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MEDIEN/436: Das Pentagon spannt die Muppets für den Krieg ein (SB)


Das Pentagon spannt die Muppets für den Krieg ein

Sesamstraße soll Kindern getöteter Soldaten über Verlust hinweghelfen


Für maßgebliche Kräfte beim US-Militär, welche die Niederlage Amerikas im Vietnamkrieg seit Jahrzehnten mit einer Dolchstoßlegende zu leugnen versuchen, derzufolge man bis zum Schluß auf dem Schlachtfeld als Sieger dastand, jedoch von feigen Politikern im Kongreß, die Angst vor den Medien und der Friedensbewegung gehabt hätten, zum unfreiwilligen Abzug aus Indochina gezwungen worden wäre, hat zu Konfliktzeiten die Kontrolle der öffentlichen Meinung an der Heimatfront oberste Priorität. Donald Rumsfeld zum Beispiel machte während seiner zweiten Amtszeit als US-Verteidigungsminister von Januar 2001 bis November 2006 keinen Hehl aus seinem Bekenntnis zu dieser Überzeugung, sorgte über das von ihm und Paul Wolfowitz im Pentagon geschaffene Office of Special Plans (OSP) für manipulierte Erkenntnisse über die vom "Regime" Saddam Hussein ausgehende Bedrohung, um den illegalen Einmarsch 2003 in den Irak zu legitimieren, und sprach ständig von der Notwendigkeit, im "Antiterrorkrieg" mit Al Kaida den Kampf um die "Herzen und Seele" der Menschen nicht nur in der muslimischen, sondern in der ganzen Welt zu gewinnen. Zu diesem Zweck war ihm jedes Mittel recht, darunter die Bombardierung der Büros des mißliebigen arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera in Kabul und Bagdad sowie die Versorgung wohlgesonnener Medien mit Propagandamaterial direkt aus der Feder seiner PsyOps-Experten.

Die unverändert schlechten Umfragewerte vor Augen, hat vor kurzem die Regierung Barack Obamas den Begriff "islamischer Extremismus" aus dem Sprachschatz des von Hillary Clinton geleiteten US-Außenministeriums gestrichen, um in der muslimischen Welt die Nahost-Politik Washingtons besser verkaufen zu können. Und auch im Pentagon ist man unter Rumsfelds Nachfolger, dem Ex-CIA-Chef und Iran-Contra-Veteran Robert Gates, permanent um die Verbesserung der Botschaftsübermittlung bemüht, nicht zuletzt, weil kein Ende des inzwischen achteinhalb Jahre andauernden Krieges in Afghanistan in Sicht ist. Im Gegenteil werden wegen der von dem ISAF-Oberkommandierenden General Stanley McChrystal geforderten und von Obama gebilligten Truppenaufstockung in Afghanistan noch mehr tote Soldaten, Aufständische und Zivilisten erwartet (von den Toten auf der pakistanischen Seite der Grenze infolge der CIA-Drohnenangriffe und des verstärkten Vorgehens der Streitkräfte Islamabads gegen die Gegner der NATO-Truppenpräsenz am Hindukusch ganz zu schweigen). Darüber hinaus hat sich die Situation im Irak, wo die USA noch rund 70.000 Soldaten stationiert haben, immer noch nicht normalisiert. Dort gehören nach wie vor mörderische Bombenanschläge und Überfälle zum Alltag.

Vor diesem Hintergrund hat Admiral Michael Mullen, der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, mit einer wirklich makabren Aktion Fernsehgeschichte geschrieben, als er vor kurzem in seiner Rolle als Generalstabschef der US-Streitkräfte in der beliebten, weltweit berühmten Kinderbildungsserie "Sesame Street" mitgespielt hat. In der Sonderepisode, die am 12. April im Pentagon vorab gezeigt und zwei Tage später im landesweiten Fernsehen der USA ausgestrahlt wurde, werden amerikanischen Kindern Wege aufgezeichnet, die ihnen angeblich helfen sollen, mit dem Verlust eines oder beider Elternteile unter anderem infolge von Krieg klarzukommen. Demnach sollte man seine Gefühle nicht in sich hineinfressen, sondern mit anderen sprechen. Man soll begreifen, daß auch Erwachsene, zum Beispiel der eigene Vater oder die eigene Mutter wegen des Verlusts von Gattin oder Gatten traurig und bestürzt sind und deshalb ihre eigenen Schwierigkeiten haben, mit jemandem, häufig mit den eigenen Kindern, darüber zu sprechen. In Anschluß an die Ausstrahlung, nämlich ab dem 21. April, wird die Produktionsgesellschaft Sesame Workshop über private und staatliche Hilfsorganisationen rund 800.000 multimediale Informationspakete an trauernde Familien in den USA verteilen.

