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NAHOST/972: Tony Blair wird von seinen Irakkriegslügen verfolgt (SB)


Tony Blair wird von seinen Irakkriegslügen verfolgt

Auftritt Blairs vor Irak-Untersuchungsausschuß mit Spannung erwartet


Nach dem Rücktritt als britischer Premierminister im Frühjahr 2007 ist Tony Blair ein reicher Mann geworden. Zusätzlich zu seiner staatlichen Rente von jährlich 63.000 Pfund (umgerechnet 100.000 Euro) hat er in knapp zweieinhalb Jahren durch Vorträge, Beratertätigkeit für die Geldhäuser J. P. Morgan und Zurich Financial und einen 4,6 Millionen Pfund schweren Buchdeal mit dem US-Verleger Random House rund 10 Millionen Pfund verdient. Einem Bericht der britischen Zeitung Guardian vom 26. Januar zufolge verlangt der 56jährige Sonderfriedensbotschafter des Nahost-Quartetts für ein eineinhalbstündiges Dozieren zur internationalen Politik vor einem erlauchten Publikum 180.000 Pfund - umgerechnet 2000 Pfund pro Minute. Solche einträglichen Engagements haben es dem früheren Vorsitzenden der britischen Arbeiterpartei ermöglicht, das Darlehen für sein 2005 für 3,5 Millionen Pfund gekauftes, vierstöckiges Herrenhaus georgianischen Stils am exklusiven Connaught Square im Londoner Nobelviertel Westminster weitgehend abzutragen. Alles Geld der Welt kann jedoch den Ansehensverlust, den Blair durch seine Entscheidung zur Teilnahme der Streitkräfte Großbritanniens an der Irakinvasion der Regierung von US-Präsident George W. Bush im Frühjahr 2003 erlitten hat, nicht aufwiegen.

Dies zeigte sich besonders deutlich, als Ende letzten Jahres die britische Labour-Regierung unter Blairs Ex-Finanzminister und Nachfolger als Premierminister, Gordon Brown, den Namen ihres berühmt-berüchtigten Parteikollegen für den Posten als ersten Präsidenten der Europäischen Union ins Spiel brachte. Aus der Kandidatur Blairs wurde deshalb nichts, weil man in Berlin und Paris nicht vergessen hatte, wie er in der Irakkriegsfrage die "special relationship" des Vereinigten Königreichs zu den Vereinigten Staaten von Amerika über die EU-Mitgliedschaft gesetzt und Washington geholfen hatte, "neues Europa" gegen "altes Europa" auszuspielen. Darüber hinaus stand dem einstigen Hoffnungsträger der britischen Sozialdemokraten seine persönliche Umstrittenheit im Wege. Während die US-Neokonservativen und der internationale Geld- und Industrieadel, für den die US-Militärmaschinerie Garant des eigenen Besitzstandes ist, Blair zugutehalten, in der Stunde der Entscheidung seinen Mann gestanden zu haben, gilt er in den Augen der meisten seiner Landsleute sowie von Millionen einfacher Menschen rund um die Welt als Lügenbaron, der sich bis heute weigert einzusehen, daß er sich 2003 des schwersten Verbrechens überhaupt, der völkerrechtlich illegalen Erteilung des Befehls zum Angriffskrieg, schuldig gemacht hat.

Die Bestätigung für letztere Sicht auf die damaligen Ereignisse liefern diejenigen britischen Beamten, Diplomaten, Militärs, Minister und Regierungsberater, die seit Ende November vor dem Untersuchungsausschuß in London unter dem Vorsitz von Sir John Chilcot ihre Aussagen zu den Umständen des Eintritts Großbritanniens in den Irakkrieg machen. Bis auf Alastair Campbell, Blairs damaligen Kommunikationsdirektor, der verdächtigt wird, gegen den Rat des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 in das im September 2002 von Downing Street veröffentlichte Dossier zum Thema der vermeintlichen, vom Irak ausgehenden Bedrohung die windige Behauptung eingebracht zu haben, wonach nach Erhalt eines entsprechenden Befehls Saddam Husseins Soldaten mit chemischen Kampstoffen bestückte Raketen auf britische Militärstützpunkte auf Zypern abfeuern könnten, scheint niemand aus den damaligen britischen Regierungskreisen glücklich mit dem Schulterschluß Londons mit Washington zu sein. Mit jedem Tag der Anhörungen wird deutlicher, daß sich Blair bereits im Frühjahr 2002 zur Teilnahme am Anti-Saddam-Feldzug des Weißen Hauses entschlossen und seinen Freund Bush entsprechende Zusicherungen gemacht hatte.

