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NAHOST/1036: EU lädt Iran zu Scheinverhandlungen über Atomstreit ein (SB)


EU lädt Iran zu Scheinverhandlungen über Atomstreit ein

Einladung aus Brüssel bisher offiziell unbeantwortet - aus gutem Grund


Auf die am 14. Oktober ausgesprochene Einladung Catherine Ashtons, der außenpolitischen Vertreterin der Europäischen Union, an die Regierung des Irans zu Gesprächen vom 15. bis zum 17. November in Wien mit Vertretern der fünf ständigen Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen - China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und den USA - sowie Deutschlands (der sogenannten P5+1, wobei P hier für Permanent/Ständig steht) zwecks Erörterung des Streits über das iranische Atomprogramm hat es aus Teheran bis heute keine offizielle Antwort gegeben. Für die Zurückhaltung der iranischen Regierung gibt es einen guten Grund. Offenbar befürchten die Iraner - nicht ganz zu Unrecht -, daß die Gespräche von den USA und ihren europäischen NATO-Verbündeten weniger zur Beilegung als vielmehr zur Verschärfung des sogenannten "Atomstreits" genutzt werden könnten.

Die ersten inoffiziellen Reaktionen Teherans auf die Einladung Ashtons, die zuletzt am 1. Oktober 2009 in Genf geführten Gespräche wieder aufzunehmen, waren positiv. Irans Chefunterhändler in Atomfragen, Saeed Jalili, hieß am 15. Oktober den Vorstoß Ashtons willkommen und erklärte, ein "Dialog über eine Zusammenarbeit" sei die einzige vernünftige Option zur Lösung der Krise. Der Außenminister Manuchehr Mottaki bezeichnete die Initiative der EU-Amtskollegin als eine "gute Nachricht". Auch Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der im September am Rande der UN-Vollversammlung in New York den Einigungswillen und die Kompromißbereitschaft Teherans verkündet und damit Bewegung in die verhärteten Fronten gebracht hatte, begrüßte die Einladung, stellte jedoch eine Reihe von Bedingungen: Die anderen Parteien müssen offen erklären, ob sie auf Freundschaft oder Feindschaft mit dem Iran aus sind; es müßten die realexistierenden Atomwaffen Israels thematisiert werden; in die Gespräche müßten mehr Länder eingebunden werden (Hier dachte Ahmadinedschad mit Sicherheit an die Türkei und Brasilien, mit deren Regierungschefs Recip Tayyip Erdogan und Luiz Inacio Lula de Silva er noch im Mai einen Plan zum Austausch des größten Teils des schwach angereicherten, iranischen Urans gegen höher angereichertes Uran aus Frankreich zwecks Herstellung von Isotopen in einem Testreaktor in Teheran zur Behandlung von Krebspatienten ausgehandelt hatte).

Im Iran sitzt die Enttäuschung darüber noch tief, daß die Regierung Barack Obamas, allen voran das von Hillary Clinton geleitete Außenministerium in Washington, den von Ahmadinedschad, Erdogan und Lula ausgehandelten Lösungsansatz als indiskutabel beiseitewischte und einen Monat später erfolgreich die anderen UN-Sicherheitsratmitglieder zur Annahme einer Resolution drängte, mit der schwere wirtschaftliche Sanktionen gegen die Islamische Republik verhängt wurden. Seitdem arbeitet die US-Regierung unter der Regie von Stuart Levey, dem von Obama von George W. Bushs Vorgängeradministration übernommenen, im Außenministerium für "Terrorismus und Finanznachrichten" zuständigen Staatssekretär, rund um die Uhr, den Iran ökonomisch in die Knie zu zwingen. Zuletzt hat am 27. Oktober das US-Finanzministerium 37 deutsche, maltesische und zypriotische Reedereien auf eine schwarze Liste gesetzt, weil sie irgendwelche Produkte transportierten, die auf irgendeine Art und Weise Verwendung im iranischen Kernenergieprogramm fänden, hinter dem Washington angeblich den heimlichen Atombombenbau vermutet.

Eine Bestätigung für den Verdacht, daß bei den von Ashton vorgeschlagenen Verhandlungen in Wien die Iraner vorgeführt und zu internationalen Parias abgestempelt werden sollen, lieferte die New York Times am 28. Oktober mit einem Artikel über das Angebot, das die Obama-Regierung bei dem Anlaß den Vertretern Teherans vorlegen will. In dem Artikel aus der Feder von David Sanger mit der Überschrift "Obama Set to Offer Stricter Nuclear Deal to Iran" heißt es, der Iran müßte seine gesamten Bestände an dem auf 3,5 Prozent schwach angereicherten Uran - geschätzte 2200 Kilogramm und nicht nur die mit der Türkei und Brasilien vereinbarten 1200 Kilogramm - außer Landes geben, die Anreicherung auf 20 Prozent im eigenen Land zur Herstellung von Isotopen für den medizinischen Gebrauch gänzlich einstellen und "zudem seine Zusage, über die Zukunft seines Atomprogramms zu verhandeln, in die Tat umsetzen". Bezeichnend für die arrogante und - vermutlich absichtlich - hochprovokante Weise, mit der die Amerikaner die Iraner behandeln, ist die Tatsache, daß sich in dem Artikel kein einziges Wort darüber findet, was letztere im Gegenzug bekämen, gingen sie auf Obamas "Angebot" ein.

In den letzten Wochen und Monaten haben die Iraner immer wieder betont, daß sie nur als gleichberechtigte Gesprächspartner und nicht als Bittsteller oder Vertreter eines "Schurkenstaates", die gegenüber der sogenannten "internationalen Gemeinschaft" in irgendeiner Bringschuld stünden, mit den USA, den EU-Großmächten oder sonst jemandem verhandeln werden. Mag sein, daß die Obama-Regierung aus Rücksicht auf die tonangebenden pro-israelischen Kräfte in den USA meint, weiterhin einen konfrontativen Kurs gegenüber Teheran fahren zu müssen, doch auf die Weise wird es keine friedliche Lösung des Atomstreits geben. Von daher wäre es nur konsequent, wenn die Iraner Ashtons geplante Gesprächsrunde in der österreichischen Hauptstadt boykottieren, denn sie müßten ansonsten befürchten, dort von den anderen an den Pranger gestellt zu werden.

18. Oktober 2010