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MILITÄR/790: Feindbild der islamischen Welt an der Spitze der NATO (SB)


Anders Fogh Rasmussen tritt das Amt des Generalsekretärs an


Der Däne Anders Fogh Rasmussen hat sein Amt als neuer Generalsekretär der NATO angetreten und löst den Niederländer Jaap de Hoop Scheffer ab, der seit 2004 an der Spitze der nordatlantischen Allianz gestanden hatte. Damit nimmt zum ersten Mal in der 60jährigen Geschichte des Bündnisses ein ehemaliger Regierungschef die zivile Führungsposition ein. Wichtigste Herausforderung bleibt auch für Rasmussen der Krieg in Afghanistan, wo die NATO die internationale Schutztruppe ISAF mit 64.500 Soldaten leitet und in den nächsten Wochen die Präsidentenwahlen sichern muß.

Hätte das stärkste und aggressivste Militärbündnis der Welt die Absicht gehabt, das symbolträchtigste Feindbild des afghanischen Widerstands gegen die Besatzungsmächte mit seiner zivilen Führung zu betrauen, wäre die Wahl wohl ebenfalls auf Rasmussen gefallen. Auf den Websiten der Taliban heißt es dieser Tage, "der große Feind des Propheten" führe nun das Bündnis der Feinde an. Dies werde "den Glauben aller Muslime an den Kampf gegen die NATO" stärken und den Krieg in Afghanistan intensivieren. Rasmussen steht für zahllose Muslime als verhaßter "Kreuzritter" auf einer Stufe mit George W. Bush und Tony Blair, seit er sich 2006 im Karikaturenstreit die islamische Welt zum Feind gemacht hat.

Als die Veröffentlichung von zwölf Karikaturen des Propheten in der Zeitung "Jyllands-Posten" einen Flächenbrand auszulösen drohte, lehnte der Premier ein Treffen mit Botschaftern aus elf islamischen Ländern schroff ab. Statt zur Deeskalation beizutragen, heizte Rasmussen den Konflikt weiter an, indem er die Pressefreiheit für unantastbar erklärte. Erst als Millionen Muslime auf die Straße gingen und dänische Botschaften brannten, befleißigte sich der Regierungschef einer anderen Sprache, was den Eindruck hinterließ, er spreche mit gespaltener Zunge. Als er 2001 an die Regierung gekommen war, hatte er sich mit der Rechten verbündet und für eine Verschärfung des Einwanderungsrechts gesorgt. Auch zählte er zu treuesten Anhängern des US-Präsidenten, was ihm den Ruf eines skrupellosen Machtpolitikers und vermutlich auch den Posten des NATO-Generalsekretärs eingebracht hat.

Ausgerechnet Rasmussen gibt nun die neue Parole der NATO aus, daß Dialog und Zusammenarbeit mit der muslimischen Welt zu den Prioritäten des Bündnisses gehörten. Da man den afghanischen Widerstand militärisch nicht besiegen kann, setzt man inzwischen auf seine Spaltung, indem man gemäßigte Kräfte herausbricht und durch Anreize zur Einstellung der Kampfhandlungen bewegt. Übrig bleibt nach dieser Doktrin ein harter, radikaler Kern, der nicht für Verhandlungen in Frage kommt, sondern die Waffengewalt zu spüren bekommen muß. Rasmussen schließt sich den Forderungen des britischen Außenministers David Miliband an, der jüngst die neue Strategie am deutlichsten ausformulierte, um nach der verlustreichen Offensive im Süden Afghanistans der kriegsmüden Heimatfront eine aussichtsreiche Alternative vorzugaukeln, für die es sich weiterkämpfen lohne.

Rasmussen formulierte als eines seiner wichtigsten Ziele, Vereinbarungen zwischen NATO und EU herbeizuführen, die eine Zusammenarbeit der internationalen ISAF-Einheit mit den Polizeikontingenten der EU möglich machen. Es zeichnet sich also die absehbare Konsolidierung des Besatzungsregimes ab, deren Sicherheitskräfte die künstliche Unterscheidung in getrennte Aufgaben und Zielsetzungen zunehmend fallenlassen und ihr repressives Potential zu bündeln trachten.

US-General Stanley McChrystal hatte bereits Anfang Juli als neuer Kommandeur der ISAF einen Strategiewechsel angeordnet, welcher der Erkenntnis geschuldet war, daß man diesen Krieg am allerwenigsten gewinnen könne, wenn man die Afghanen weiter gegen sich aufbringt. Eine unmittelbare Konsequenz war die Verminderung der US-Luftangriffe, die einen verheerenden Blutzoll unter der Zivilbevölkerung gefordert und den Haß auf das Besatzungsregime und die kollaborierende Zentralregierung in Kabul dramatisch gesteigert hatten.

Die Zahl der zivilen Opfer sei viel zu hoch, hatte der Südasien-Direktor des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, Jacques de Maio, im Mai gewarnt. So etwas wie einen sauberen Krieg gebe es nicht. Was derzeit in Afghanistan und Pakistan abläuft, sei ein Beweis dafür. Dem Offensichtlichen zum Trotz verkauft das Besatzungsregime der Alliierten die Option eines militärischen Paradigmenwechsel weg von der Jagd auf die Taliban und hin zum Schutz der Bevölkerung. Als neuer Generalsekretär der NATO wird Anders Fogh Rasmussen mehr Gelegenheit denn je bekommen, Frieden zu predigen und Krieg zu sähen.

1. August 2009