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MILITÄR/840: Prompt Global Strike - Allmachtsphantasie weltweiter US-Kriegsführung (SB)


Erneuter Rückschlag beim Test einer ultraschnellen Drohne


Der erneute Rückschlag beim zweiten Test eines ultraschnellen Überschallflugzeugs durch die Forschungsbehörde der US-Streitkräfte - der unbemannte Falcon HTV-2 versenkte sich selbst vorzeitig im Pazifik - gemahnt an die Allmachtsphantasie US-amerikanischer Kriegsführung. Der im Konzept Prompt Global Strike formulierte Anspruch, binnen einer Stunde an jedem Ort auf dem Globus vernichtend zuschlagen zu können, kommt der ausschließlich in Kategorien von Bedrohung und Zerstörung operierenden Vollendung waffengestützter Weltherrschaft nahe. Davon träumte bereits Ronald Reagan mit seiner im Kalten Krieg entwickelten Science-Fiction-Strategie von Star Wars, der George W. Bush im Zuge des sogenannten Antiterrorkriegs zu neuem Leben verhalf. Niemand sollte sich vor der eisernen Faust der Vereinigten Staaten in Sicherheit wähnen, selbst wenn er sich weit entfernt in einer afghanischen Höhle verbarg. Barack Obama, der Falke unter dem Tarnkleid einer Friedenstaube, gab dieser Doktrin unter dem fadenscheinigen Vorwand, man könne auf diesem Wege atomar abrüsten, ohne an Verteidigungsfähigkeit einzubüßen, erneut grünes Licht.

Blieb der Wunsch, über ein derartiges konventionelles Waffensystem zu verfügen, durchgängig ungebrochen, so sorgten doch vorerst unlösbare Probleme technischer und insbesondere militärstrategischer Natur dafür, daß die Entwürfe zwischenzeitlich in der Schublade verschwanden. Das schnellstmögliche Transportmedium eines Gefechtskopfs in Gestalt einer Interkontinentalrakete lief zwangsläufig Gefahr, von russischen oder chinesischen Abwehrsystemen als Angriff mit Nuklearwaffen interpretiert zu werden und damit einen Atomkrieg auszulösen. Verschiedene Ansätze, dieses auch für die USA höchst bedrohliche Szenario auszuschließen, haben ihrerseits Tücken. Russischen und chinesischen Inspektoren im Zuge vertrauensbildender Maßnahmen Zutritt zu US-Raketenstützpunkten zu gewähren wäre ein Alptraum für amerikanische Militärs, weshalb diese Option keine Aussicht auf Verwirklichung hat. Abgesehen davon gibt man sich in Moskau und Beijing sicher nicht der Illusion hin, Prompt Global Strike richte sich ausschließlich gegen "Terroristen" und "Schurkenstaaten". Jeder militärtechnische Vorsprung der USA bringt die entscheidenden Kriege der Zukunft einen Schritt näher, in denen die westlichen Mächte in welcher Konstellation auch immer gegen die beiden großen Rivalen zu Felde ziehen.

Um so entschiedener erforschen und erproben die US-Streitkräfte mit dem Segen der Regierung alternative technologische Optionen, riesige Distanzen in der konzeptionell geforderten Frist von nicht mehr als einer Stunde zu überbrücken. Um einen konventionellen Angriffskrieg zu beginnen, sind nach gegenwärtigem Stand mindestens mehrere Tage, eher noch Wochen der Vorbereitung erforderlich. Selbst für die sogenannten Air Expeditionary Forces werden 48 Stunden und für Kampfgruppen mit Flugzeugträgern 96 Stunden veranschlagt. Da die Doktrin des Prompt Global Strike einen Militärschlag unabhängig von der jeweils aktuellen Position der Trägerverbände oder anderer vorgelagerter Truppenteile vorsieht, bleiben Entfernungen vom halben Erdumfang, also rund 20.000 Kilometer, die letztendliche Vorgabe.

Theoretisch vorgedacht ist die technische Umsetzung in Gestalt von Interkontinentalraketen oder überschallschnellen Cruise Missiles, die von einer Raumstation abgefeuert werden. Diese Varianten sind jedoch zu riskant bzw. viel zu teuer, weshalb sich die Entwicklung derzeit unter anderem auf einen ultraschnellen Gleiter ohne eigenen Antrieb konzentriert. Ein solches Vehikel kann mit einer Rakete oder einem Flugzeug in Position gebracht werden, um sich dann mit gewaltiger Beschleunigung durch die abfallende Flugbahn auf sein Ziel zu stürzen. Dort könnte es einen Gefechtskopf, eine Vielzahl kleiner Geschosse oder sogar Kleindrohnen freisetzen. Wenngleich es sich um eine konventionelle Waffe handelt, ist die Wirkung verheerend. Durch die enorme Geschwindigkeit des herabfallenden Fluggeräts entwickelt dessen Inhalt beim Auftreffen eine unvorstellbare Durchschlagskraft. Beispielsweise sieht ein Modellentwurf die Freisetzung tausender gehärteter Metallstifte vor, die im Umkreis ihres Auftreffens jedes Material durchdringen und regelrecht wegrasieren.

