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MILITÄR/883: Ukraine-Krise gefährdet Internationale Raumstation (SB)


Ukraine-Krise gefährdet Internationale Raumstation

Kalter Krieg wieder da - Entspannungspolitik verliert an Bedeutung



Nach dem Votum der Menschen in der Ostukraine am 11. Mai für die Loslösung von Kiew droht eine weitere Eskalation des neuen Kalten Krieges zwischen Rußland und den USA. Moskau hat äußerst zurückhaltend auf die Bitte der beiden ostukrainischen Oblasten Donezk und Luhansk nach Beitritt zur Russischen Föderation reagiert und sich statt dessen für die Durchführung der geplanten Präsidentenwahl am 25. Mai ausgesprochen, damit der ukrainische Staat bald wieder von einer demokratisch legitimierten Person und nicht mehr nur von einer neofaschistischen Putschregierung vertreten wird. Der Kreml steht auch den Bemühungen Deutschlands um einen Dialog zwischen pro-westlichen und pro-russischen Kräften in der Ukraine, um einen Bürgerkrieg zu vermeiden, positiv gegenüber. Dennoch hat der maßgeblich von neokonservativen Kräften im US-Außenministerium vorangetriebene gewaltsame Machtwechsel in Kiew Ende Februar in den amerikanisch-russischen Beziehungen einen derartigen Vertrauensbruch verursacht, daß eine Wiederkehr zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Washington und Moskau in absehbarer Zeit schwer vorstellbar ist.

Das deutlichste Zeichen des Bruchs in den Beziehungen der beiden Staaten war die Annektierung der Krim durch Rußland am 18. März, zwei Tage nachdem die Bevölkerung dort in einem Plebiszit mit überwältigender Mehrheit für den Beitritt zur Russischen Föderation votiert hatte. Ungeachtet des Präzedenzfalls Kosovo werfen die Amerikaner den Russen jetzt vor, erstmals die staatlichen Grenzen in Europa nach 1945 gewaltsam verändert zu haben. Während das Pentagon Boden- und Luftstreitkräfte nach Polen, Rumänien und in das Baltikum entsandte und den Ausbau seines Raketenabwehrsystems unter anderem durch die Verlegung von Lenkwaffenzerstörern in das Schwarze Meer forciert, ziehen US-Politiker und -Medienkommentatoren gegen Wladimir Putins Rußland als unerträglichen Störfaktor der internationalen Staatenordnung ideologisch zu Felde.

Die Rücksichtslosigkeit, mit der die USA die NATO immer weiter nach Osten ausdehnen und offenbar nun sogar die slawische Ukraine in die nordatlantische "Sicherheitsarchitektur" aufzunehmen gedenken, hat die Befürchtungen der Russen, dahinter stecke die Absicht, ihr Land einzukreisen und es über kurz oder lang zu einem weiteren Vasallenstaat Washingtons zu machen, bestätigt. Entsprechend konsequent reagiert Moskau nun auf die ersten Wirtschaftssanktionen, welche die Amerikaner und ihre europäischen NATO-Partner verhängt haben. Am 13. Mai hat die russische Regierung den Export des Raketenmotors RD-180 in die USA stark eingeschränkt. Künftig darf der Motor, der in der ersten Stufe der Galaxy-V-Rakete von Boeing und Lockheed Martin, die mit einigen Subunternehmen die United Launch Alliance (ULA) bilden, verwendet wird, nicht mehr benutzt werden, um US-Militärsatelliten ins All zu befördern.

Zwar darf der RD-180 weiterhin zu zivilen Zwecken eingesetzt werden, aber auch im diesem Bereich hat der Kreml die Zeichen der Zeit erkannt. Ebenfalls am 13. Mai gab Vizepremier Dimitri Rogosin, der frühere russische Botschafter bei der NATO, bekannt, daß Moskau an einer Fortsetzung des gemeinsamen Betriebs der seit 1998 im All befindlichen, 100 Milliarden Dollar teuren Internationalen Raumstation ISS nach dem Ablauf der entsprechenden Verträge im Jahr 2020 nicht mehr interessiert sei (seit dem Ende des US-Shuttle-Programms 2011 erfolgt der Transport von amerikanischem Material und Personal zur ISS ausschließlich unter Einsatz russischer Kosmonauten und Sojus-Raketen). Darüber hinaus kündigte Rogosin eine Beendigung des Betriebes von 11 GPS-Stationen auf russischem Territorium zum ersten Juni an.

