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MILITÄR/816: Erbe des Vietnamkriegs - Folgeschäden von Agent Orange (SB)


Binationales Gremium veranschlagt Kosten auf 300 Millionen Dollar


Der Vietnamkrieg endete am 30. April 1975, als das zuvor von den Vereinigten Staaten gestützte Regime in Saigon endgültig zusammenbrach und damit den Weg zur Wiedervereinigung des Landes freimachte. Im nächsten Monat wollen die USA und Vietnam den fünfzehnten Jahrestag ihrer Wiederaufnahme normaler diplomatischer Beziehungen begehen und ihre Partnerschaft in diversen wirtschaftlichen Sektoren wie auch im Militärbereich bekräftigen. Das heißt jedoch keineswegs, daß man in Washington jemals die Verantwortung für den unter einem inszenierten Vorwand begonnenen Angriffskrieg und dessen Opfer übernommen hätte. Aus heutiger Sicht muß man daher die Bilanz ziehen, daß Vietnam den Befreiungskrieg gegen die imperialistische Aggression gewonnen, doch unter dem Strich unendlich viel verloren hat.

Das gilt auch für den massenhaften Einsatz von Agent Orange, unter dessen verheerender Wirkung noch immer zahllose Vietnamesen zu leiden haben. "Der Krieg ist vorbei, doch seine Wunden sind nach wie vor in vielen Regionen des Landes präsent", unterstrich vor wenigen Tagen der Parlamentsabgeordnete Nguyen Van Son. "Zahlreiche Opfer von Agent Orange sind gestorben, doch viele weitere Betroffene, darunter Kinder mit Erbschäden, leiden unter dadurch hervorgerufenen Krankheiten, weshalb sie in ihrem Elend dringend Behandlung und Unterstützung benötigen." [1]

Zwischen 1962 und 1971 versprühten die US-Streitkräfte rund 75 Millionen Liter Agent Orange und andere Herbizide auf einer Fläche, die etwa einem Viertel des Territoriums Südvietnams entsprach. Durch diesen extremen Einsatz giftiger Substanzen wurden rund zwei Millionen Hektar Wald vernichtet und mehr als 200.000 Hektar Agrarflächen zerstört. Laut einer 2009 veröffentlichten Studie der kanadischen Umweltfirma Hatfield Consultants lagen die Dioxinwerte in manchen Proben von Blut und Muttermilch bei Menschen, die in der Nähe des früheren Luftwaffenstützpunkts in Danang gelebt haben, um das Hundertfache über der als noch unschädlich geltenden Obergrenze.

Das hochgiftige Dioxin wird nur sehr langsam abgebaut und wandert aus dem Erdreich mit dem Regenwasser in die Ablagerungen von Flüssen, Seen und Teichen, worauf es im Fett von Fischen und Enten angereichert wird. Durch deren Verzehr gelangt es in den Körper der Menschen, die diese gefährliche Last an künftige Generationen weitergeben. Die Dioxinwerte in Boden, Sedimenten und Fischen dieser Region überschritten international vereinbarte Grenzwerte um das 300- bis 400fache. Die Autoren der Untersuchung gehen davon aus, daß bis zu 100.000 Menschen im Umkreis des Stützpunkts noch immer einem potentiellen Risiko ausgesetzt sind, durch Dioxin zu erkranken.

Das Rote Kreuz Vietnams schätzt, daß bis zu drei Millionen Kinder und Erwachsene durch die Einwirkung von Agent Orange geschädigt worden sind. Die US-Regierung bestreitet diese Größenordnung und geht willkürlich von erheblich niedrigeren Zahlen aus, wobei sie behauptet, daß viele Erbschäden auf andere Ursachen wie beispielsweise Mangelernährung zurückzuführen seien. Seit 2007 hat die US-Regierung lediglich 9 Millionen Dollar bereitgestellt, um die Folgeschäden des Einsatzes von Agent Orange in Vietnam zu beheben. Weitere 12 Millionen könnten im Rahmen eines Gesetzespakets bewilligt werden, das gegenwärtig im Kongreß debattiert wird. Ein Vertreter des US-Außenministeriums erklärte kürzlich bei einem Besuch in Hanoi, man hoffe zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten für derartige Projekte erschließen zu können.

