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MILITÄR/912: Saudi-Arabien setzt auf Waffengewalt (SB)



Importe in Rekordhöhe - Aufbau eines eigenen Rüstungskonzerns

Der Verfall des Preises für Rohöl hat dem Regime in Riad drastisch vor Augen geführt, daß der Reichtum des Rohstofflieferanten Saudi-Arabien im wörtlichen wie übertragenen Sinn auf Sand gebaut ist. Will die autokratische Führung ihre repressive Herrschaft im Innern und ihren Aufstieg zur aggressiven Regionalmacht sichern, muß sie den Wettlauf zwischen einer Modernisierung der Ökonomie und dem Versiegen des Öls gewinnen. Wenngleich eine Diversifizierung der Wirtschaft und insbesondere der Ausbau der Infrastruktur längst in Angriff genommen worden ist, setzt das saudische Königshaus doch in erster Linie auf gesteigerte militärische Kapazitäten, die sie zutreffend als Fundament nationalstaatlicher Macht identifiziert. Das große Manko ist jedoch im Falle Saudi-Arabiens die extreme Abhängigkeit von Waffenimporten, da das Land zwar weltweit zu den Staaten mit den größten Militärbudgets gehört, nach eigenen Angaben jedoch lediglich zwei Prozent der Rüstungsgüter im eigenen Land produziert.

Das soll sich bis 2030 grundlegend ändern. Die ambitionierten Pläne der kleinen saudischen Elite sehen vor, einen Rüstungskonzern mit bis zu 40.000 Beschäftigten aufzubauen, der schließlich die Hälfte der benötigten Rüstungsgüter im Land produziert und darüber hinaus auch Waffen für den Export fertigen soll. Der Konzern SAMI soll zu den 25 größten Rüstungskonzernen weltweit aufsteigen und vier Säulen haben, die von der Produktion von Drohnen, Landfahrzeugen, Munition, Lenkwaffen und Raketen über die Wartung von Flugzeugen bis hin zur Rüstungselektronik reichen. Der neue saudische Konzern soll zudem über Gemeinschaftsfirmen mit ausländischen Rüstungsunternehmen expandieren. So hat sich Saudi-Arabien unter anderem bereits am Flugzeugprojekt AN-32 des ukrainischen Herstellers Antonov mit dem Ziel beteiligt, das kleinere zweimotorige Transportflugzeug später auch in einheimischer Produktion zu bauen. [1]

Saudi-Arabien gehörte bislang zu den weltgrößten Waffenkäufern. Nachdem seine Rüstungsausgaben seit 2002 Jahr für Jahr gestiegen waren, sanken sie 2016 um 30 Prozent auf 63,7 Milliarden Dollar. Offensichtlich wurde der Militärhaushalt wegen sinkender Einnahmen aus dem Ölgeschäft gekürzt, wie dies auch im Irak oder in Venezuela massiv der Fall war. Nur zwei der 15 Länder mit den größten Kürzungen bei den Militärausgaben waren keine Ölexporteure. Durch diese Reduzierung des Etats rutschte das Scheichtum von Platz drei auf Rang vier der weltgrößten Militärbudgets hinter China und Rußland, wobei die USA mit gewaltigem Vorsprung an der Spitze stehen. Nach Angaben des schwedischen Friedensforschungsinstituts Sipri entfielen 611 Milliarden Dollar und damit rund 36 Prozent der gesamten weltweiten Militärausgaben auf die USA. China ist trotz eines enormen Zuwachses mit schätzungsweise 215 Milliarden Dollar bereits wesentlich kleiner, und Rußland erreicht gerade einmal 69,2 Milliarden Dollar, obwohl die Militärausgaben Moskaus sogar um 87 Prozent stiegen. [2]

Bevor die saudische Rüstungsproduktion im eigenen Land anläuft, wird noch einmal exzessiv importiert. Wie beim aktuellen Besuch Donald Trumps in Riad offiziell bekanntgegeben wurde, kauft Saudi-Arabien Rüstungsgüter im Wert von 110 Milliarden Dollar aus US-amerikanischer Produktion, wobei die US-Regierung auf Aufträge in Höhe von insgesamt 350 Milliarden Dollar hofft. Bestellt werden beispielsweise 150 Blackhawk-Hubschrauber der Lockheed-Tochter Sikorsky, für die Produktion und Wartung ist ein amerikanisch-saudisches Gemeinschaftsunternehmen geplant. Zudem wollen die Saudis ein Hightech-Abwehrsystem für hochfliegende ballistische Raketen (THHAD), Kampfschiffe, Flugzeuge, Panzer und sogar Überwachungsballone zur Grenzsicherung bestellen. Allein Lockheed spricht von einem Auftragswert über 28 Milliarden Dollar. Für die Regierung in Washington ist dieses Abkommen ein reiner Zugewinn, da es einen dringend benötigten Verbündeten in der Region stärkt und der eigenen Wirtschaft zugute kommt. So teilte Lockheed mit, daß die neuen Aufträge aus Saudi-Arabien die Arbeitsplätze von über 18.000 Beschäftigten in den USA absichern würden. Hinzu kämen in den nächsten Jahrzehnten Tausende neuer Arbeitsplätze in dem Wüstenstaat.

