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NAHOST/1016: Obama täuscht US-Truppenabzug aus dem Irak vor (SB)


Obama täuscht US-Truppenabzug aus dem Irak vor

USA richten sich auf dauerhafte Präsenz im Irak ein


In einer Grundsatzrede, die Barack Obama am 1. August beim Jahrestreffen des Verbandes der behinderten Kriegsveteranen in Atlanta, Georgia, hielt, hat der amtierende US-Präsident erfolgreich den Eindruck erweckt, er wäre dabei, seine im Februar 2009 und damit nur wenige Wochen nach dem Einzug ins Weiße Haus gemachte Ankündigung, alle US-Kampftruppen bis zum 1. September 2010 aus dem Irak abzuziehen, einzulösen. Zwar wird sich bis dahin die Zahl der im Irak stationierten US-Militärangehörigen von 155.000 Anfang 2009 auf 50.000 stark reduziert haben, doch auch nach dem Ende der offiziellen "Kampfmission" werden die verbliebenen US-Militärs weiterhin einen Kampfauftrag erfüllen, indem sie "die irakischen Streitkräfte unterstützen und ausbilden". Dies erklärte Obama selbst. Und auch das weitere Versprechen des ersten schwarzen Präsidenten der USA, alle amerikanischen Streitkräfte bis Ende 2011 aus dem Zweistromland abgezogen zu haben, scheint nicht in Stein gemeißelt zu sein. Alle Zeichen deuten statt dessen darauf hin, daß die USA auch nach diesem Datum auf Jahre hinaus mit einem großen und schlagkräftigen Militärkontingent im Irak präsent sein werden.

Mit der Rede in Atlanta hat Obama erneut sein Können als Blender eindrucksvoll demonstriert. Im Präsidentschaftswahlkampf 2008 hatte sich der damalige Senator aus Illinois als Irakkriegsgegner präsentiert, jedoch stets, wenn es um den Abzug der US-Streitkräfte aus dem Zweistromland ging, von den "Kampftruppen" gesprochen. Damit konnte er die Sehnsüchte des linken Flügels seiner demokratischen Partei und derjenigen Kriegsgegner, die seine Worte nicht auf die Goldwaage legten, bedienen, jedoch gleichzeitig den tonangebenden Kräften beim Militär, den Medien und der Großindustrie, die ihrerseits die Politik ganz genau studieren, signalisieren, daß er sehr wohl an den langfristigen Plänen des Pentagons bezüglich eines amerikahörigen Iraks festzuhalten gedachte. Diesem Signal verlieh er nach dem Wahlsieg im November 2008 konkrete Form mit der Entscheidung, Robert Gates als US-Verteidigungsminister im Amt zu belassen.

Unter der Leitung vom Ex-CIA-Chef Gates, der inzwischen seit drei Jahrzehnten als einer der mächtigsten Männer in Washington agiert, ist das US-Militär im Irak in eine "Übergangsphase" getreten. Man hat zwar die Zahl der dort stationierten US-Soldaten stark reduziert - und sie dafür nach Afghanistan zwecks Bekämpfung der Taliban geschickt -, jedoch die verbliebenen "Kampfbrigaden" lediglich in "Beratung- und Unterstützungsbrigaden" umbenannt. Die Einheiten selbst, ihre Bewaffnung, Befehlsstruktur et cetera sind praktisch alle unverändert geblieben. Es gibt nur zwei große Unterschiede. Die US-Streitkräfte im Irak gehen nicht mehr allein auf Patrouille, sondern bleiben auf ihren Basen und rücken erst aus, wenn dies von irakischer Seite erwünscht ist. Doch zu glauben, die Iraker wären die eigentlichen Herren im Hause, wäre falsch. Die irakischen Streitkräfte dürften auf Jahre hinaus auf die Unterstützung der Amerikaner angewiesen sein, die ihnen in Bereichen der Luftwaffe, der elektronischen Kommunikation und Aufklärung sowie der schweren Bewaffnung meilenweit überlegen sind. Generalmajor Stephen Lanza, Sprecher des US-Militärs im Irak, kommentierte am 3. Juli in der New York Times die laufende Truppenreduzierung wie folgt: "In praktischer Hinsicht wird sich nichts verändern."

Zwar hat die Administration von Bush jun. 2008 mit der Regierung von Nuri Al Maliki im Rahmen eines State of Forces Agreement (SOFA) den Abzug aller US-Streitkräfte bis Ende 2011 vereinbart, doch seitdem arbeitet man im Pentagon unerbittlich darauf hin, diese Frist durch irgendeinen Taschenspielertrick verlängert zu bekommen. Ende 2008, kurz nach dem Sieg Obamas bei der Präsidentenwahl, hat General Ray Odierno, der Nachfolger von David Petraeus als Oberkommandierender der US-Streitkräfte im Irak, auf die Frage des Reporters Tom Ricks von der Washington Post, wie die US-Truppenpräsenz in fünf Jahren, also 2013, aussehen könnte, sein Wunschszenario gelüftet - 30.000 bis 35.000 Mann. Laut dem Historiker Gareth Porter, der regelmäßig für die Nachrichtenagentur Inter Press Service über die politische Umtriebigkeit der US-Generalität in Sachen Irak, Iran, Afghanistan und Pakistan berichtet, waren es hauptsächlich Gates, der neue ISAF-Oberkommandierende Petraeus, Odierno und Generalstabschef Admiral Michael Mullen, die aus Obamas Abzugsplänen bezüglich des Zweistromlandes eine Umbenennungsmasche machten.

