Goodman und der Privatdetektiv Glen Mulcaire mehrmonatige Haftstrafen dafür, die Telefone dreier Mitarbeiter von Prinz Charles angezapft und die darüber laufenden Gespräche abgehört zu haben. Bei der Aufarbeitung dieses peinlichen Vorfalls vor dem Kulturausschuß des britischen Unterhauses erklärte im selbem Jahr die gesamte Führung von News International und der News of the World, die wegen ihrer betont schlüpfrigen Berichterstattung seit Jahrzehnten den Spitznamen "News of the Screws" trägt, daß sie nichts von den illegalen Praktiken gewußt habe, daß es sich um einen Einzelfall gehandelt habe und daß Goodman und Mulcaire völlig allein gehandelt hätten.

Wie es sich heraussstellte - und wie für den nüchternen Beobachter nicht anders zu erwarten war - , trifft diese Murdochs Handlanger schmeichelnde Auslegung der Ereignisse nicht gänzlich zu. Bei den Ermittlungen gegen Goodman und Mulcaire waren Polizei und Justiz auf zahlreiche ähnliche Fälle gestoßen. Lediglich bei Graham Taylor und den beiden anderen Personen hatte dies bisher Konsequenzen gehabt. Durch Entschädigungszahlungen im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung gelang es News International, die ganze Geschichte unter den Teppich zu kehren. Mit den jüngsten Enthüllungen des Guardians ist der Skandal wieder hochgradig virulent geworden und müßte eventuell schwere Folgen für Murdochs Geschäftsinteressen in Großbritannien haben, ginge alles mit rechten Dingen zu.

Demnächst wird die frühere Führungspitze von Sun und News of the World erneut vor dem Kulturausschuß erscheinen und den Widerspruch zwischen ihren früheren Unschuldsbeteuerungen und den bisher bekannten Fakten erklären müssen. Zu denjenigen, die im Kreuzfeuer der Kritik stehen, gehört der frühere News-of-the-World-Chefredakteur Andrew Coulson, der heute als Kommunikationsdirektor der konservativen Partei und engster PR-Berater von deren Chef David Cameron, der bereits als Sieger der nächsten Parlamentswahlen und Premierminister in spe gehandelt wird, arbeitet. Cameron, der die Tories nach den langen Jahren in der politischen Wüste wieder an die Macht führen will, hat bisher alle Forderungen, sich von Coulson zu trennen, zurückgewiesen. Hatte er ursprünglich den Ex-Reporter wegen dessen Verbindungen zum Murdoch-Imperium eingestellt, so hofft er sich nun die Loyalität des australo-amerikanischen Zeitungsmagnaten zu sichern, indem er dessen früheren Mitarbeiter in schwierigen Zeiten nicht gleich vor die Tür setzt. So etwas nennt man in konservativen Kreise Rückgrat, und es wird entsprechend belohnt.

Derzeit ist jedoch unklar, ob und wie lange noch Cameron an Coulson wird festhalten können. Die nächsten Tage und Wochen werden für alle Beteiligten eine Feuerprobe sein. Der streitbare früherer Seemann und Gewerkschaftsvertreter Prescott, der, seitdem er beim Wahlkampf 2001 einen pöbelnden Demonstranten vor laufenden Fernsehkameras abgewatscht hat, den Spitznamen "Two Jabs" trägt, hat bereits Anwälte mit der Vorbereitung einer gerichtlichen Klage wegen Verletzung seiner Intimsphäre beauftragt. Würden viele andere Opfer das gleiche tun, könnte das ganze für Murdoch bei Schadensersatzzahlungen jeweils im sechsstelligen Euro-Bereich - siebenstellig, würde man die Gerichte in den USA bemühen - extrem teuer werden. Wünschenswert wäre eine Sammelklage mit einem Wert in so astronomischer Höhe, daß News Corporation wirtschaftlich in die Knie gezwungen würde. Doch dazu wird es vermutlich nicht kommen, denn zu viele Leute haben Angst vor der Murdoch-Maschine. In einem Artikel, der am 11. Juli im Guardian erschien, wurde der Anwalt Graham Shear von der Kanzlei Teacher Stern Selby, der einige Persönlichkeiten aus Film und Fernsehen derzeit in der Affäre berät, mit den Worten zitiert: "Das muß man, ob Politiker oder Promi, sich gut überlegen, ob man sich mit News International anlegen will. Die haben ein langes Gedächtnis und stehen mit 20th Century Fox, Fox News, Sky News, großen Zeitungen hier, in den USA und in Australien in Verbindung. Und ich denke, daß keiner der erste sein will, der sich aus der Deckung wagt."

