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MILITÄR/923: USA - Geheimabkommen ... (SB)


USA - Geheimabkommen ...


In der amerikanischen Politik gibt es kein größeres Tabuthema als das der israelischen Nuklearwaffen. Das hat einen einfachen Grund. Nach dem 1976 vom Kongreß verabschiedeten Symington-Zusatz zum Foreign Assistance Act aus dem Jahr 1961 ist es den USA strengstens verboten, irgendein Land militärisch zu unterstützen, das Kernwaffen entwickelt und sich nicht der Kontrolle durch die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) in Wien unterwirft. Israel verfügt über mehrere hundert Wasserstoffbomben und weigert sich prinzipiell, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten. Folglich ist sämtliche Rüstungshilfe, welche die USA jedes Jahr in Milliardenhöhe Israel leistet, illegal. Jeder amerikanische Politiker, Geschäftsmann und Militär, der in den gigantischen US-Rüstungsexport an Israel verwickelt ist, hat sich strafbar gemacht, sofern ihm das Wissen um die Existenz der israelischen Atombombe nachgewiesen werden könnte.

Unvergessen bleibt die peinliche Szene, als Barack Obama, der sich im Wahlkampf 2016 für eine Welt ohne Atomwaffen stark gemacht hatte, zum Auftakt seiner allerersten Pressekonferenz im Weißen Haus am 7. Februar 2009 von der langjährigen und streitbaren Korrespondentin Helen Thomas folgende Frage gestellt bekam: "Kennen Sie irgendein Land im Nahen Osten, das Nuklearwaffen besitzt?" Gemeint war natürlich Israel, wenngleich sich im Wahlkampf sowohl der Demokrat Obama als auch sein republikanischer Gegner John McCain als unerschrockene Gegner der Bedrohung, die vom Iran durch das angeblich existierende Atomwaffenprogramm für den Nahen Osten und die ganze Welt ausgehen sollte, präsentiert hatten. Sichtlich verlegen parierte Obama Thomas' Spiel mit dem Tabubruch mit dem Hinweis auf bevorstehende Diskussionen seiner Regierung mit Moskau über eine Vertiefung bestehender strategischer Rüstungskontrollabkommen und verschloß sich jedweder "Spekulation" darüber, wer sonst noch Nuklearwaffen besitzen könnte.

Zwei Monate später bei einer historischen Rede in Prag bekannte sich Obama zur globalen Nuklearabrüstung und trat für eine Stärkung des Atomwaffensperrvertrags ein, um die Atomkriegsgefahr zu beseitigen (allein dafür gewann er Ende desselben Jahres den Friedensnobelpreis). Wie Adam Entous am 18. Juni in der Zeitschrift New Yorker enthüllte, hat Obamas Prager Rede die Alarmglocken im Amt des israelischen Premierministers ausgelöst. Benjamin Netanjahu befürchtete, daß Israel im Zuge der zunächst ernst gemeint erscheinenden Abrüstungsinitiative Obamas zur Offenlegung seines Nukleararsenals und zum Beitritt des Nicht-Verbreitungsvertrages gezwungen werden könnte, was unweigerlich auch Kontrollbesuche durch IAEO-Inspekteure nach sich zöge.

Die Sorgen des Likud-Chefs sollten sich als unbegründet erweisen. Bereits im Mai hat Obama eine schriftliche Garantie unterzeichnet, derzufolge er als US-Präsident niemals die Existenz von Israels Arsenal an Nuklearsprengköpfen bestätigen und auch niemals Tel Aviv dazu zwingen würde, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten. Wie Entous exklusiv berichtet, war Obama damit der dritte Oberkommandierende der US-Streitkräfte nach Bill Clinton und George W. Bush, der Israel diese schriftliche Zusicherung gemacht hat. Inzwischen hat Donald Trump ebenfalls seine Unterschrift unter das fragliche Geheimdokument bzw. die fraglichen Geheimdokumente gesetzt - ein sonderbarer Vorgang, den Entous in seinem explosiven und viel zu wenig beachteten Artikel "How Trump and Three Other U. S. Presidents Protected Israel's Worst-Kept Secret: Its Nuclear Arsenal" genüßlich schildert.

