Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1075: Ägyptens Sicherheitsapparat in der Kritik (SB)


Ägyptens Sicherheitsapparat in der Kritik

Kairos dunkle Geheimnisse kommen zum Teil ans Tageslicht


Der Kampf des Westens gegen das Schreckgespenst des islamistischen "Terrorismus" hat diverse Einsätze der Geheimdienste und Streitkräfte der USA und ihrer NATO-Verbündeten in den Ländern der muslimischen Welt wie Afghanistan, dem Irak, dem Jemen, Pakistan, Somalia und neuerdings Libyen - schließlich versucht man seit Jahren Muammar Gaddhafi den Lockerbie-Anschlag vom 1988 anzuhängen - nach sich gezogen. Die Hauptleidtragenden der offenbar niemals endenden Jagd auf Osama Bin Laden, dem angeblichen Auftraggeber der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 in New York und Arlington, sind natürlich die Menschen in den betroffenen Staaten, deren Lebensumgebung von einem Augenblick auf den nächsten in ein Kriegsgebiet verwandelt wird. Doch auch in den Industriestaaten des Westens geht der Antiterrorkrieg, ähnlich seinem Vorläufer, der unsägliche, ebenfalls niemals endende Anti-Drogen-Krieg, mit der Erodierung bzw. Preisgabe bisher als heilig geltender bürgerlicher Rechte und dem Reimport jener Technologien, die ursprünglich zur Bekämpfung der "Terroristen" in der Dritten Welt konzipiert waren, einher. Prominente Beispiele dieses Phänomens sind der zunehmende Einsatz von kriegserprobten Drohnen in Nordamerika und Europa zu polizeilichen Observationszwecken und die Bedingungen, unter denen der im Untersuchtungshaft sitzende Bradley Manning gehalten wird, ganz als sei der junge Gefreite der US-Armee ein "Topterrorist" oder ein "feindlicher Kombattant" in Guantánamo Bay und nicht einfach der mutmaßliche Informant von Wikileaks.

Der von einer "demokratischen Revolution" in Ägypten bewirkte Sturz des jahrzehntealten "Regimes" Hosni Mubaraks im vergangenen Februar hat uns seltene Einblicke in das Wechselspiel zwischen der Fortsetzung des "Antiterrorkrieges" im Ausland und dem Ausbau polizeistaatlicher Strukturen im Innern gewährt. Bei der Erstürmung der wichtigsten Gebäude des Inlandsgeheimdienstes in Kairo und Alexandria am 5. und 6. März, haben Ägyptens Revolutionäre Dokumente gefunden und später veröffentlicht, aus denen ganz klar hervorgeht, daß unter Mubarak der Sicherheitsapparat jahrelang selbst Anschläge verübt und sie islamischen "Extremisten" in die Schuhe geschoben hat, um die Repression der Mittel- und Unterschicht begründen zu können. Lange vor der Veröffentlichung dieser spektakulären Funde war bekannt, daß sich die Ägypter, speziell die Männer um Mubaraks langjährigen Sicherheitsberater Omar Suleiman, zu den "willigsten Vollstreckern" Washingtons gehörten, wenn es darum ging, die in Afghanistan, Pakistan oder sonstwo auf der Welt entführten Opfer der "außergewöhnlichen Überstellungen" der CIA zu foltern und sie zu Falschaussagen - gegen Saddam Hussein zum Beispiel - zu bewegen.

Über einen weiteren interessanten Fund aus den Archiven des ägyptischen Geheimdienstes berichtete Eli Lake am 25. April in der Washington Times unter der Überschrift "British firm offered spy software to Egypt". Demnach steht in einem Dokument aus dem Kairoer Innenministerium, das vor kurzem der Arzt und Blogger Mostafa Hussein ins Internet gestellt hat, ein auf den 29. Juni 2010 datiertes Angebot des britischen Sicherheitsunternehmens Gamma International, der berüchtigten Ermittlungsabteilung des staatlichen Sicherheitsdienstes den vollen Zugang zum privaten Telekommunikationsverkehr von Regierungsgegnern zu ermöglichen, finde dieser über Gmail, Skype, Hotmail oder Yahoo statt. Die Überwachung sollte über irgendwelche Hintertüren erfolgen, die Gamma unter Anwendung eines Programms namens FinFisher auf den Rechnern der betroffenen Personen ohne deren Wissen installierte. Über das Angebot berichtete bereits am 14. März German-Foreign-Policy.com wie auch über die Vermutung, daß es dem ägyptischen Innenministerium von der Münchener Filiale von Gamma unterbreitet wurde. Inwieweit auf das Angebot eingegangen wurde und ob Gamma für Mubarak, Suleiman und Konsorten überhaupt tätig wurde, ist bis heute unklar. Mostafa Hussein und seine Mitstreiter gehen laut Eli Lake jedenfalls fest davon aus, daß es zu einer Zusammenarbeit gekommen ist. Man kann annehmen, daß Gamma Interessenten für derlei Produkte auch in den Industriestaaten findet.

In einem weiteren Artikel, der am 26. April bei informationclearinghouse.info unter dem Titel "The Sting of the Scorpion... Egypt's Darkest Corner was the forerunner to Guantánamo" erschienen ist, berichtete die couragierte britische Journalistin Yvonne Ridley vom dunkelsten Geheimnis der Mubarak-Ära in Ägypten, nämlich der Existenz des Hochsicherheitstrakts Al Akrab (Der Skorpion), der sich auf einem von der restlichen Welt abgeschotten Teil des Geländes des größeren und bekannteren Gefängnisses Tora am Rande Kairos befindet. Das Zentralgefängnis Tora ist der Ort, wo derzeit Mubaraks Sohn Jamal und der ehemalige Innenminister Habib Al Adly auf ihre Prozesse wegen Korruption und Amtsmißbrauch warten.

Laut Ridley, die im Herbst 2001 als Reporterin an der afghanisch-pakistanischen Grenze von den Taliban vorübergehend festgenommen wurde und sich seitdem für das Schicksal der Verschleppten des "Antiterrorkrieges" interessiert, werden in den Kerkern von Al Akrab noch rund 100 Häftlinge, die schwere Martyrien hinter sich haben, ohne daß jemals Anklage gegen sie erhoben wurde, unter gräßlichen Bedingungen weiter gefangengehalten. Ridley zufolge, die sich hier auf Angaben der Moslem-Bruderschaft bezieht, nahm Al Akrab im Mai 1993 - wenige Monate nach dem ersten Anschlag auf die New Yorker Zwillingstürme, der von Anhängern des ägyptischen "Radikalpredigers" und früheren CIA-Kontaktmannes Omar Abdel Rahman verübt wurde und als eigentlicher Auftakt des "Antiterrorkrieges" gilt - seinen Betrieb auf. Ridley bezeichnet die Einrichtung des Foltergefängnisses als "Geistesprodukt" einer Gruppe ägyptischer Geheimdienstler, die zuvor fünf Jahre beim FBI in den USA ausgebildet wurden. Aus Gesprächen, welche die Reporterin des iranischen Nachrichtensenders Press TV mit dem britischen Moslem Moazzam Begg geführt hat, der selbst Opfer der CIA-Verschleppungspraxis war und heute die Menschenrechtsgruppe Cage Prisoners leitet, kamen beide zu dem Ergebnis, daß das umstrittene Internierungslager auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba Al Akrab nachgebaut wurde. Wie es schon im amerikanischen Sprichwort heißt: "What goes around, comes around".

28. April 2011