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MEDIEN/434: CIA in Sorge um Kriegsmüdigkeit der Europäer (SB)


CIA in Sorge um Kriegsmüdigkeit der Europäer

Obama und Frauenrechtler sollen den Afghanistankrieg populärer machen


In Afghanistan läuft die Eskalationsstrategie von US-Präsident Barack Obama, US-Verteidigungsminister Robert Gates und dem ISAF-Oberbefehlshaber, US-General Stanley McChrystal, auf vollen Touren. Bis zum Sommer soll die Zahl der amerikanischen Soldaten in Afghanistan von derzeit rund 70.000 auf mehr als 100.000 erhöht werden. Nach der jüngsten erfolgreichen - wenn auch verlustreicher als geplanten - Eroberung des Opiumhandelszentrums Mardscha in der Provinz Helmand plant die US-Generalität, demnächst mit der Vertreibung der Taliban aus ihrer traditionellen Hochburg Kandahar, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, zu beginnen. Nachdem man mit jener Großoffensive die Taliban entweder zur Kapitulation oder an den Verhandlungstisch gezwungen hat, soll mit dem Abzug der US-Streitkräfte aus Afghanistan Mitte 2011 - und damit rechtzeitig zum Auftakt des rund ein Jahr dauernden Präsidentenwahlkampfs, an dessen Ende Obama im November 2012 für eine zweite Amtszeit im Weißen Haus bestätigt werden will - begonnen werden.

Gegen die Verwirklichung solch ehrgeiziger Pläne sprechen die Tatsachen vor Ort. Berichten zufolge läuft die Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei zu einer schlagkräftigen Truppe, die ab 2011 allmählich die alleinige Verantwortung für Sicherheit und Ordnung im Lande tragen soll, katastrophal. Darüber hinaus läßt die rapide Zunahme der Anzahl der in Afghanistan stationierten, ausländischen Soldaten auch deren Verluste in die Höhe schnellen. Einem Bericht der Nachrichtenagentur Associated Press vom 27. März zufolge, die sich dabei auf Angaben des Pentagons bezog, hat sich die Zahl der in Afghanistan gefallenen US-Soldaten in den ersten beiden Monaten 2010 im Vergleich zum selben Zeitraum 2009 mehr als verdoppelt - von 28 auf 57. Die gleiche traurige Entwicklung zeichnet sich bei den britischen Streitkräften, welche das zweitgrößte Truppenkontingent der NATO in Afghanistan stellen, ab. Deren Verluste sind im selben Zeitraum im Vergleich zu 2009 von 15 auf 33 angestiegen. Da Januar und Februar wegen der schlechten Wetterbedingungen kriegstechnisch als die ruhigste Zeit des Jahres in Afghanistan gelten, ist in den kommenden Monaten mit noch höheren Verlusten unter den NATO-Soldaten, den Talibankämpfern und der Zivilbevölkerung zu rechnen.

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, daß sich in den USA die Befürworter des Afghanistankrieges Sorgen um die Umsetzbarkeit der "Mission" am Hindukusch machen. Dies geht deutlich aus einem Geheimpapier der CIA hervor, das am 26. März das elektronische Enthüllungsportal Wikileaks auf seiner Website veröffentlicht hat (Das Dokument trägt den Titel "Afghanistan: Sustaining West European Support for the NATO-led Mission - Why Counting on Apathy Might Not Be Enough" und ist auf dem 11. März datiert). Bemerkenswert ist vor allem die Tatsache, daß man beim US-Auslandsgeheimdienst in Langley, Virginia, die Kriegsmüdigkeit der europäischen NATO-Partner zur großen Gefahr erklärt und Überlegungen anstellt, wie man medientechnisch die öffentliche Meinung auf dem alten Kontinent am besten manipulieren kann. Die Frage, wie die ursprüngliche Jagd auf den "Terrorchef" Osama Bin Laden wegen dessen angeblicher Verwicklung in die Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 in eine mehr als acht Jahren andauernde Besetzung eines mehrheitlich muslimischen Landes durch amerikanische und europäische Truppen ausarten konnte, wird im Bericht von dessen Autoren, den Mitgliedern einer sogenannten "CIA Red Cell", natürlich nirgendwo gestellt. Daß die NATO für die "Sicherheit" und "Stabilität" eines der strategisch wichtigsten Länder Asiens zuständig sein soll, das praktisch von den Großmächten Rußland, China, Pakistan, Indien und dem Iran umzingelt ist, wird unhinterfragt vorausgesetzt.