Für die auffällige Zurückhaltung von Polizei und Justiz bei der Verfolgung des offenbar großangelegten Lauschangriffs von Sun und News of the World gibt es sicherlich Gründe, die über die angebliche Straf- und Verfolgungsunwürdigkeit der einzelnen Fälle hinausgehen. Seit rund 40 Jahren verfolgen die Murdoch-Medien in Großbritannien einen strammen Law-and-Order-Kurs und stärken der Polizei bei jeder Gelegenheit den Rücken, ob es nun die Niederschlagung des Bergarbeiterstreiks 1984 oder die zufällige Ermordung des Zeitungsverkäufers Ian Tomlinson am Rande der Proteste gegen den G-20-Gipfel in London Anfang April dieses Jahres war. Dazu kommt, daß offenbar nicht wenige Polizisten an der Weitergabe vertraulicher Informationen an Vertreter der Boulevardpresse verdienen. Bei den Beschaffern besagter Informationen handelt es sich zudem häufig um Ex-Polizisten, die sich nach dem Ausscheiden aus dem Staatsdienst als Sicherheitsberater beruflich betätigen.

Bereits vor dem aktuellen Skandal war die Macht Murdochs in Großbritannien legendär. Seit den Tagen Margaret Thatchers kommt kein britischer Regierungschef an dem "Dirty Digger" - ein Spitzname, der Murdochs australische Herkunft mit seiner Vorliebe für schmutzige Sexgeschichten verbindet - vorbei. Die chronisch anti-europäische Linie der Murdoch-Blätter gilt als wesentlicher Grund, warum Großbritannien nicht längst auf das Pfund Sterling verzichtet hat und der Euro-Zone beigetreten ist. Bisher dachte man, die britischen Politiker kuschten alle vor Murdoch, weil er ihnen über seine Medienorgane das Leben schwer bis unmöglich machen könnte. Die Enthüllungen des Guardian lassen eine weitaus beunruhigendere Schlußfolgerung plausibel erscheinen, nämlich daß News International Informationen über Prominente nicht nur sammelt, um damit die Zeitungsauflagen zu stärken, sondern auch, um die Betroffenen erpressen zu können.

Durch ähnliche Methoden konnte J. Edgar Hoover bekanntlich das FBI von der Gründung 1935 bis zu seinem Tod 1972 leiten und mußte niemals befürchten, von irgendeinem US-Präsidenten abgesetzt zu werden, weil er sie alle in der Hand hatte. Die jüngste Nachricht, wonach auch der frühere Londoner Polizeichef Sir Ian Blair zu denjenigen gehört, der illegal observiert wurde, spricht für die zunächst etwas gewagt klingende Annahme, wonach sich Murdoch in Großbritannien einen "Staat im Staat" geschaffen und damit die demokratische Grundordnung ausgehebelt hat. Es hat den Anschein, daß sich die Briten das noch lange werden gefallen lassen müssen, weil es nicht genügend Patrioten gibt, die den Mumm haben, dagegen etwas zu unternehmen. Denn im Kampf gegen Murdoch und Konsorten stehen bislang der Guardian und John Prescott auf breiter Flur alleine da.

13. Juli 2009