Bei dem aktuell im Pazifik versenkten Falcon Hypersonic Technology Vehicle 2 (HTV-2) handelt es sich um eine von Lockheed Martin gebaute acht Meter lange, flügellose Drohne in Keilform, die über keinen eigenen Antrieb verfügt. Eine Trägerrakete bringt sie in 100 Kilometer Höhe in Position, worauf sie sich mit Mach 20, also rund 20facher Schallgeschwindigkeit oder mehr als 20.000 Kilometer pro Stunde, auf das Ziel stürzen soll. [1]

Nachdem ein zunächst vorgesehener früherer Starttermin wegen schlechten Wetters verschoben worden war, brachte man nun bereits zum vierten Mal innerhalb eines Jahres einen Hyperschall-Flugkörper ins All. Von der Vandenberg Air Force Base in Kalifornien beförderte eine Trägerrakete vom Typ Minotaur IV den Falcon HTV-2 an die gewünschte Position, von der aus das Fluggerät in die Gleitflugphase überging. Zunächst teilte die Forschungsabteilung des Verteidigungsministeriums (Defense Advanced Research Projects Agency - DARPA) per Kurznachrichtendienst Twitter mit, der Flugkörper habe sich ordnungsgemäß von der Rakete getrennt. Der Prototyp sollte plangemäß 30 Minuten lang in westlicher Richtung fliegen, um schließlich in etwa 6.400 Kilometer Entfernung in der Nähe des Kwajalein Atolls in den Pazifik zu stürzen. Das Kontrollzentrum verlor jedoch nach etwa 20 Minuten den Kontakt zu der Maschine und teilte kurze Zeit später wiederum per Twitter-Posting mit, das Flugzeug sei mit einer "selbständigen Flugbeendigungs-Technik" ausgestattet und habe sich wohl selbst im Ozean versenkt. Vergeblich war der Test nach Aussage der DARPA dennoch nicht, da die Drohne während der ersten Phasen ihres Fluges "einzigartige" Daten übermittelt habe. Indessen sei es noch nicht gelungen, während der aerodynamischen Phase des Fluges die erforderliche Kontrolle über das Gerät zu gewinnen. [2]

Schon der Jungfernflug des Falcon am 22. April 2010 verlief wenig erfolgreich. Damals stürzte die Drohne nach neun Minuten Flugzeit ins Meer und konnte nicht mehr geborgen werden. Auf einer parallel betriebenen Entwicklungsschiene testete die US-Luftwaffe wenige Wochen später ein Fluggerät vom Typ X-51A erfolgreich. Nachdem zunächst ein B-52-Bomber die Maschine in eine Höhe von 15 Kilometern gebracht und ausgeklinkt hatte, beschleunigte eine Feststoffrakete das Geschoß auf fast fünffache Schallgeschwindigkeit. Dann übernahm ein sogenanntes Überschall-Verbrennungsstaustrahltriebwerk (Scramjet) den Antrieb, der das Fluggerät rund drei Minuten lang mit mehr als Mach 5 durch die Atmosphäre donnern ließ. Hingegen schlug ein zweiter Test der X-51A im Juni fehl, da das Scramjet-Triebwerk nicht ansprang. [3]

Die Fluggeschwindigkeit zu steigern, war seit Beginn der modernen Luftfahrt ein zentrales Anliegen der Militärs. Im Oktober 1947 gelang mit dem US-amerikanischen Experimental- und Raketenflugzeug Bell X-1 der erste bemannte horizontale Überschallflug. Den Rekord für Turbinenflugzeuge hält gegenwärtig die Lockheed SR-71, welche die US-Luftwaffe unter dem Namen Blackbird als hoch fliegende Aufklärungsmaschine einsetzt. Die Höchstleistung für bemannte Flugzeuge wurde mit der X-15 erzielt, die 7.274 km/h (Mach 6,72) und eine Flughöhe von 107.960 Metern erreichte. Den Geschwindigkeitsrekord für Düsenflugzeuge hält die unbemannte X-43, die im November 2004 rund 10.000 Kilometer in der Stunde erzielte.

Die Technologie, den Flug bei extrem hohen Geschwindigkeiten zu beherrschen, steckt also keineswegs in den Kinderschuhen, ist aber dennoch weit von den ausgewiesenen Zielen entfernt. Das hindert ihre Protagonisten nicht an optimistischen Prognosen. Wenngleich es dabei natürlich nicht zuletzt um den Fortbestand des Projekts und die Sicherung weiterer finanzieller Mittel geht, ist in politischer und militärischer Hinsicht auch die Drohung von Belang, man werde in absehbarer Zeit über derartige Waffensysteme verfügen. Sofern sich bei dieser Forschung utopische und realistische Ansätze wild kreuzen und vermischen, ist das doch nicht ungewöhnlich für Vorstöße in wissenschaftlich-technisches Neuland. Zwar kann man die Schutzbehauptung getrost verwerfen, wonach diese Technologie auch für die kommerzielle Luftfahrt Früchte tragen werde. Ernstzunehmen ist jedoch das Bestreben der Politiker und Militärs, ihre Instrumente innovativer Kriegsführung zu perfektionieren und in Stellung zu bringen. Das lehrt gerade in jüngerer Zeit der Einsatz von Drohnen, die ihr mörderisches Werk am Himmel Pakistans, Afghanistans und des Iraks wie auch an anderen Kriegsschauplätzen verrichten oder zur Spionage im Ausland und Überwachung der Heimatfront weltweite Verbreitung finden.

Fußnoten:

[1] http://www.heise.de/tp/artikel/35/35296/1.html

[2] http://www.welt.de/politik/ausland/article13540685/Superschnelle-US-Drohne-verschwindet-vom-Radar.html

[3] http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/0,1518,779779,00.html

12. August 2011