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MEDIEN/449: Mediales Kesseltreiben gegen die Linkspartei (SB)


Skandalisierung linker Gesinnung von außen und innen


In ihrem Glückwunschschreiben zum 85. Geburtstag Fidel Castros am 13. August gingen die beiden Vorsitzenden der Partei Die Linke, Gesine Lötzsch und Klaus Ernst, nach der Anrede "Lieber Genosse Fidel Castro" auf dessen "kampferfülltes Leben und erfolgreiches Wirken an der Spitze der kubanischen Revolution" ein. "Unter Deiner Führung hat es Kuba verstanden, für mehr als fünf Jahrzehnte dem Druck und der Blockade der USA zu widerstehen, an seinen Idealen festzuhalten und eine neue gesellschaftliche Entwicklung einzuleiten." [1] Castros historische Leistung habe dem kubanischen Volk "für Lateinamerika beispiellose soziale Errungenschaften in Bildung, Wissenschaft und Kultur, im Gesundheitswesen und Sport und in vielen weiteren Bereichen" gebracht. Kuba sei deshalb "Beispiel und Orientierungspunkt für viele Völker der Welt" geworden. Auch andere Länder in Lateinamerika hätten inzwischen "ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen" und beschritten "einen Weg, der ihren eigenen Interessen und nicht denen des internationalen Kapitals entspricht". Lötzsch und Ernst versichern Castro zudem tatkräftige Unterstützung der kubanischen Unabhängigkeit und "unsere unverbrüchliche Freundschaft und Solidarität mit dem kubanischen Volk". Dieser Brief wurde in spanischer Sprache auf der Website des kubanischen Außenministeriums inklusive der Faksimiles der Unterschriften von Lötzsch und Ernst veröffentlicht. [2]

Die in dem Schreiben genannten Errungenschaften können als historische Fakten gewürdigt werden, wobei dem hinzuzufügen wäre, daß sie nicht nur beispiellos für Lateinamerika sind, sondern auch in den westlichen Industriestaaten ihresgleichen suchen. Dies gilt um so mehr, als der krisenhafte Verlauf kapitalistischer Verwertung auch in den hochentwickelten Gesellschaften die ihnen innewohnende Verelendung und soziale Ausgrenzung immer breiterer Bevölkerungsschichten befeuert. Davon ist im Aufschrei der Empörung nach Bekanntwerden des Glückwunschschreibens natürlich keine Rede, bedürfte es beim Versuch einer inhaltlichen Widerlegung doch einer offensichtlichen Verfälschung bekannter Tatsachen, die umgehend auf die Kritiker zurückfiele. Zudem sind die neuerlichen Angriffe gegen die Linkspartei ja gerade der Absicht geschuldet, die von Der Linken für sich reklamierte Kernkompetenz in Fragen der Sozialpolitik auszublenden und die öffentliche Debatte per Skandalisierung als Instrument kruder Bezichtigung gegen sie auszusteuern.

Angriffsfläche bietet einmal mehr die Spaltbarkeit jener Fraktionen der Linkspartei, die deren Verschiebung zur bürgerlichen Mitte betreiben und sich im opportunistischen Kalkül des Stimmenfangs bereitwillig jeder Medienschelte andienen. Journalisten, die den Keil tiefer ins Lager der Partei treiben wollen, ist es ein leichtes, bei den sattsam bekannten Adressen innerparteiliche Widersprüche abzurufen. Fraktionschef Gregor Gysi konterte mit den Worten, "Fidel Castro und seine Leute haben diesen Staat erstmalig unabhängig gemacht". Vor der Revolution 1959 sei Kuba ein "Bordell der USA" gewesen. Castro habe die Armut überwunden, ein Bildungssystem und Gesundheitswesen eingeführt, wie es zuvor "für ganz Lateinamerika unvorstellbar" gewesen sei. "Das sind die großen Verdienste, die man unbedingt sehen muss." Da Gysi peinlich bedacht ist, nie auf dem falschen Fuß erwischt zu werden, mahnte er zugleich politische Reformen in Kuba an: "Wir brauchen endlich Demokratie in Kuba. Davon sind wir noch weit entfernt."

