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NAHOST/1059: Junge Palästinenser fordern Ende der Spaltung (SB)


Establishment in Gaza und Westjordanland unter Druck


So wenig die Palästinenser den militärischen, politischen, ökonomischen und administrativen Zwangsmitteln der Besatzungsmacht Israel entgegenzusetzen haben, so sehr beraubt sie ihre Spaltbarkeit aller Mittel, den Widerstand gegen die Ursachen ihrer bedrängten und entwürdigenden Lebensverhältnisse den überwältigenden Hindernissen zum Trotz in Stellung zu bringen. Die als gefährlich eingeschätzten palästinensischen Kräfte auseinanderzudividieren und gegeneinander zu hetzen, hat sich seit Jahrzehnten als integraler und außerordentlich wirkungsvoller Übergriff israelischer Intervention erwiesen. So wurde die Hamas gezielt als Konter gegen die Fatah gefördert und aufgebaut, worauf sie ihrerseits als zentrales Feindbild mit Hilfe einer kollaborierenden Fatah bekämpft werden konnte. Die Kernformel gebetsmühlenartig wiederholter Propaganda, auf Seiten der Palästinenser gebe es keinen Partner für Friedensgespräche, fand ihre Entsprechung in der von israelischer Regierungspolitik betriebene Aufsplitterung in verfeindete palästinensische Fraktionen, die weit eher bereit waren, einander zu drangsalieren und nicht selten zu massakrieren, als sich auch nur ansatzweise gegen die Quelle ihres gemeinsamen Verhängnisses zusammenzuschließen.

Wie eng das Netz aus Unterwanderung, Erpressung und Bestechung auch gezogen sein mag, vermag es doch den Fang an Fügsamkeit und Lenkbarkeit nur solange zusammenzuhalten, wie der Katalysator der Beteiligung den Prozeß der Unterwerfung in Gang hält. Ausbeutungsverhältnisse und Machtapparate innerhalb der palästinensischen Gesellschaft blieben der sicherste Garant Israels, durch Nähren von Pfründen, Provozieren von Konflikten und Munitionieren von Fraktionskämpfen eine Gefängniskultur einander kontrollierender und drangsalierender Häftlinge in den besetzten Gebieten zu befördern. Seinem Wesen nach unbeherrschbar bleibt jedoch jenes Quentchen ungebrochene Negation der Unterwerfung, das nicht den eigenen Vorteil im Niedertrampeln anderer zu realisieren wähnt.

So nachhaltig sich das Gefüge einer von außen aufoktroyierten und von inneren Begehrlichkeiten genährten Kollaboration in den Palästinensergebieten bis zur Unausweichlichkeit verdichtet haben mag, ist doch nicht auszuschließen, daß sich eine jüngere Generation diesem Verhängnis zu entziehen trachtet. Indem die Zahl junger Palästinenser wächst, die nie etwas anderes als Einschränkung und Perspektivlosigkeit kennengelernt haben, nimmt auch die Bereitschaft ab, Hoffnungen auf Wohlstand inmitten des Elends und Einfluß in einem Meer der Ohnmacht nachzuhängen. Verlieren die palästinensischen Eliten den Griff auf ihre Basis, faßt auch die aus Fraktionierung und Günstlingswirtschaft geschmiedete Klammer der israelischen Besatzungsmacht nicht mehr.

Inspiriert von den Erhebungen in den arabischen Nachbarländern, die Nordafrika und den gesamten Nahen Osten erschüttern, haben Zehntausende vorwiegend junge Palästinenser im Gazastreifen und Westjordanland für eine Aussöhnung zwischen Hamas und Fatah demonstriert. Sie forderten die politischen Führungen auf, ihre Streitigkeiten zu beenden und einen Dialog aufzunehmen. "Unser Ziel ist die nationale Einheit und ein Ende dieses dunklen Kapitels in unserem Leben", erklärte Mohammed Scheik Jussef, Sprecher der Jugend des 15. März, die den Protest in Gaza organisierte. "Die Einheit ist unser Weg, und das Ende der Besatzung ist unser Ziel", stand dort auf einem Plakat zu lesen. [1]

