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MILITÄR/890: Treffen Merkel-Obama zur Ukraine-Krise in Washington (SB)


Treffen Merkel-Obama zur Ukraine-Krise in Washington

Amerikas außenpolitische Elite auf Konfrontationskurs mit Moskau


Am heutigen 9. Februar 2015 kommt die deutsche Kanzlerin Angela Merkel im Weißen Haus mit US-Präsident Barack Obama zu Beratungen zusammen, die schwerwiegendere Folgen haben könnten als alles andere, was die Regierungschefs der beiden wirtschaftlich stärksten NATO-Staaten in den letzten sechs Jahren zu besprechen gehabt haben. Es geht um den aktuellen Konflikt in der Ukraine zwischen den Truppen der Zentralregierung in Kiew und pro-russischen Aufständischen in der östlichen Donbass-Region, der, sollte er nicht beigelegt werden, zu einem "totalen Krieg" - O-Ton François Hollande - zwischen den Atommächten USA und Rußland eskalieren könnte.

Die Gefahr einer von niemandem mehr aufzuhaltenden Eskalation steht seit der Veröffentlichung des Artikels "U.S. Considers Supplying Arms to Ukraine Forces, Officials Say" am 2. Februar in der New York Times im Raum. In dem Artikel hieß es, NATO-Oberbefehlshaber US-General Philip Breedlove trete für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ein, Außenminister John Kerry, die Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice, Generalstabschef Martin Dempsey und der scheidende Verteidigungsminister Chuck Hagel seien der Idee nicht abgeneigt. Unterstützung für die Initiative Breedloves kommt von einer Gruppe ehemaliger, ranghoher Militärs und Regierungsbeamter, die im Auftrag der einflußreichen Denkfabriken Brookings Institution, Atlantic Council und Chicago Council on Global Affairs einen Bericht veröffentlicht haben, in dem sie die Lieferung von "Defensivwaffen" im Wert von drei Milliarden Dollar an die ukrainische Armee, darunter panzerbrechende Raketen, Aufkärungsdrohnen, gepanzerte Fahrzeuge und mobile Radaranlangen, fordern. Zu den Autoren des "unabhängigen" Berichtes gehören nach Angaben der New York Times Strobe Talbott, der unter Bill Clinton Vizeaußenminister war, und die ehemalige Staatssekretärin im Pentagon Michelle Flournoy, die für den Fall, daß Hillary Clinton 2016 die Präsidentenwahl gewinnt, bereits jetzt als künftige Verteidigungsministerin gehandelt wird.

Der NYT-Artikel über den fortgeschrittenen Stand der Beratungen in Washington soll der Grund gewesen sein, warum Merkel und Hollande am 5. Februar zu einer nicht-geplanten gemeinsamen diplomatischen Mission nach Kiew und Moskau aufgebrochen waren. Bisher lief die militärische Hilfe des Westens für die Regierung in Kiew und Rußlands für die Rebellen verdeckt ab. Genauso wie hierzulande die Medien voll von Meldungen über die Anwesenheit russischer Soldaten in der Ostukraine sind, gibt es immer wieder Berichte russischer und chinesischer Medien über die Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte durch englisch sprechende Männer. Ob das CIA-Agenten, Spezialstreitkräfte des einen oder anderen NATO-Staates oder Mitarbeiter eines privaten Söldnerdienstes à la Blackwater sind, wissen vermutlich nur diese Personen und ihre Auftraggeber selbst. Während Moskau bezichtigt wird, die Rebellen großzügig mit Waffen auszustatten, kursieren wiederum Gerüchte, wonach die Ukraine per Militärtransportflugzeug regelmäßig Rüstungsgüter aus den osteuropäischen Nachbarländern erhält.

Sollten jedoch die Amerikaner dazu übergehen, die Ukrainer offiziell mit Waffen zu versorgen, wäre eine brandgefährliche Schwelle überschritten. Es kämen dann vermutlich nicht nur Waffen aus NATO-Beständen, sondern auch westliche Soldaten als Techniker und Berater in das ukrainische Kriegsgebiet. Wie der russische Militärexperte Jewgeni Buchinski am 31. Januar in der Süddeutschen Zeitung warnte, sähe Moskau sich in einem solchen Szenario gezwungen, auf der Seite der Aufständischen offen zu intervenieren. Buchinski meinte, die russischen Streitkräfte würden dann bis Kiew durchmarschieren und die Hauptstadt einnehmen, was die NATO wiederum in eine schwierige Lage brächte. Um das Gesicht zu wahren, müßte die Nordatlantische Allianz einen Atomkrieg vom Zaun brechen, so Buchinski. Derzeit befinden sich die ukrainischen Streitkräfte in einem desolaten Zustand. Sie erleben im Kampf gegen die Rebellen eine Niederlage nach der anderen, wie zuletzt am Flughafen von Donezk. Aus Angst einberufen und in einem sinnlosen Krieg, den nur die faschistichen Kräfte in Kiew wollen, verheizt zu werden, setzen sich Abertausende junge Ukrainer ins benachbarte Ausland ab.

Über das, was Merkel und Hollande am 6. Februar im Kreml mit Rußlands Präsidentem Wladimir Putin fünf Stunden lang besprachen, wurde Stillschweigen vereinbart. Aus dem Umfeld der deutschen Regierungschefin und ihres französischen Amtskollegen hieß es lediglich, es sei über Wege, das Protokoll von Minsk vom September 2014 endlich umzusetzen, diskutiert worden. Hierzu gehörten der Abzug schwerer Artillerie, um eine Pufferzone zwischen den beiden Kriegsparteien zu schaffen, und die Gewährung weitreichender Autonomie an die an Rußland angrenzenden Ostprovinzen der Ukraine.

Das Auftreten der verschiedenen Konfliktakteure auf der diesjährigen Sicherheitskonferenz in München am 7. und 8. Februar hat keinen Optimismus bezüglich einer Entschärfung der Lage aufkommen lassen. Merkel wirkte extrem angespannt, fast resigniert. Während der russische Außenminister Sergej Lawrow mit seiner Kritik am westlichen Vorgehen in der Ukrainekrise auf breites Unverständnis stieß, präsentierten sich die angereisten Vertreter der USA kämpferisch und selbstzufrieden. Vizepräsident Joseph Biden gab sich zuversichtlich, daß alle europäischen Verbündeten auf Washingtons Konfrontationskurs mit Moskau einschwenken würden, während John McCain, der republikanische Vorsitzende des Militärausschusses des Senats, die Dringlichkeit von Waffenlieferungen für die Ukraine betonte und hierzu Zustimmung von Ashton Carter, der in den kommenden Tagen den zuletzt glücklos wirkenden Hagel als Pentagonchef ablösen wird, erhielt. Carter gilt als ausgesprochener Kriegsfalke. Bei vergangenen Krisen um das nordkoreanische Atomprogramm hat er präemptive Raketenangriffe verlangt. Der bevorstehende Personenwechsel in der Pentagonspitze läßt also keine Entspannung in den amerikanisch-russischen Beziehungen erwarten.

9. Februar 2015


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