Wohl wissend, daß sich der Fraktionschef zu keiner Breitseite gegen die Parteivorsitzenden hinreißen läßt, versuchte es der Berliner Tagesspiegel durch die Hintertür. Ob er darauf wette, daß Lötzsch und Ernst im kommenden Jahr als Vorsitzende wiedergewählt würden, lautete die Fangfrage. Er sei "überzeugt, dass sie auf jeden Fall bis zum Parteitag im Juni 2012 Vorsitzende sind", ließ sich Gysi von der plumpen Finte nicht aufs Glatteis führen. Als man von ihm wissen wollte, warum sich Lötzsch schwer damit tue, den Mauerbau zu bedauern, gab er die angemessene Antwort: "Fragen Sie sie doch selbst." In seiner auszugsweisen Wiedergabe des Interviews leitete Der Spiegel daraus ein angespanntes Verhältnis zwischen Gysi und Lötzsch ab. Ist das ernstzunehmender Journalismus, der sich die favorisierten Antworten selber zurechtschustert, egal, was der Interviewpartner sagt oder nicht sagt? Da hilft es auch nicht, einen "führenden Genossen" mit der Kritik an den Parteivorsitzenden zu zitieren, "Die beiden treten zielsicher in jeden Fettnapf", ohne den Namen besagter Quelle zu nennen. [3]

"Mein Briefstil wäre das nicht. Etwas weniger sozialistisches Pathos wäre mir lieber gewesen", übte sich Thüringens Linke-Fraktionschef Bodo Ramelow in Zwiespältigkeit. Immerhin nahm er die beiden Parteichefs dafür in Schutz, daß in dem Brief an Castro keine Kritik an den Verhältnissen in Kuba geübt wird. Geburtstagsgrüße dürften nicht "wie ein bilaterales Staatsabkommen bewertet werden". Kritik stehe bei Glückwunschtelegrammen nicht im Vordergrund, erklärte auch Parteivize Halina Wawzyniak, um hinzuzufügen: "Ein Halbsatz dazu, dass Freiheitsrechte nicht gegen soziale Rechte ausgespielt werden dürfen, hätte aber Sensibilität bewiesen." Mit Unverständnis reagierte Sachsens Linke-Chef Rico Gebhardt. Es gebe einen Brief an Castro, dagegen habe die Parteispitze offenbar keine Gratulation an den langjährigen Linke-Chef Lothar Bisky geschickt, der am 17. August seinen 70. Geburtstag gefeiert hatte. "Von einem solchen Gratulationsschreiben ist mir jedenfalls nichts bekannt. Das macht mich traurig", sagte Gebhardt.

Vollends fündig wurde die Presse beim Chef des Berliner Landesverbandes der Linken, Klaus Lederer: "Mir steht es bis hier oben", wetterte dieser im Tagesspiegel am Sonntag. Es dränge sich der Eindruck auf, "dass hier einige ihre sektenmäßigen Rechnungen auf dem Rücken der wahlkämpfenden Landesverbände austragen wollen." Das war eine Attacke nach dem Geschmack der Medienmeute bei ihrer Hatz auf die Linkspartei, unterstellte Lederer den Parteivorsitzenden doch nicht nur eine gewollte Schwächung des von ihm geführten Berliner Landesverbands vor den Wahlen am 18. September. Indem er sie sektiererischer Machtkämpfe bezichtigt, diskreditiert er jeden positiven Bezug auf sozialistische Positionen als Aberrationen einer irrelevanten Minderheit, von der er die Partei lieber heute als morgen befreit sehen würde. Vielleicht sollte er es halten wie Fraktionsvize Dietmar Bartsch, der Mitgliedern, die den Bau der Berliner Mauer immer noch rechtfertigten, den Parteiaustritt empfahl. Wer sich bei einem Gedenken für die Maueropfer nicht erhebe, müsse sich fragen, ob er richtig in der Partei sei, sagte Bartsch im Südwestrundfunk.

