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MEDIEN/478: Wikileaks - Im Zangengriff der Ermittlungen (SB)


Wikileaks - Im Zangengriff der Ermittlungen


In Australien machen die Unterstützer von Julian Assange mobil. Der Wikileaks-Gründer hält sich seit achteinhalb Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London versteckt aus Angst, an die USA ausgeliefert zu werden. Der Gesundheitszustand des 47jährigen Australiers verschlechtert sich zusehends nicht zuletzt aufgrund des Mangels an Sonnenlicht, den sein Refugium mit sich bringt. Deshalb haben mehrere hundert Menschen am 3. März in Sydney dafür demonstriert, daß die Regierung in Canberra ihrer Verantwortung gegenüber Assange gerecht wird und ihn nach Hause holt. Für den 10. März ist eine weitere Protestaktion in Melbourne geplant. Leider ist davon auszugehen, daß der australische Staat Assange weiterhin in Stich lassen wird - aus Rücksicht auf die vermeintlich übergeordneten Interessen des Militärverbündeten USA, versteht sich.

Seit Wikileaks 2010 eine große Sammlung belastender Geheimdokumente über den blutigen Verlauf der Kriege im Irak und Afghanistan sowie über den mafia-ähnlichen Umgang des US-Außenministeriums - dem damals Hillary Clinton vorstand - mit den Regierungen anderer Staaten veröffentlicht hat, wird gegen Assange seitens verschiedener Stellen im amerikanischen Justizministerium ermittelt. Ende 2011 geriet Assange aufgrund leichtfertiger Sexualeskapaden in Schweden ins Blickfeld der dortigen Justiz. Da er sich zu dem Zeitpunkt in London aufhielt, wurde dort ein Rechtshilfesersuchen eingereicht. Gegen Assange wurde seitens der Schweden niemals Anklage erhoben. Trotzdem wollten die britischen Behörden ihn an Stockholm ausliefern. Warum er zu den Vorwürfen, die sich später als haltlos herausstellen sollten, nicht in London oder über Skype befragt werden könnte, ist bis heute nicht plausibel erklärt worden.

Wegen der drohenden Gefahr, direkt von Großbritannien oder über den Umweg Schweden in die USA "überstellt" zu werden, setzte sich Assange im Juni 2012 in die Botschaft Ecuadors in London ab und verstieß damit gegen die Kautionsbedingungen. Dafür hat der britische Staat die 250.000 Pfund, die Assanges Freunde für ihn als Sicherheit hinterlassen hatten, einkassiert. 2016 hat die Working Group on Arbitrary Detention der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen Großbritannien dafür heftig kritisiert, daß es Assange aus dem Land nicht unbehelligt ausreisen läßt, sondern ihm weiterhin mit Verhaftung droht und ihn somit in einer Art "willkürlicher Inhaftierung" hält. Die damalige britische Innenministerin und heutige Premierminister Theresa May hat die damalige Kritik der UN-Menschenrechtler als belanglos abgetan.

Bereits im Mai 2010 war Chelsea Manning, Wikileaks' Quelle der meisten der erwähnten Video- und Dokumentensammlung, die zuletzt beim Militärgeheimdienst der USA im Irak tätig gewesen war, verhaftet worden. 2013 wurde Manning für schuldig befunden und zu 35 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Im Januar 2017 hat der scheidende US-Präsident Barack Obama Manning zwar nicht begnadigt, doch ihr immerhin das restliche Strafmaß erlassen. Am 28. Februar hat Manning der New York Times eröffnet, daß sie eine Vorladung zu einer Anhörung in der Causa Assange vor dem östlichen Bundesgericht in Virginia erhalten hat. Dabei handelt es sich um jenes Gericht, dessen Mitarbeiter im vergangenen November "versehentlich" publik gemacht haben, daß bei ihm "unter Verschluß" eine Anklage gegen den Wikileaks-Gründer vorliegt.

