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MILITÄR/885: Israelis loben Mogelpackung Iron Dome in den Himmel (SB)


Israelis loben Mogelpackung Iron Dome in den Himmel

In Gaza feiert der Westen seine waffentechnologische Überlegenheit



Die Ziele Israels bei der jüngsten Gaza-Offensive Operation Protective Edge lassen sich nicht eindeutig ausmachen. Geht es der israelischen Regierung wirklich darum, die "terroristische Infrastruktur", sprich das Raketenarsenal, der Hamas und des islamischen Dschihads für immer und ewig zu vernichten? Dafür wäre vermutlich eine Bodenoffensive nötig, die auch für Israel mit Verlusten einherginge, weshalb Premierminister Benjamin Netanjahu trotz der Einberufung von 40.000 Reservisten vermutlich noch zögert. Oder geht es Tel Aviv vielleicht in erster Linie darum, seine diplomatische Position nach dem Scheitern der jüngsten Friedensverhandlungen zu verbessern und den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas dazu zu zwingen, die neue Einheitsregierung seiner Fatah in Ramallah mit der Hamas in Gaza-Stadt aufzukündigen?

Auch wenn es noch keine Antworten auf diese Fragen gibt, so läßt sich aber eines mit Sicherheit zu Operation Protective Edge feststellen, nämlich daß es sich hier um eine gigantische Machtdemonstration handelt, bei der die kriegstechnologische Überlegenheit des Westens regelrecht zelebriert wird. Auf israelischer Seite kommen Kampfjets, Drohnen und Kriegsschiffe zum Einsatz. Inzwischen wurden Hunderte Panzer sowie Planierraupen rund um den Gazastreifen zusammengezogen. Die israelische Militärführung reklamiert für sich, bei ihrem Bombardement des Gazastreifens soviel Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen, wie vor ihr noch keine andere Armee. Diese Behauptung läßt sich jedoch schwer mit den Tatsachen vor Ort in Einklang bringen. Am vierten Tag der Offensive ist die Zahl der getöteten Palästinenser auf 125 angestiegen, die der Verletzten auf 924. Bei rund Zweidrittel der Opfer handelt es sich um Zivilisten, darunter viele Frauen, Kinder und ältere Menschen. Von israelischen Bomben und Raketen wurden bislang zahlreiche Wohnungen, mehrere Krankenhäuser, ein Strandcafé, ein Waisenheim, eine Bank, ein besetztes Presseauto, das mit den Großbuchstaben TV auf der Karosserie eindeutig identifiziert war, und die Wasserleitung zu einem Flüchtlingslager entweder schwer beschädigt oder völlig zerstört.

Auch im Bereich der Defensivwaffen feiern sich die Israelis als die wahren Beschützer menschlichen Lebens. Trotz des Abschusses Hunderter Raketen der Hamas und des Islamischen Dschihads auf Israel ist dort bislang niemand ums Leben gekommen. Dieser Umstand wird in den westlichen Medien als Beweis für die Effektivität des israelischen Raketenabwehrsystems Iron Dome, ein Gemeinschaftprojekt von Rafael Advanced Defense Systems und Israel Aerospace Industries, das die USA mit rund einer Milliarde Dollar finanziert haben, kolportiert. Bei den jüngsten Kampfhandlungen weise Iron Dome eine Erfolgsquote von 90 Prozent auf, behauptete die für die NATO-Sphäre tonangebende New York Times am 10. Juli unter Berufung auf das israelische Militär.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Ebenfalls am 10. Juli berichtete David Talbot für die Onlinezeitschrift Technology Review, die vom renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) herausgegeben wird, daß der beschriebene Erfolg von Iron Dome in Wirklichkeit keiner sei. Der Umstand, daß noch niemand in Irsael von einer palästinensischen Raketen getötet wurde, sei vielmehr eine Frage des Glücks. In einer Analyse der vorhandenen Videoaufzeichnungen der bisherigen Fälle, wo Iron Dome funktioniert haben soll, kommen Richard Lloyd, ein früherer Mitarbeiter des US-Rüstungskonzerns Raytheon, und MIT-Physiker Theodore Postol zu dem Ergebnis, daß die Abfangraketen die palästinensischen Raketen lediglich mittels Metallstangen, die sie in der Nähe des Ziels freisetzen, aus der Bahn werfen bzw. zum Absturz bringen. Der Sprengkopf der feindlichen Rakete, der eigentlich hoch oben in der Luft getroffen und zerstört werden sollte, bleibt jedoch intakt. Das System funktioniert nicht, auch wenn seine Befürworter es behaupten.

Postol, der früher an der Entwicklung von Raketenabwehrsystemen für Kriegsschiffe der US-Marine gearbeitet hat, ist sich über die begrenzten Fähigkeiten dieser Technologie im Klaren. Seit Jahren steht er ganz oben an der Spitze derjenigen, welche das großangelegte Raketenabwehrsystem zum Schutz Nordamerikas und Westeuropas vor feindlichen Interkontinentalraketen aus dem Iran oder Nordkorea als eine gigantische, aber wenig sinnvolle Subvention der US-Rüstungsindustrie kritisieren. Im Anschluß an den Golfkrieg 1991 und den Irakkrieg 2003 hat er in wissenschaftlichen Untersuchungen die Erfolgsmeldungen für das Patriot-System als Schönfärberei enthüllt. Nach der letzten Gaza-Offensive der Israelis in November 2012 war sein Urteil über die Leistung von Iron Dome vernichtend: "Die Abfangquote ... definiert als die Zerstörung des Sprengkopfes der Rakete, lag ziemlich niedrig - bei rund 5 Prozent, eventuell auch darunter."

In einem Interview mit dem BBC-Verteidigungskorrespondenten Jonathan Marcus, das am 12. März 2013 beim Onlinedienst des staatlichen britischen Rundfunks erschienen ist, hatte Postol Verständnis für das Vorgehen der Israelis geäußert, den Einsatz von Iron Dome in der Öffentlichkeit über Gebühr zu loben und die technischen Einsatzdaten für sich zu behalten. Gleichwohl wandte er sich dagegen, daß die USA in Zeiten knapper Staatskassen ungeheure Summen für ein Rüstungssystem ausgeben, das "kaum funktioniert". "Die Aufrechterhaltung eines solchen Täuschungsmanövers kann nur zur Verschwendung begrenzter Verteidigungsmittel führen", warnte Postol damals. Seine Meinung in dieser Frage dürfte sich bis heute nicht geändert haben.

12. Juli 2014