Dies hinderte ihn jedoch nicht daran, während des angloamerikanischen Truppenaufmarsches in der zweiten Hälfte von 2002 und praktisch bis zum Kriegsbeginn am 19. März 2003 zu behaupten, Saddam Hussein müsse sich lediglich von seinen "Massenvernichtungswaffen" trennen, damit der Irak in Ruhe gelassen werde. Weil jedoch die Durchführung der Operation Iraqi Freedom im Weißen Haus und im Pentagon längst beschlossen war, brachte Saddam Bush und Blair in große Verlegenheit, als er sich im Herbst 2003 der UN-Resolution 1441 beugte, die Waffeninspekteure erneut ins Land ließ, und kurz vor Weihnachten des selben Jahres dem UN-Sicherheitsrat in New York ein komplettes Inventar der früheren irakischen Bio- und Chemiewaffenbestände übergab. Als erstes beschlagnahmten die US-Vertreter bei den Vereinten Nationen den Bericht aus dem Irak, um daraus die Namen der früheren Rüstungslieferanten Bagdads im Westen zu streichen, bevor man ihn seinem eigentlichen Adressaten, dem Sicherheitsrat, übergab. Die amerikanischen und britischen Regierungen hielten an der These der vom Irak ausgehenden "akuten Bedrohung" fest, die zu belegen, am 5. Februar 2003 dem UN-Sicherheitsrat und damit der Weltöffentlichkeit der US-Außenminister Colin Powell in Begleitung von CIA-Chef George Tenet erfundene Geheimdienstgeschichten als hieb- und stichfeste Beweise für die Böswilligkeit des "Regimes" in Bagdad auftischte.

Während dieser Zeit bekam Blair von den eigenen Regierungsanwälten zu hören, daß nach ihren Dafürhalten immer noch eine rechtliche Grundlage für den bevorstehenden Einmarsch in den Irak - entweder akute Bedrohung oder Gefahr einer humanitären Katastrophe oder eine entsprechende Resolution des UN-Sicherheitsrats - fehlte. Vor dem Chilcot-Untersuchungsauschuß haben am 26. Januar Sir Michael Wood und Elizabeth Wilmhurst, damals die führenden Juristen im britischen Außenministerium, bestätigt, entsprechende Warnungen hinsichtlich der Illegalität des Vorhabens "Regimewechsel in Bagdad" ihrem damaligen Amtschef Jack Straw und Premierminister Blair wiederholt zukommen gelassen zu haben, um schließlich doch noch ignoriert zu werden. Beide taten ihre Überzeugung erneut öffentlich kund, daß der Einmarsch illegal war. Wilmhurst, die wenige Tage vor der eigentlichen Invasion aus Protest gegen den Kurs der Blair-Regierung den Staatsdienst verlassen hat, wurde am Ende ihrer einstündigen Befragung als erste Person beim Chilcot-Untersuchungsausschuß von den Zuschauern beklatscht und bejubelt.

Am heutigen 27. Januar versucht der damalige Justizminister Lord Peter Goldsmith zu erklären, warum er ebenfalls bis zum 5. März 2003 einen Irakeinmarsch ohne zweite UN-Resolution für völkerrechtlich unbegründet hielt, jedoch am 13. März Blair plötzlich grünes Licht für die Invasion gab. Der nicht besonders plausible Erklärungsversuch Goldsmiths läuft darauf hinaus, daß er in jenen acht Tagen zu der späten Einsicht gelangt sein will, daß die UN-Resolution 1441 vom Herbst 2002 so schwammig formuliert worden war, daß sie gerade noch eine angloamerikanische Irakinvasion mandatierte. In Großbritannien fiebern alle Politikinteressierten nun dem Auftritt von Ex- Premierminister Blair am 29. Januar entgegen. Mehr als 3000 Personen haben Zuschauerkarten beantragt. Das Event wird im Nachrichtenfernsehen live übertragen. Die mehr als 1000 Antikriegsdemonstranten, mit denen die Polizei bereits rechnet, werden vor dem Londoner Queen Elizabeth II Centre, wo der Chilcot-Ausschuß tagt, dem "Kriegsverbrecher" Blair einen heißen Empfang bereiten.

27. Januar 2010