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MILITÄR/871: Antiterrorkrieg dauert mindestens weitere 20 Jahre (SB)


Antiterrorkrieg dauert mindestens weitere 20 Jahre

Pentagon-Vertreter beschwören Dauerkonflikt mit dem "radikalen Islam"



Als am Abend nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 Präsident George W. Bush den "globalen Antiterrorkrieg" ausrief, fügte kurz darauf sein Vizepräsident Dick Cheney hinzu, der Konflikt würde "mindestens eine Generation" andauern, wenn nicht sogar länger. Bereits am 12. September 2001 will der frühere NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark im Pentagon vom ehemaligen Stellvertretenden US-Verteidigungsminister Richard Perle, der damals als Oberfalke der Neokonservativen galt, eine Liste von sieben Ländern vorgelegt bekommen haben, in denen die USA beabsichtigten, innerhalb von fünf Jahren mit militärischen Mitteln für einen "Regimewechsel" zu sorgen. Es handelte sich um den Irak, den Iran, Libanon, Libyen, Somalia, den Sudan und Syrien.

Weil sich die Taliban weigerten, ihren saudischen Gast Osama Bin Laden, den angeblichen Auftraggeber der Flugzeuganschläge, bedingungslos auszuliefern, marschierten im Oktober 2001 westliche Truppen in Afghanistan ein. Im März 2003 folgte die angloamerikanische Invasion des Iraks unter dem Vorwand, Saddam Hussein könnte Al Kaida "Massenvernichtungswaffen" zur Verfügung stellen. Ende 2011 verließen die letzten US-Kampftruppen den Irak. Bis Ende 2014 sollen sie aus Afghanistan abgezogen sein. Dennoch geht Bushs "Antiterrorkrieg" unvermindert weiter. In unzähligen Ländern machen US- Spezialstreitkräfte geheime Jagd auf "Terroristen", während die CIA Drohnenangriffe auf Al-Kaida-nahe Gruppen in Afghanistan, Pakistan, Somalia und Jemen durchführt und sie im Irak, Mali und Syrien erwägt.

In den USA tobt seit einiger Zeit eine heftige Debatte um die Rechtmäßigkeit der CIA-Drohnenangriffe, zumal die Kriterien, wonach der Präsident und sein Kabinett solche Aktionen anordnen, bis heute aus Gründen der "nationalen Sicherheit" unter Verschluß gehalten werden. Einige Kritiker meinen, der Präsident überschreite damit seine verfassungsmäßigen Kompetenzen und verweisen auf die Tötung Anwar Al-Awlakis und dessen 16jährigen Sohn Abdulrahman im Jemen im Jahr 2011. Als "Radikalprediger" und mutmaßliches Mitglied von Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel stand Anwar Al-Awlaki bereits auf der vom State Department und FBI geführten Terroristenliste. Doch als US-Bürger hätten laut Verfassung die gegen seine Person erhobenen Vorwürfe vor einem ordentlichen Gericht verhandelt werden müssen und nicht einfach als Legitimation für eine außergerichtliche Tötung herhalten dürfen. Bis heute hat es seitens der Regierung von Präsident Barack Obama keine Erklärung gegeben, warum das Leben des in Denver geborenen Abdulrahman Al-Awlaki, gegen den keinerlei terroristische Verdachtsmomente vorlagen, zwei Wochen nach der außergerichtlichen Hinrichtung seines Vaters von einer Hellfire-Rakete ausgelöscht wurde.

Vor dem Hintergrund der Drohnendiskussion gibt es im US-Kongreß zaghafte Bemühungen, das ursprüngliche Mandat für den Antiterrorkrieg, die am 14. September 2001 von Repräsentantenhaus und Senat verabschiedete und von Bush jun. vier Tage später unterzeichnete Authorization for Use of Military Force (AUMF), zu revidieren. Das Gesetz autorisierte den Präsidenten der Vereinigten Staaten als Oberbefehlshaber der Streitkräfte, jede "notwendige und angemessene Gewalt" gegen diejenigen anzuwenden, welche die 9/11-Angriffe "geplant, genehmigt, durchgeführt" oder dabei "geholfen haben" bzw. ersteren Zuflucht leisteten. Doch von den "Verantwortlichen" für die Flugzeuganschläge läuft heute keiner mehr frei herum. Die mutmaßlichen 19 Hijacker sollen alle beim Anschlag ums Leben gekommen sein; der mutmaßliche Auftraggeber Bin Laden soll 2011 von Spezialstreitkräften der US-Marine im pakistanischen Abbottabad erschossen worden sein; "Chefplaner" Khalid Sheikh Mohammed und fünf weitere Beteiligte des Komplotts befinden sich seit 2006 im Sonderinternierungslager auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba, wo ihr Fall vor einem Militärtribunal verhandelt wird und ihnen die Todesstrafe droht. Dessen ungeachtet setzt sich das Pentagon gegen das Streben der Legislative, Einblick und Kontrolle in bzw. über die Anwendung militärischer Gewalt durch die Exekutive zur Bekämpfung des "internationalen Terrorismus" zu erlangen, energisch zur Wehr. Dies wurde bei einer entsprechenden Anhörung vor dem Senat am 16. Mai recht deutlich.

