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MILITÄR/837: Großbritannien erneuert sein Atomwaffenarsenal (SB)


Großbritannien erneuert sein Atomwaffenarsenal

Bau neuer britischen Atom-U-Boote tritt in die Planungsphase


Ungeachtet der erklärten Absicht von Barack Obama zur Schaffung einer atomwaffenfreien Welt - weswegen der erste afroamerikanische Präsident der USA gleich im Antrittsjahr 2009 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde - geht das Wettrüsten mit der schrecklichsten aller Waffen munter weiter. Zwar wollen Rußland und die USA im Rahmen des 2010 unterzeichneten Neuen START-Vertrags ihre Bestände reduzieren, gleichzeitig das jeweils verbliebene Arsenal modernisieren. Und auch für die konservativ-liberale Regierung in London, die wegen einer defizitären Haushaltslage drastische Kürzungen der britischen Staatsausgaben vornimmt und dadurch weite Teile der Bevölkerung gegen sich aufbringt, bleibt ein Bereich vom Sparzwang weitestgehend unberührt, nämlich die U-Bootflotte, die Interkontinentalraketen mit sich führt und Großbritanniens Anspruch auf einen ständigen Sitz und ein Vetorecht im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen begründet. Am 18. Mai hat Verteidigungsminister Liam Fox von der konservativen Partei grünes Licht für die drei Milliarden Pfund - umgerechnet 4,5 Milliarden Euro - teure Planungsphase bezüglich der Beschaffung einer neuen Generation an Unterseebooten, welche die bisherigen Vanguard-Flotte ersetzen soll, gegeben.

Bereits 2007 hatte die damalige Labour-Regierung Tony Blairs mit der Unterstützung der Abgeordneten der eigenen Partei sowie der meisten von den damals oppositionellen Konservativen im britischen Unterhaus die Grundsatzentscheidung zur Erneuerung des britischen Atomwaffenarsenals, dessen Trident-Raketen aus den USA kommen und im Einsatz auf die satellitengestützte Zielerfassungssysteme des Pentagons angewiesen wären, getroffen. Doch nach den Parlamentswahlen vor einem Jahr haben die Liberaldemokraten unter Nick Clegg bei den Verhandlungen über die Bildung einer Regierungskoalition mit den Konservativen unter David Cameron eine Überprüfung der Modernisierungspläne durchgesetzt. Schließlich hatte sich Clegg im Wahlkampf für die Abschaffung der britischen Atomwaffen plädiert, was nach Meinung aller Demoskopen nicht unwesentlich zum besten Ergebnis der Liberaldemokraten seit Jahrzehnten führte. In einem offenen Brief, der kurz vor der Wahl in der Times of London veröffentlicht wurde, haben sogar vier ranghohe Militärs den Clegg-Vorschlag als einzige Möglichkeit begrüßt, die notwendigen Finanzmittel freizusetzen, um die in Afghanistan kämpfende Truppe angemessen auszurüsten und die Streitkräfte Großbritanniens von Grund auf zu modernisieren.

Die Kosten der Ersetzung der vier existierenden Vanguard-U-Booten, von denen drei ständig auf See sind, um die Zweitschlagskapazität zu gewährleisten, während eines überholt wird, werden auf 25 Milliarden Pfund - umgerechnet 40 Milliarden Euro - geschätzt. In dieser Summe nicht inbegriffen sind die laufenden Betriebskosten, der Preis für die Entwicklung und Herstellung der Atomsprengköpfe und die Kosten des Pachtvertrags mit den USA über die Bereitstellung der Trident-Raketen. Alles zusammen werden die Kosten des ganzen Projekts, über das das Parlament 2016 und damit erst in der nächsten Legislaturperiode die endgültige Entscheidung treffen soll, auf rund 80 Milliarden Pfund, umgerechnet 120 Milliarden Euro, geschätzt. Bei der Bekanntgabe der Auftragsvergabe der Planung des Baus der neuen U-Boote hat der Verteidigungsminister deren Vorzüge gepriesen. Mit ihren neuen Kernkraftreaktoren vom Typ Pressurised Water Reactor 3 (PWR3) würden die U-Boote sicherer, so Fox.

Während im Parlament alle konservative Abgeordneten die Entscheidung des Ministry of Defence (MoD) begrüßten, hagelte es Kritik von Vertretern des linken Labour-Flügels. Dennis Skinner zum Beispiel warf Fox vor, nach der Logik seines Arguments, nur mittels Atomwaffen würde die Sicherheit Großbritanniens letztendlich gewährleistet werden, müßte man allen Staaten das Recht auf die gleichen Verteidigungsfähigkeit zugestehen. Die Frage Skinners, ob er für eine Welt, in der jeder Staat im Besitz der Atombombe sei, eintrete, wollte der bloßgestellte Verteidigungsminister natürlich mit keiner Antwort würdigen. Heftige Kritik erntete Fox zudem von Angus Robertson, dem verteidigungspolitischen Sprecher der Scottish National Party (SNP) im Londoner Unterhaus. Robertson machte darauf aufmerksam, daß eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in Schottland, wo die britische Atom-U-Flotte ihren Heimathafen Faslane hat, den Besitz von Kernwaffen ablehnt und ihre Abschaffung fordert. Bei den jüngsten Wahlen zum schottischen Parlament hat die SNP erstmals eine absolute Mehrheit errungen und wird in der kommenden Legislaturperiode erstmals allein regieren. Angesichts der Pläne der Cameron-Clegg-Regierung in London dürfte der Eintritt für die Verbannung von Atomwaffen aus Schottland noch eine Weile zur Attraktivität der SNP beitragen.

21. Mai 2011