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MILITÄR/940: Rüstung - Händeringen im Kongreß ... (SB)


Rüstung - Händeringen im Kongreß ...


Am 24. Juli kommen in Genf Regierungsvertreter der USA und Rußlands zu einer Abrüstungsdiskussion zusammen. John Sullivan, Staatssekretär im Außenministerium, führt die US-Delegation an, der neben Tim Morrison, einem ranghohen Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrats, auch Vertreter des Verteidigungsministeriums, des Generalstabs und des elektronischen Nachrichtendiensts National Security Agency (NSA) angehören. Als Leiter der russischen Delegation ist der Stellvertretende Außenminister Sergej Rjabkow vorgesehen. Leider stehen die Chancen, daß am Ende der bilateralen Gespräche eine Rettung des INF-Vertrags stehen wird, der den Besitz ballistischer Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometer verbietet und den die USA am 2. Februar aufgekündigt haben, bei Null.

Am 2. August tritt der Rücktritt der USA vom Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty, den Ronald Reagan und Michail Gorbatschow 1987 unterzeichnet haben, formell in Kraft. Treibende Akteure dieser gefährlichen Entwicklung sind Washingtons neokonservative Ideologen wie John Bolton, die jedwede vertragliche Einschränkung des militärischen Handlungsspielraums der Supermacht USA ablehnen. Als der im State Department für Rüstungskontrolle zuständige Staatssekretär der Regierung George W. Bushs hat Bolton 2003 das Framework Agreement, das die Vorgänger-Administration Bill Clintons 1994 mit Nordkorea zur Beruhigung der Lage in Ostasien abgeschlossen hatte, erfolgreich torpediert.

Bereits zwei Jahre zuvor hatte Bolton wesentlich zum Ausstieg der USA aus dem ABM-Vertrag beigetragen, damit das Pentagon die amerikanische Rüstungsindustrie mit Steuerdollars in Milliardenhöhe für Entwicklung und Aufbau eines technisch dubiosen Raketenabwehrsystems in Alaska, Kalifornien, Japan, Südkorea und Osteuropa beschenken konnte. Nach Meinung unabhängiger Experten haben die USA Ende der Nullerjahre mit der Installierung entsprechender Radarstationen und Raketensilos in Rumänien und Polen gegen den INF-Vertrag verstoßen, während für die Richtigkeit der Behauptung sowohl der Regierung Barack Obamas als auch der Donald Trumps, Rußlands Bau und Indienststellung einer Mittelstreckenversion der SS-26-Langstreckenrakete sei die eigentliche Vertragsverletzung, bis heute jeder Beweis fehlt.

Nach nur etwas mehr als einem Jahr im Amt als Nationaler Sicherheitsberater hat Bolton inzwischen Trump zur Aufkündigung sowohl des INF-Vertrags als auch des Atomabkommens mit dem Iran, des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), überreden können. Wenn es nach Bolton ginge, werden die USA den 2010 von Obama unterzeichneten New Strategic Arms Treaty (auch New-START-Vertrag) mit Rußland 2021 auslaufen lassen. Am 1. Juli berichtete der Londoner Guardian, Bolton dränge im Weißen Haus darauf, den Kernwaffenteststopp-Vertrag, den Clinton 1996 zwar unterzeichnet hat, der jedoch wegen des Widerstands der Republikaner im Senat niemals ratifiziert wurde, zurückzuziehen und die Gültigkeit der präsidialen Unterschrift "zwecks möglichen Auftakts einer Wiederaufnahme amerikanischer Atomtests" aufheben zu lassen. Hierzu paßt der vor kurzem von Hans Kristensen von der Federation of American Scientists (FAS) in Washington festgestellte und kritisierte Umstand, daß sich die Trump-Regierung in einer Abkehr vom bisherigen behördlichen Standardverfahren prinzipiell weigert, die offiziellen Daten des Pentagons über den Bestand an amerikanischen Atomsprengköpfen zu veröffentlichen.

Bei den oppositionellen Demokraten im Kongreß hat der rüstungspolitische Amoklauf des Gespanns Trump-Bolton Sorge und Widerstand ausgelöst. Am 12. Juli hat die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus einen Absatz aus dem Wehretat 2020, der die Gelder für die Indienststellung einer neuen Generation von kleinen und damit politisch "einsatzfähigeren" Atomsprengköpfen zur Bestückung ballistischer Raketen und seegestützter Marschflugkörper bewilligt hätte, gestrichen. Die Endversion des in dem von den Demokraten mehrheitlich kontrollierten Repräsentantenhaus verabschiedeten Verteidigungshaushalts für das kommende Jahr enthält zudem die Forderung nach Durchführung einer Machbarkeitsstudie über die Abkehr der USA vom Erstschlagprinzip - demnach wäre der Einsatz von Atomwaffen lediglich im Verteidigungsfall möglich -, streicht die geplante Investition von 103 Millionen Dollar in die Entwicklung neuer Langstreckenraketen und tritt für den Erhalt des New-START-Vertrags über das Jahr 2021 hinaus ein. Leider steht zu befürchten, daß bei der Erarbeitung einer Kompromißversion des Wehretats die Vertreter der republikanische Mehrheit im Verteidigungsausschuß des Senats ihrerseits auf eine Streichung dieser in abrüstungstechnischer Hinsicht höchst sinnvollen Maßnahmen insistieren werden.

23. Juli 2019


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