Wenngleich die Anklagepunkte gegen Assange bis heute geheimgehalten wurden, gehen alle Beobachter davon aus, daß es sich um "Spionage" oder "Teilnahme einer konspirativen Spionageaktion" zum Nachteil der USA handelt. Bei einem Schuldspruch droht lebenslange Haft bzw. Tod durch Hinrichtung. Beim eigenen Prozeß vor dem Militärtribunal hat Manning stets beteuert, weder von Assange noch irgend jemanden bei Wikileaks zu illegalen Handlung animiert, sondern aus eigenem Antrieb - und zwar aus Empörung über die grausame Besatzungspraxis des US-Militärs im Irak - gegen geltendes Gesetz verstoßen zu haben. Gegenüber der NY-Times beklagte Manning, daß solche Grand-Jury-Anhörungen, wie die, die sie in Alexandria, Virginia, über sich wird ergehen lassen müssen, "zum Mißbrauch einladen", da sie "hinter verschlossenen Türen ohne Richter und ohne anwältlichen Beistand" stattfänden. Trotz aller persönlichen Sorge erklärte Manning, sie habe zum Fall Assange "nichts beizutragen" und werde nichts sagen, was ihn oder andere Whistleblower in irgendeine Art gefährden könnte.

Ob Manning bei dieser Linie bleibt, muß sich zeigen. Einen Gutteil der mehr als sechs Jahre im Gefängnis verbrachte sie in Einzelhaft, ohne daß die Isolationsfolter sie zur Abkehr von ihrer Antikriegsposition hat bewegen können. Mannings Vorladung läßt jedoch die Unerbittlichkeit erahnen, mit der der Sicherheitsapparat der USA Julian Assange zermahlen will. Seit Wikileaks im Kampf um die US-Präsidentschaft 2016 brisante Dokumente über Hillary Clintons Zeit als Außenministerin, über korrupte Praktiken bei der Clinton Foundation - Stichwort "Pay to Play" - sowie über die Machenschaften bei den Demokraten, um Bernie Sanders bei den Vorwahlen zu benachteiligen, veröffentlicht hat, behaupten US-Medien und Geheimdienste unisono, Assange sei eine Marionette Wladimir Putins, der im Auftrag des Kremls Donald Trump ins Weiße Haus gehievt hat. Bis heute hat es für die These, die Russen hätten besagte Dokumente "gehackt" und sie anschließend Assange zukommen lassen, keinen stichhaltigen Beweis gegeben. Im Gegenteil spricht alles dafür, daß die Informationen von enttäuschten Sanders-Anhängern in der Zentrale der demokratischen Partei stammten und per USB-Stick über den Atlantik transportiert wurden.

Auch an der dieser Tage vielkolportierten Aussage von Trumps ehemaligen Anwalt Michael Cohen, dieser hätte gehört, wie über Telefon der politische Meisterintrigant Roger Stone im Juli 2016 dem damaligen republikanischen Präsidentschaftskandidaten von einer bevorstehenden Enthüllung seitens Wikileaks, welche für die demokratische Rivalin Clinton höchst unvorteilhaft ausfallen würde, erzählte, ist wenig dran. Wikileaks hat mehrmals bestritten, jemals in Kontakt mit Stone gestanden zu haben. Dieser wiederum hat inzwischen zugegeben, damals gegenüber Trump mit einem Insider-Wissen über Wikileaks angegeben zu haben, in dessen Besitz er sich niemals befand. Schließlich hatte Assange selbst im Juni 2016 die Veröffentlichung der Dokumentensammlung der Demokraten bereits angekündigt. Also hat Stone Trump nicht mehr "erzählt", als was jeder aufmerksame Nachrichtenkonsument längst wußte.

Zweifelsohne hat das öffentliche Ansehen Assanges durch die große Russiagate-Kampagne zusammen mit einer anhaltenden Hysterie um "fake news" schwer gelitten. Dies erklärt die verhältnismäßig kleine Zahl der Teilnehmer an der Demonstration in Sydney. Angesichts des rauhen Winds, der Wikileaks seit einigen Jahren entgegenbläst, kam man die Organisatoren und Teilnehmer der Protestaktion, die sozialistische Gleichheitspartei (wsws.org), Joe Lauria, Chefredakteur von Consortiumnews.com, den renommierten Kriegskorrespondenten John Pilger, den Musiker und Pink-Floyd-Gründer Roger Waters, den Pulitzerpreisträger Chris Hedges, Elizabeth Vos, Chefredakteurin von Disobedient Media sowie den Dokumentarfilmemacher Curtis Levy, nicht hoch genug loben. Immerhin haben sie erkannt, was vom Schicksal Assanges abhängt, nämlich eine Pressefreiheit, die diesen Namen verdient.

4. März 2019


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