In Deutschland sind Waffenverkäufe an Saudi-Arabien wegen dessen höchst reaktionären und repressiven Regimes im Inland wie auch der Unterstützung islamistischer Milizen umstritten, was die Bundesregierung dazu bewogen hat, offiziell keine Rüstungsgüter mehr an Riad liefern zu lassen. So wurde anläßlich des Besuchs von Kanzlerin Merkel in Saudi-Arabien verkündet, daß Deutschland nicht mehr mit solchen Wünschen behelligt wird. Auf deutsche Technik muß das Königshaus trotzdem nicht verzichten, da die Bundesrepublik Expertise zur Digitalisierung des Landes beisteuern will und künftig auf Umwegen und unter dem Radar öffentlicher Wahrnehmung Rüstungsgüter liefern wird.

Die abgesagten Rüstungslieferungen aus Deutschland schienen das bilaterale Verhältnis keineswegs zu belasten, zumal sich die Saudis pragmatisch verhielten und anstelle der ursprünglich gewünschten deutschen Leopard-Panzer eben 153 Abrams-Kampfpanzer in den USA bestellt haben. Davon abgesehen wurde Merkel von einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation begleitet, darunter den Vorstandschefs von Siemens, der Lufthansa, der Deutschen Bahn und Bilfinger Berger. In Absichtserklärungen wurde die Unterstützung bei der Digitalisierung Saudi-Arabiens durch Siemens und SAP vereinbart. [3]

Für die deutsche Rüstungsbranche ist die Exportgenehmigung für Nicht-NATO-Staaten eine gewisse Gratwanderung, wobei immer mehr Exportländer den Aufbau einer eigenen Produktion anstreben. Noch ist Saudi-Arabien jedoch ein Großkunde der deutschen Rüstungsbranche. 2016 betrug das Exportvolumen 529 Millionen Euro, womit der Wüstenstaat auf Platz drei hinter Algerien mit 1,4 Milliarden Euro und den USA mit 1,2 Milliarden Euro lag. Verglichen mit dem gesamten Militärhaushalt der Saudis von über 60 Milliarden Dollar oder den Milliardenaufträgen für US-Firmen machen sich die deutschen Exporte auf den ersten Blick relativ bescheiden aus.

Die saudische Führung holt sich jedoch deutsche Unterstützung auf Umwegen ins Land. So wurde vor einem Jahr eine 240 Millionen Dollar teure neue Munitionsfabrik eröffnet. Dahinter steht ein komplexes Geschäft unter Einbindung des südafrikanischen Munitionsherstellers Rheinmetall Denel Munition (RDM), der zu 51 Prozent dem Düsseldorfer Technologiekonzern Rheinmetall gehört. RDM hat eine Lizenz für den Betrieb der Abfüllanlage vergeben, wobei Pulver, Hülsen und Zünder von RDM bezogen und dann in Saudi-Arabien abgefüllt werden. Dort können pro Tag 300 Artilleriegranaten oder 600 Mörsergranaten produziert werden, die in der deutschen Rüstungsexportstatistik nicht auftauchen.

Zudem nutzen die Saudis auch den Eurofighter, an dem wiederum deutsche Firmen maßgeblich beteiligt sind. Die Bestellung von 72 Jets wurde über die britische Regierung abgewickelt, die Kampfflugzeuge werden in Großbritannien gefertigt, mit Lieferungen aus Deutschland und dem Endkunden Saudi-Arabien. Im Rüstungsexportbericht des Wirtschaftsministeriums wird darauf verwiesen, daß in den Zahlen für Saudi-Arabien auch die Ausfuhrgenehmigungen für die Lieferung in europäische Industriekooperationen wie beispielsweise Mehrzweckhubschrauber enthalten sind. Bei den Gemeinschaftsprogrammen habe Deutschland seit vielen Jahren Verpflichtungen aus internationalen Regierungsvereinbarungen. So entfiel 2015 ein Großteil des Exportwertes für Saudi-Arabien auf die Lieferung von Fahrgestellen für unbewaffnete Transportfahrzeuge nach Frankreich, die anschließend mit französischer Ausfuhrgenehmigung nach Saudi-Arabien ausgeführt werden.

Kriegführen macht eben erfinderisch, zumal in einem Land wie der Bundesrepublik, das zwischen deutscher Geschichte, Wiederbewaffnung und Militarisierung, Waffengängen der Bundeswehr und Rüstungsschmieden beim Aufstieg zur europäischen Führungsmacht nicht überall mit der Tür ins Haus fallen kann, sondern nicht selten den Hintereingang bevorzugt.


Fußnoten:

[1] https://www.welt.de/wirtschaft/article164775569/Diese-Waffenorder-der-Saudis-wird-es-so-nie-mehr-geben.html

[2] https://www.welt.de/wirtschaft/article163934636/Der-neue-Kalte-Krieg-offenbart-sich-in-diesen-Zahlen.html

[3] https://www.welt.de/wirtschaft/article164153317/Ueber-Umwege-kommt-Saudi-Arabien-weiter-an-deutsche-Waffen.html

21. Mai 2017


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