Dies zeigt zweifelsfrei, daß sich die US-Regierung weiterhin der Verantwortung entzieht, Vietnam mit lächerlich geringen Beträgen abspeisen will und die Finanzierung auf private Geldgeber abzuschieben versucht. Washington hatte im Streit mit seinem früheren Kriegsgegner jahrzehntelang vorgehalten, es müßten zunächst weitere wissenschaftliche Studien durchgeführt werden, um zu erforschen, ob tatsächlich ein Zusammenhang zwischen den versprühten Herbiziden und bestimmten Erbschäden und Krankheiten unter der Bevölkerung besteht.

Im Jahr 2007 wurde schließlich ein gemeinsames Gremium von vietnamesischen und US-amerikanischen Politikern, Bürgern und Forschern ins Leben gerufen, das sich des leidigen Streitfalls annahm. Koordiniert von dem gemeinnützigen Aspen Institute und unterstützt von der Ford Foundation prüfte die "U.S.-Vietnam Dialogue Group on Agent Orange/Dioxin" das Ausmaß der Schäden und die mutmaßlichen Kosten, sie zu beheben oder zumindest zu lindern. Nun hat das Gremium einen Aktionsplan vorgestellt, der die US-Regierung und andere Geldgeber dazu aufruft, in den nächsten zehn Jahren jährlich 30 Millionen Dollar bereitzustellen, um die am schwersten mit Dioxin kontaminierten Orte zu reinigen und die Behandlungskosten für Vietnamesen zu übernehmen, die unter Folgeschäden leiden. [2]

Die in der Zehnjahresfrist auf insgesamt 300 Millionen Dollar veranschlagten Kosten kontrastieren um so mehr den Tropfen auf dem heißen Stein, mit dem sich die US-Regierung bislang aus der Affäre gezogen hat. Wie Walter Isaacson, der dem Vorstand des Gremiums angehört, bei der Veröffentlichung des Berichts hervorhob, spreche man über ein maßgebliches Erbe des Vietnamkriegs, das für beträchtliche Irritationen in den so wichtigen Beziehungen zwischen den beiden Ländern sorge. Im übrigen sei die Beseitigung dieser Hinterlassenschaft des Krieges um vieles billiger als die Bewältigung der Ölkatastrophe im Golf, für die BP aufkommen müsse.

Im Report werden nahezu 100 Millionen Dollar für die Wiederherstellung der geschädigten Ökosysteme und insbesondere die Säuberung der mit Dioxin verseuchten Orte veranschlagt, wobei den drei ehemaligen US-Luftwaffenstützpunkten im zentralvietnamesischen Danang sowie den im Süden des Landes gelegenen Bien Hoa und Phu Cat höchste Priorität eingeräumt wird. Dort wurde Agent Orange angemischt, gelagert und in die Flugzeuge geladen, wobei enorme Mengen Dioxin in Boden und Gewässer versickerten. Weitere 200 Millionen Dollar sollen für die medizinische Behandlung und Pflege jener Menschen aufgewendet werden, die durch die Einwirkung dieser giftigen Substanz geschädigt worden sind.

Isaacson verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, daß die US-Regierung mindestens die Hälfte der bis 2020 benötigten 300 Millionen Dollar beisteuern wird, während man den Rest von Unternehmen, Stiftungen und anderen Spendern einzuwerben gedenkt. Daß diese Strategie aufgeht, von der Verantwortung der Verursacher abzusehen und eine pauschale Abwicklung unter erheblicher Beteiligung anderer gesellschaftlicher Akteure vorzuschlagen, muß jedoch bezweifelt werden. Zwar gibt man sich im US-Außenministerium hocherfreut, daß sich das Gremium des sensiblen Themas angenommen habe, das eine wesentliche Rolle in der Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und Vietnam spiele. Wie aber der finanzielle Beitrag der US-Administration letzten Endes aussehen wird, steht auf einem andern Blatt. Schließlich hat man genug neue Kriege zu führen, als daß man sich auch noch um den Scherbenhaufen jenes alten im fernen Südostasien kümmern könnte.

Anmerkungen:

[1] Agent Orange: $300 million price tag to cope with Agent Orange in Vietnam (16.06.10)
Christian Science Monitor

[2] Vietnam: Agent Orange Plan (16.06.10)

New York Times

17. Juni 2010