Unter freundlicher Befragung des republikanischen Senators aus South Carolina, Lindsey Graham, der als Kriegsfalke bekannt ist, gab Michael Sheehan, der im US-Verteidigungsministerium für Spezialoperationen zuständige Unterstaatssekretär, die Einschätzung ab, wonach der Kampf gegen den "radikalen Islam" nicht nur die zweite Amtszeit Obamas überdauern, sondern "mindestens zehn bis zwanzig Jahre" weitergehen werde. Sheehan erklärte zudem die ganze Welt - "von Boston bis FATA" (die unter Bundesverwaltung stehenden Stammesgebiete Pakistans an der Grenze zu Afghanistan - Anm. d. SB-Red.) - zum Kriegsschauplatz und behauptete, die AUMF erlaube es dem Präsidenten, US-Truppen in jedes Land hineinzuschicken. Wenig überraschend, sprach sich Sheehan gegen Veränderungen an der AUMF aus. Auf die Frage Grahams, ob die sehr weitgehende Auffassung Sheehans mit dem offiziellen Standpunkt des Pentagons identisch sei, antwortete der anwesende Rechtsbeistand des US-Verteidigungsministeriums, Robert Taylor, mit Ja.

Sehr zur Verärgerung des linken, parteiunabhängigen Senators aus Maine, Angus King, sprachen Sheehan und Taylor in ihren Ausführungen häufiger von den "Verbündeten" Al Kaidas, die es zu bekämpfen gelte. Mit dieser Formulierung - die übrigens nirgendwo in der ursprünglichen AUMF zu finden ist - haben die Verantwortlichen im Sicherheitsapparat den Feind im "Antiterrorkrieg" neu definiert und das Problem behoben, daß die ursprünglichen Ziele des Gesetzes entweder auf dem juristischen oder dem "kinetischen" Weg von dem Schlachtfeld Erde längst entfernt wurden. Die Frage, wann oder ob überhaupt der "Antiterrorkrieg" beendet sein würde, konnten oder wollten sie nicht beantworten. In diesem Punkt kam es zum folgenden haarsträubenden Wortwechsel, der am 17. Mai in der Washington Post zitiert wurde:

"Läuft die AUMF aufgrund einer Erklärung des Präsidenten, eines Beschlusses des Kongresses oder eines tatsächlichen Ereignisses in der Welt aus?", fragte Senator Timothy M. Kaine (Demokrat - Virginia). "Wir haben uns noch nicht entschieden, wie der Konflikt zu Ende geht. Wie genau das geschrieben und festgestellt wird, ist unklar", sagte Taylor.

Wie man inzwischen aufgrund zahlreicher Medienberichte und Studien von Akademikern weiß, schüren die Drohnenangriffe im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan und im Jemen den Antiamerikanismus und treiben viele junge Männer aus dem Wunsch nach Vergeltung für den Verlust von Freunden und Verwandten in die Arme der Taliban respektive Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel. In Syrien hat die CIA wegen des von Washington angestrebten "Regimewechsels" in Damaskus eigens - natürlich mit Hilfe von Katar, Saudi-Arabien und der Türkei - jene salafistische Al-Nusra-Front aufgerüstet und finanziert, deren Anführer sie sich jetzt per Drohne angeblich wieder entledigen will. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß CIA und Pentagon für den Nachwuchs bei den Al-Kaida-"Verbündeten" sorgen, damit der "Antiterrorkrieg", von dem die Rüstungsindustrie und privaten Sicherheitsdienste der USA seit 2001 enorm profitieren, am Leben erhalten bleibt.

21. Mai 2013