Am 13. Februar 2017 herrschte im Weißen Haus absolutes Chaos. Die neue Regierungsmannschaft, erst seit Ende Januar im Amt, versuchte sich gerade zurechtzufinden. Dieser Tag war für alle Mitarbeiter des West Wings deshalb schlimm, weil Trumps Nationaler Sicherheitsberater Michael Flynn, der ehemalige Leiter der Defense Intelligence Agency (DIA), wegen denkwürdiger Telefonate mit der russischen Botschaft zur Jahreswende 2016/2017 im Scheinwerferlicht stand und am selben Abend deswegen zurücktreten würde. In diesem Durcheinander schneite der israelische Botschafter Ron Dermer ins Weiße Haus, spielte sich als Hausherr auf und verlangte die Unterzeichnung mehrerer Dokumente durch den Präsidenten. Bei der neuen Trump-Administration wußte niemand, worum es hierbei ging. Dies ist dem Umstand geschuldet, daß die Existenz besagter Papiere seit der Clinton-Ära nur einem wirklich sehr kleinen Kreis von Regierungsmitgliedern bekannt gewesen ist.

Das herrische Betragen Dermers soll bei den Mitarbeitern im Weißen Haus jedenfalls dermaßen schlecht angekommen sein, daß "einer der Amerikaner" ihn mit den Worten "This is our fuckin' house" zurechtgewiesen haben soll, so Entous. Den Angaben Alyssa Fishers am 14. Juni in der altehrwürdigen jüdischen Zeitung The Forward zufolge war es Trumps Schwiegersohn und Sonderberater Jared Kushner, der Dermer brüsk zurechtwies. Das würde passen. Kushners Familie ist mit Dermers Chef Netanjahu schon länger befreundet und unterstützt seit Jahren finanziell die illegalen jüdischen Siedlungen im Westjordanland. Auch Fisher nennt als Grund für den Besuch Dermers im Weißen Haus das Verlangen, von Trump "geheime Dokumente" mit der Garantie unterzeichnet zu bekommen, daß er "wie andere Präsidenten vor ihm" von den Israelis "niemals verlangen" werde, "ihr undeklariertes Nukleararsenal aufzugeben".

Entous führt Tel Avivs und Washingtons gemeinsame Politik der "nuklearen Ambiguität" in bezug auf Israels Atomwaffen auf das Jahr 1969 zurück. Damals soll Präsident Richard Nixon und die israelische Premierministerin Golda Meir eine mündliche Vereinbarung getroffen haben. Demnach verpflichtete sich Israel, keine Nukleartests durchzuführen und niemals die Existenz seines Atomwaffenarsenals öffentlich einzuräumen; im Gegenzug würden die USA Israel niemals zum Beitritt des Atomwaffensperrvertrags zwingen. Damals besaßen die Israelis lediglich drei Nuklearsprengköpfe. Heute sollen es mehr als 200 sein - zwar weit weniger als die USA und Rußland, aber in etwa soviel wie jeweils die UN-Vetomächte China, Frankreich und Großbritannien und mehr als die "inoffiziellen" Atommächte Indien, Pakistan oder Nordkorea.

Am Aufbau des israelischen Atomwaffenarsenals haben ab 1948 direkt Frankreich und Großbritannien sowie indirekt die USA mitgeholfen. Aus FBI- und CIA-Dokumenten geht hervor, daß in den sechziger und siebziger Jahren israelische Spione mehrere hundert Kilogramm hochangereichertes Uran aus der Atomanlage NUMEC in Pennsylvania entwendet haben. Diese sind vermutlich in der hochgeheimen israelischen Atomforschungsanlage Dimona gelandet. Bezeichnenderweise darf in den USA niemand die Regierung wegen Nicht-Einhaltung der eigenen Waffenkontrollgesetze anklagen. Im vergangenen Mai hat ein Bundesberufungsgericht in Washington ein entsprechendes Urteil in der Vorinstanz bestätigt. Ohnehin kann sich der Präsident kraft seines Amts unter Berufung auf die nationale Sicherheit über das U. S. Arms Export Control Act (AECA) hinwegsetzen. Das haben Bush jun. und Obama im Falle Pakistans, das kein Unterzeichnerstaat des Atomwaffensperrvertrags ist, getan. Auch wenn ein öffentliches Eingestehen der Existenz der israelischen Atomwaffen der Rüstungshilfe der USA keinen Abbruch täte, wäre es dennoch für die Bemühungen um Frieden im Nahen Osten von Nutzen, denn die einseitige Bezichtigung von Staaten wie den Iran, mit "Massenvernichtungswaffen" die Region unsicher zu machen, verfinge nicht mehr so einfach.

4. Juli 2018


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