Mullen, der in Los Angeles als Kind eines erfolgreichen Hollywood-Agenten aufgewachsen ist und folglich von Showbiz und der Macht der Medien etwas verstehen dürfte, führt zusammen mit dem Stellvertretenden Verteidigungsminister William Lynn in der Sendung ein kurzes Gespräch zu diesem schrecklichen Thema mit Rosita, Elmo und dessen Kusine Jesse, drei Muppets aus der Sesame Street. Wie die Navy Times, Tageszeitung der US-Marine, am 13. April berichtete, vertraut bei dieser Gelegenheit Jesse dem obersten Marineoffizier der USA an, daß sie ihren Muppet-Vater letztes Jahr verloren hat. Dazu die Navy Times:

"Zu wissen, daß ich nicht damit alleine stand, hat mir viel geholfen", erklärte Cousine Jesse Mullen. "So schlimm, wie es sich anfühlt, wenn jemand stirbt, fühle ich mich nicht immer." Obwohl sie gelegentlich noch schwere Phasen durchlebt, sagte Jesse: "Ich fühle mich nicht mehr die ganze Zeit traurig." Darüber hinaus erinnert sie sich gern an die guten Zeiten, welche sie und ihr Dad zusammen verbrachten. "Er war ein richtiger Spaßvogel. Manchmal brachte er mich so sehr zum Lachen, daß ich prusten mußte", sagte sie - und prustete.

Mullen, der laut Wikipedia das moderne Schlachtfeld in den Köpfen der Menschen ansiedelt, lobt in der Szene Jesse und die anderen Muppets für ihr Engagement bei so einem schwierigen Thema. Die Äußerungen des Admirals in der Sendung gab die Navy Times wie folgt wieder: "Wir wissen, daß ihr hier seid, um uns an jenen Erfahrungen teilhaben zu lassen. Wir rechnen euch das hoch an. Das wird Soldatenkindern und anderen Kindern in Amerika, die so etwas erlebt haben, sehr viel helfen."

Tatsächlich werden in der Sendung vier Familien, zwei mit einem militärischen und zwei mit einem zivilen Hintergrund, die ein Elternteil im Krieg respektive infolge eines Unglücks oder einer schweren Krankheit verloren haben, vorgestellt. Die Mitglieder der vier Familien, darunter die berühmte CBS-Nachrichtenmoderatorin Katie Couric, reden über ihren schweren Schicksalsschlag und darüber, wie sie damit umgegangen sind. Man lernt die Witwe Kim Ruocco kennen, deren Mann Major John Ruocco, ein Hubschrauberpilot der US-Marineinfanterie, sich nach dem Rückkehr aus dem Irak das Leben nahm, und die anschließend die schreckliche Tat dem acht- und dem zehnjährigen Sohn erklären sollte. Es treten auch Patty Guereca mit ihren vier Söhnen, dem zwölfjährigen Rolando, den zehnjährigen Nathan und Angel sowie dem fünfjährigen Alex, auf. Vater und Ehemann Jose Guereca, ein Feldwebel der US-Armee, fiel am 30. November 2004 im Irak.

Karen Jowers, Reporterin der Navy Times, schließt ihren auf eine positive Einstellung hinwirkenden Artikel mit der Reaktion Rolando Gueracas auf die Vorführung der Spezialausgabe der "Sesame Street" im Pentagon ab und zitiert diesen mit den Worten: "Es war, als machte ich bei einem Spielfilm mit. Ich denke, Dad wäre stolz gewesen" - ganz als könnten die "15 Minuten des Ruhms" (Andy Warhol) ein Kind darüber hinwegtrösten, daß es ohne seinen Vater, der für irgendwelche nebulösen Ziele des US-Zentralkommandos in den Ländern der muslimischen Welt das Leben ließ, wird aufwachsen müssen und mit diesen niemals wieder sprechen wird.

15. April 2010