Aus nämlicher Grundannahme leitet sich die Frage der CIA ab, wie die Kriegsmüdigkeit der Festlandseuropäer, auf deren Ursachen man aus guten Grund nur beiläufig eingeht, am besten bekämpft werden könne. Die CIA-Strategen loben die europäischen Regierungen ausdrücklich dafür, daß sie sich seit Jahren über die große Ablehnung, die mehrheitlich unter der Bevölkerung ihrer jeweiligen Länder grassiert, hinwegsetzen und an der Bündnisfähigkeit gegenüber den USA eisern festhalten. Gleichzeitig wird vor einem "plötzlichen" Zusammenbruch der Unterstützung des Krieges auf Seiten der europäischen NATO-Verbündeten gewarnt. Die zu erwartende Verschärfung der Lage in Afghanistan könnte dazu führen, daß sich die Politiker in Europa - Großbritannien wegen der angloamerikanischen Sonderbeziehungen natürlich ausgenommen - plötzlich gezwungen sehen könnten, auf die öffentliche Meinung Rücksicht zu nehmen, so die CIA Red Cell:

Der Sturz der niederländischen Regierung über die Frage des Truppenengagements in Afghanistan demonstriert die Zerbrechlichkeit der europäischen Unterstützung für die von der NATO angeführte ISAF-Mission. ... Einige NATO-Staaten, allen voran Frankreich und Deutschland, haben auf das öffentliche Desinteresse in Bezug auf Afghanistan gezählt, um ihr Engagement bei der Mission zu erhöhen, aber Gleichgültigkeit könnte in aktive Gegnerschaft umschlagen, sollten die Kämpfe im Frühling und Sommer zu einem Anstieg der Verluste beim Militär bzw. bei der afghanischen Zivilbevölkerung führen.

Um die Franzosen bei der Stange zu halten, wird im Bericht empfohlen, über die Medien der Grande Nation den Krieg gegen die Taliban verstärkt als Kampf um die Frauenrechte zu verkaufen:

Afghanische Frauen wären wegen ihrer Fähigkeit, persönlich und glaubhaft über ihre Erfahrungen unter der Taliban, über ihre Hoffnungen für die Zukunft und ihre Ängste vor einem Sieg der Taliban zu berichten, als Botschafterinnen ideal, die Rolle von ISAF bei der Bekämpfung der Taliban zu vermenschlichen.

Damit die deutsche Bevölkerung nicht auf einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan drängt und Angela Merkel, Guido Westerwelle und Karl-Theodor zu Guttenberg in bündnispolitische Verlegenheit bringt, wird ein anderes Vorgehen in der strategischen Kommunikation empfohlen:

Botschaften, welche die Auswirkungen einer NATO-Niederlage auf spezifische deutsche Interessen dramatisieren, könnten der weitverbreiteten Ansicht, daß Afghanistan nicht das Problem Deutschlands ist, entgegenwirken. Zum Beispiel Botschaften, die deutlich machen, wie eine Niederlage in Afghanistan Deutschlands Verletzlichkeit bezüglich Terrorismus, Opiumhandel und Flüchtlingen erhöhte, könnten dazu beitragen, den Skeptikern die Bedeutung des Krieges näherzubringen.

Als Trumpfkarte bei der Bekämpfung des sich ausbreitenden Defätismus auf der östlichen Seite des Atlantiks identifizieren die CIA-Rotzeller ihren eigenen Präsidenten Barack Obama, weil dessen Zustimmungsraten in Europa derzeit wesentlich höher sind als daheim in den USA. Folglich soll Obama den Europäern ins Gewissen reden und sie vor unüberlegten Schritten in der Außen- und Sicherheitspolitik bewahren:

Das Vertrauen der französischen und deutschen Öffentlichkeit in Präsident Obamas Kompetenz in außenpolitischen Fragen im allgemeinen und in Bezug auf Afghanistan im besonderen legt den Schluß nahe, daß sie für seine direkte Affirmation der Wichtigkeit ihrer Länder hinsichtlich der ISAF-Mission empfänglich wären und auf direkte Äußerungen der Enttäuschung seinerseits über Alliierte, die nicht helfen, empfindlich reagieren würden.

Wie der Zufall es will, brach in der Nacht vom 28. auf den 29. März Barack Obama mit der Air Force One zu seiner ersten Afghanistanreise auf. Nach 13stündigem Flug landete er auf dem Flughafen Bagram und begab sich von dort per Hubschrauber zum Präsidentenpalast und einem Treffen mit Hamid Karsai. Es folgten Lagebesprechungen mit dem US-Botschafter General a. D. Karl Eikenberry und dem ISAF-Oberbefehlshaber McChrystal. Anschließend hielt Obama eine Rehe vor einfachen US-Soldaten, bei der er Amerikas absoluten Kampfwillen beschwor. Amerikaner gäben nicht auf, so der Präsident. Noch bevor der Tag in der afghanischen Hauptstadt angebrochen war, befand sich Obama wieder auf dem Heimweg nach Washington. Inwieweit Obamas Durchhalteparolen Eindruck auf die europäischen Verbündeten oder die Taliban machen, muß sich noch zeigen. Für das fehlende Vertrauen der Amerikaner in die Kabuler Regierung und die neue afghanische Armee und Polizei spricht jedenfalls die Tatsache, daß Präsident Karsai erst über den Überraschungsbesuch Obamas informiert wurde, als sein amerikanischer Amtskollege bereits auf dem Weg war.

29. März 2010