Ähnlich wie Obama den Antiterrorkrieg von Bush jun. übernahm und ihn durch die Verwendung anderer Begriffe der Öffentlichkeit in den USA und im Ausland schmackhafter zu machen versucht, wird seit Anfang 2009 die US-Militärpräsenz im Irak zwar verkleinert, dafür jedoch konsolidiert. Das heißt, kleinere Basen werden aufgegeben und die verbliebenen Soldaten auf mehrere riesige Stützpunkte wie Joint Base Balad im Norden, Camp Adder im Süden, Al Assad Air Base im Westen und Camp Victory am Rande des internationalen Flughafens von Bagdad zusammengezogen. Allein 2009 hat das US-Militär in den Basenausbau im Irak 496 Millionen Dollar investiert. In diesem Jahr will man zum selben Zweck 323 Millionen ausgeben.

Überragendes Symbol der langfristigen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen der USA im Irak ist die neue amerikanische Botschaft in Bagdad. Sie befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Präsidentenpalasts Saddam Husseins, der sogenannten Grünen Zone, ist mit 25 Hektar flächenmäßig die größte und mit Baukosten von 700 Millionen Dollar die teuerste Botschaft nicht nur der Welt, sondern der Weltgeschichte. Interessant in diesem Zusammenhang sind die jüngsten Pläne von US-Außenministerin Hillary Clinton, zum Schutz ihres diplomatischen Personals im Irak die Zahl von deren Leibwächtern, die meistens im Auftrag von Firmen wie Dyncorp oder Blackwater (die heute unter dem Namen Xe Services firmiert) unterwegs sind, von derzeit 2700 auf künftig 6000 bis 7000 zu erhöhen. In einem Interview mit der US-Radiosendung Democracy Now! hat am 3. August Jeremy Scahill, Autor der Firmengeschichte von Blackwater, der bereits am 22. Juli auf seinem Blog auf der Website der Zeitschrift The Nation die nicht unumstrittenen Pläne des State Department zur Einrichtung einer eigenen Mini-Armee im Irak bekanntmachte, zum Vergleich darauf hingewiesen, daß die US-Spezialstreitkräfte lediglich 4000 Soldaten weltweit im Dauereinsatz haben. Bekanntlich bestehen die meisten Leibwächter von Xe, Dyncorp und den anderen Militärdienstleistern aus ehemaligen Mitgliedern der Army Rangers, der Navy Seals oder der Delta Force.

Zur Begründung der fortgesetzten Militärpräsenz im Irak kommt den Amerikanern die instabile Lage im Zweistromland zupaß. General Odierno hat vor kurzem die Wichtigkeit des US-Militärstützpunktes nahe der Stadt Kirkuk, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, hervorgehoben, um einen offenen Kampf zwischen Kurden und Arabern um die Einnahmen aus der Ölförderung dort zu verhindern. Vor dem Hintergrund der sich seit März hinschleppenden Verhandlungen über die Bildung einer neuen nationalen Regierung wird der Irak von schweren Anschlägen und Überfällen erschüttert. Allein am 3. August gab es im Irak fünf Autobombenanschläge und drei Angriffe mit Mörsergranaten - zwei davon auf die schwer bewachte Grüne Zone in Bagdad. Am Ende dieses einen Tages waren laut Polizei 46 Menschen eines gewaltsamen Todes gestorben. Seit Monaten steigt die Zahl der gewaltsamen Übergriffe im Irak langsam aber sicher an. Der Juli 2010 gilt mit mehreren hundert Toten in der offiziellen Statistik als blutigster Monat seit Mai 2008.

Doch auch für die USA hat die politische Instabilität im Irak einen gewissen Nachteil. Die bisherige Unfähigkeit der drei mächtigsten Blöcke im irakischen Parlament, Premierminister Malikis schiitische Gruppierung State of Law, Ex-Premierminister Ijad Allawis säkular-sunnitische Iraqiya-Parteienkoalition und die Irakische Nationalallianz (INA) des nationalistischen "Radikalpredigers" Muktada Al Sadr, eine Koalition zu bilden, bedeutet, daß Washington jener Partner in Bagdad fehlt, mit dem man eine Revidierung des SOFA und eine Verlängerung der amerikanischen Truppenpräsenz aushandeln und beschließen könnte.

6. August 2010