Die Linke pflege ihre Führungskrise, lasse der Brief an Castro doch viele Genossen erneut an der Kompetenz der Parteichefs zweifeln, kann Der Spiegel genüßlich konstatieren. Die Berliner Linke bange wegen der Debatten um den Mauerbau und das Glückwunschschreiben um ihre Chancen bei der Wahl am 18. September, redet der Tagesspiegel eine Zerrissenheit der Partei herbei, die er nicht einmal erfinden muß. Wer solche Parteifreunde hat, die in jedes vorgehaltene Mikrophon das Hohe Lied des Antikommunismus singen, braucht keine Feinde mehr. Von letzteren hat die Linkspartei bekanntlich mehr als genug und alle waren umgehend zur Stelle, als sich die willkommene Gelegenheit bot, linker Gesinnung einen Tritt zu verpassen.

So forderte der Berliner FDP-Landesvorsitzende Christoph Meyer den Spitzenkandidaten der Linken, Wirtschaftssenator Harald Wolf, auf, sich von derartigen Positionen Gesine Lötzschs zu distanzieren. Das Glückwunschschreiben zu Castros Geburtstag sei "neben den öffentlichen Mauerbau-Rechtfertigungen ein weiteres perfides Beispiel für die indiskutable, gefährliche und demokratiefeindliche Grundhaltung vieler Mandatsträger der Linkspartei, insbesondere auch im Berliner Landesverband", hieß es in einer FDP-Mitteilung. [4] Auf Bundesebene stieß für die Freidemokraten der Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, Markus Löning, ins selbe Horn: "Angesichts von 50 Jahren Menschenrechtsverletzungen auf Kuba zeigt dieser Brief, wie wenig die Linke von der Freiheit hält."

Seine Kollegin von der CDU, Erika Steinbach, sprach von einem "unglaublich peinlichen Brief", der beweise, daß im Bundestag Anti-Demokraten säßen. Der christdemokratische Europapolitiker Elmar Brok schloß sich mit den Worten an: "Diesen Leuten sind sozialistische Träume wichtiger als Menschenrechte und Demokratie". Sie seien vom alten Konzept der DDR nie abgerückt. Der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Missfelder, geißelte den Brief als "skandalösen Kniefall der Linken vor einem Diktator, der das kubanische Volk jahrzehntelang unterdrückt hat". Die Linke mache sich "mit einem diktatorischen Regime gemein". In diesem Konzert empörter Bundespolitiker durfte auch Volker Beck von den Grünen nicht fehlen: "In der Linkspartei scheinen die alten Denkmuster aus dem Kalten Krieg immer noch lebendig zu sein."

Am 16. Juni 2007 formierte sich Die Linke auf dem Gründungsparteitag in Berlin. Dabei verschmolz die ostdeutsche Linkspartei.PDS mit der westdeutschen Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit (WASG), die auch aus Politikern bestand, die von der SPD enttäuscht waren. Gleichberechtigte Vorsitzende wurden damals Oskar Lafontaine von der WASG und Lothar Bisky von der PDS. Nur vier Jahre später scheint die Partei bereits vor der Entscheidung zu stehen, den Sozialismus zu entsorgen. Indessen hat die Parteivorsitzende Gesine Lötzsch mit ihrem Gastbeitrag für die junge Welt unter dem Titel "Wege zum Kommunismus", ihrer Erklärung zum 50. Jahrestag des Mauerbaus und dem gemeinsam mit Klaus Ernst verfaßten Glückwunsch an Fidel Castro drei Zeichen gesetzt, die heftige Kontroversen ausgelöst haben. Wer solche Stimmen innerparteilich zum Schweigen bringen möchte, weil er meint, sie seien doch nur Wasser auf die Mühlen politischer Gegner, muß sich fragen lassen, ob er eine Regression der Linkspartei auf sozialdemokratisches Mittelmaß im Schatten der SPD tatsächlich für eine erstrebenswerte und zukunftsfähige Option hält.

Fußnoten:

[1] http://www.focus.de/politik/deutschland/linke-jubel-zum-geburtstag-gysi-stimmt-in-loblied-fuer-castro-ein_aid_657118.html

[2] http://www.zeit.de/politik/2011-08/castro-linke-mauer

[3] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,781485,00.html

[4] http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article1739443/Berliner-Linke-bangt-um-ihre-Wahlchancen.html

22. August 2011