Die Entscheidung Rußlands, der wissenschaftlichen Zusammenarbeit im Rahmen des Prestigeprojekts ISS den Rücken zu kehren, mag aus russischer Sicht nachvollziehbar sein. Dennoch macht sie die Hoffnungen auf eine internationale Völkerverständigung und die Schaffung einer friedlichen Welt zunichte. Wenn nicht bald die Vernunft in Washington die Oberhand gewinnt und die Administration Barack Obamas auf Putin und die russische Führung zugeht, ist zu befürchten, daß die wichtigsten Abrüstungsverträge und damit auch die Rüstungskontrolle an Bedeutung verlieren - zugunsten neuer Kriegsvorbereitungen. Sollte Moskau in den kommenden Tagen den Vertrag über den Transport von nicht-militärischem Material für die NATO in Afghanistan über den Luftwaffenstützpunkt Uljanowsk bzw. über das russische Schienennetz - in NATO-Jargon das Northern Distribution Network (NDN) - aufkündigen, wäre das der endgültige Beweis dafür, daß ein neuer Kalter Krieg ausgebrochen ist.

So oder so haben die Entwicklungen des letzten halben Jahres das Vertrauen Rußlands in die Verläßlichkeit der wichtigsten NATO-Staaten erschüttert und Moskau zu einer stärkeren Orientierung nach China veranlaßt, mit dem man ohnehin im Rahmen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit verbündet ist. China ist Rußlands wichtigster Handelspartner. Das grenzübergreifende Geschäft beider Staaten betrug nach Angaben der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg im Jahr 2012 fast 100 Milliarden Dollar. Wie die International Business Times am 10. Mai berichtete, will Moskau Peking demnächst zu verstärkten chinesischen Investitionen in den Abbau von Bodenschätzen sowie in infrastrukturelle Großprojekte einladen. Auf diese Weise sollen die Auswirkungen westlicher Wirtschaftssanktionen abgemildert werden. Schon heute wird in Rußland darüber spekuliert, daß wohl ein chinesisches Konsortium den Zuschlag für den Bau einer geplanten Brücke für den Straßen- und Schienenverkehr zwischen dem russischen Festland und der Krim erhalten werde. Die Kosten des ehrgeizigen Vorhabens werden auf 1,4 Milliarden Dollar geschätzt.

Am 20. Mai wird Putin in Peking erwartet. Aus Moskauer Regierungskreisen wird bereits signalisiert, daß anläßlich des Staatsbesuchs Rußland und China ihre schon länger geführten Verhandlungen über den Bau einer großen Pipeline, um China für die nächsten 30 Jahren mit Erdgas zu versorgen, zum Abschluß bringen und daß Putin und sein Amtskollege Xi Jinping der Unterzeichnung entsprechender Verträge beiwohnen werden. Ein nicht unwichtiger Aspekt der voraussichtlich letzten Verhandlungsrunde dürfte die Art der Bezahlung sein. Am 13. Mai berichtete das Online-Wirtschaftsmagazin Zero Hedge von aktuellen Bestrebungen des Moskauer Finanzministeriums, den Anteil des US-Dollars am Handel russischer Unternehmen mit dem Ausland so bald wie möglich auf null zu reduzieren. Daher geht man bei Zero Hedge davon aus, daß das große chinesisch-russische Gasgeschäft in Rubel und Yuan fakturiert und die US-Regierung dies als direkten Angriff auf die Dollar-Hegemonie im internationalen Handel betrachten wird.

15. Mai 2014