Die eindeutige Botschaft an das politische Establishment, entweder ernsthafte Schritte zur Beendigung der Spaltung einzuleiten oder die Basis in der jungen Generation zu verlieren, scheint angekommen zu sein. Präsident Mahmud Abbas reagierte positiv auf eine Einladung des Hamas-Ministerpräsidenten Ismail Hanijeh in den Gazastreifen. Er sei bereit, schon morgen nach Gaza zu reisen und die Teilung zu beenden, verkündete Abbas in Ramallah. Daraufhin erklärte die Hamas, man treffe die nötigen Vorbereitungen, um "den Präsidenten zu empfangen". Wenngleich kein konkreter Termin genannt wurde, schlug man beiderseits einen ungewöhnlich versöhnlichen Tonfall an. So spricht die Hamas Abbas als "Präsidenten" an, obgleich sie ihm ansonsten angesichts seiner längst ausgelaufenen Amtszeit keinerlei Legitimität zubilligt. Abbas seinerseits wirbt für Neuwahlen für das Parlament und das Präsidentenamt innerhalb von sechs Monaten unter Beteiligung der Hamas, wobei der 75jährige bekräftigt, daß er selbst nicht mehr kandidieren werde. Bis es zu Neuwahlen kommt, solle eine Expertenregierung gebildet werden. [2]

Die Initiative war von Ismail Hanijeh ausgegangen, der Abbas zuvor zu einem "umfassenden Dialog" über eine Vereinigung eingeladen hatte. Als Abbas in Ramallah seine Bereitschaft erklärte, erstmals seit 2007 "nach Gaza zu reisen, um die Spaltung zu beenden und eine neue Regierung zu bilden", (...) "damit wir dieses dunkle und unehrenhafte Kapitel der Teilung überwinden können", erinnerte seine Wortwahl durchaus an die Parolen auf den Straßen des Gazastreifens und Westjordanlands. Für die Hamas erklärte deren Sprecher Fausi Barhum, man begrüße die Äußerungen von Abbas und rufe die Regierung auf, "alle notwendigen Schritte für diesen Besuch zu unternehmen". Auch der Führer des Islamischen Dschihad im Gazastreifen, Mohammed al Hindi, begrüßte die Antwort des PLO-Vorsitzenden. Dessen Geste des guten Willens müsse in praktische Schritte übersetzt werden, "die politische Teilung zu beenden und unser Volk zu vereinigen". [3]

Die Amtszeit Mahmud Abbas' ist bereits vor einem Jahr abgelaufen, doch lehnte er unter Verweis auf die Zerwürfnisse innerhalb der palästinensischen Gruppen die Ansetzung einer Wahl seither ab. Zwar kündigte er im Januar einen Urnengang bis zum September an, doch zog er diese Zusage später mit der Begründung zurück, vor einer Versöhnung zwischen Westjordanland und Gazastreifen könne es keine Abstimmung geben. Nach Jahren erbitterter Kontroversen, in denen eine Annäherung der verfeindeten Lager undenkbar schien, gibt der aktuelle Austausch versöhnlicher Gesten zumindest Grund zur Annahme, daß das Gefüge der Spaltung zu wanken beginnt.

Anmerkungen:

[1] Aufstände in der arabischen Welt. Abbas opfert sich für Palästinenser-Frieden (16.03.11)
http://www.handelsblatt.com/politik/international/abbas-opfert-sich-fuer-palaestinenser-frieden/3956858.html

[2] Friedenssignale in Palästina (17.03.11)
http://www.sueddeutsche.de/e5438J/3969501/Friedenssignale-in-Palaestina.html

[3] Abbas will bei Gaza-Besuch Versöhnung mit Hamas vorantreiben (16.03.11)
http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/nahost-abbas-will-bei-gaza-besuch-versoehnung-mit-hamas-vorantreiben_aid_609342.html

17. März 2011