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NAHOST/1098: Al Sadr lehnt Verbleib von US-Soldaten im Irak ab (SB)


Al Sadr lehnt Verbleib von US-Soldaten im Irak ab

Abzugstermin für die US-Streitkräfte rückt immer näher


Entgegen aller anderslautenden offiziellen Erklärungen weiß doch jedes Kind, daß die Amerikaner 2003 in den Irak einmarschiert sind, um das Zweistromland unter die eigene militärische Kontrolle zu bringen und in Bagdad eine Washington hörige Regierung zu installieren. Sonst hätten die USA ihre Truppen in dem Moment, als feststand, daß der böse Onkel Saddam Hussein gar keine Massenvernichtungswaffen besaß, mit denen er die Region Nahost samt Israel und womöglich gar die ganze "freie Welt" hätte bedrohen können, aus dem Irak abziehen müssen. Doch dazu ist es natürlich nicht gekommen.

Schon einmal im Lande fielen den Amerikanern jede Menge Aufgaben ein, die sie erledigen müßten, bevor sie mit dem Truppenabzug beginnen könnten. Dazu gehörte der Wiederaufbau eines Landes, das die USA und ihre Verbündeten im Zuge des Golfkrieges 1991 und der zwölf Jahre andauernden UN-Wirtschaftssanktionen zugrunde gerichtet hatten. Doch mehr als acht Jahre nach dem Ende der Ära Saddam Husseins liegt der einst wohlhabende und für die Region weit entwickelte Irak immer noch am Boden; sauberes Wasser ist Mangelware, während das Stromnetz dauernd ausfällt. Dafür sind Abermilliarden Dollar für die Aufbauhilfe unwiederbringlich in irgendwelchen dunklen Kanälen verschwunden. Der Widerstand gegen die völkerrechtlich illegale US-Truppenpräsenz - schließlich war der Krieg zum Sturz des "Regimes" Saddam Hussein ohne Mandatierung durch den UN-Sicherheitsrat und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erfolgt - mußte angeblich auch niedergeschlagen werden. Das dauerte dann mehrere Jahre, sorgte für Hunderttausende Tote sowie rund zwei Millionen Flüchtlinge und gelang erst, als das US-Militär die irakischen Sunniten und Schiiten dazu brachte, sich gegenseitig abzuschlachten.

Nichtsdestotrotz wollten die Stimmen in den USA, die eine Heimholung "unserer Jungs" forderten, und im Irak, die auf ein Ende der ausländischen Besatzung drängten, nicht verstummen. Deshalb haben im November 2008 Premierminister Nuri Al Maliki und Präsident George W. Bush ein State Of Forces Agreement (SOFA) unterzeichnet, das zwar die US-Truppenpräsenz im Irak gesetzlich regelte, gleichzeitig ihr Ende auf den 31. Dezember 2011 terminierte. Im selben Monat war Barack Obama zum Nachfolger von Bush jun. als US-Präsident nicht zuletzt deshalb gewählt worden, weil er einen baldmöglichsten Abzug der amerikanischen Kampftruppen aus dem Zweistromland versprochen hatte. Im Juli 2010 hat Obama dieses Wahlversprechen eingelöst. Seitdem steht die Frage im Raum, was mit den verbliebenen 47.000 US-Soldaten im Irak geschehen soll.

Nach dem Wortlaut des SOFA-Abkommen dürfte sich ab dem 1. Januar 2012 kein einziger US-Militärangehöriger mehr im Irak befinden. Doch die politische Wirklichkeit spricht gegen die Verwirklichung dieses Ziels. Je näher der Termin für den Abzug rückt, um so hysterischer drängt die militärische und politische Führung in Washington die Kollegen in Bagdad dazu, eine entsprechende Regelung für die künftige Zusammenarbeit der amerikanischen und irakischen Armee zu finden. Man behauptet, die Streitkräfte des Iraks seien noch nicht in der Lage, das Land gegen äußere oder innere Feinde zu verteidigen, und bedürften weiterhin der logistischen und rüstungstechnologischen Unterstützung der amerikanischen Kameraden.

Wegen der nach wie vor im Volk und Parlament herrschenden Ablehnung der US-Besatzung hat Premierminister Maliki vor einigen Wochen angeregt, ein paar Tausend amerikanische Soldaten könnten als Ausbilder und Spezialisten im Land bleiben, um, vielleicht unterstützt von Angehörigen ausländischer Söldnernunternehmen, die irakischen Streitkräfte im richtigen Umgang mit ihren neuen hochmodernen Waffensystemen wie den 36 vor kurzem bestellten Kampfjets vom Typ F-16 zu unterweisen. Mit jenem Vorschlag wollte Maliki das Bagdader Parlament, wo sich bislang keine eindeutige Mehrheit für einen Verbleib der Amerikaner abzeichnet, umgehen. In den USA kam der Winkelzug jedoch schlecht an. Washington beharrt auf eine vom irakischen Parlament abgesegnete Revidierung des SOFA-Abkommens, weil das allein den US-Soldaten Immunität vor den irakischen Gesetzen garantiert. Nachdem am 1. August Admiral Michael Mullen, der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, bei einem Blitzbesuch in Bagdad die Anführer der wichtigsten Fraktionen im irakischen Parlament ins Gebet genommen hatte, gaben diese am darauffolgenden Tag Premierminister Maliki formell grünes Licht für Verhandlungen mit Vertretern des Pentagons und der Obama-Regierung über eine Verlängerung bzw. Revidierung des SOFA-Abkommens.

Selbst wenn sich Bagdad und Washington auf den Verbleib von nur 10.000 amerikanischen "Militärausbildern" auf wenigen großen Stützpunkten mit angeschlossenen Start- und Landebahnen für die US-Luftwaffe einigen sollten, was derzeit die New York Times und die Washington Post als wahrscheinlichstes Verhandlungsergebnis prognostizieren, besteht keine Garantie, daß Maliki vor Ende des Jahres ein entsprechendes Gesetz durch das irakische Parlament bekommt. Zwar stehen die kurdischen Parteien, die sunnitische Iraqia-Allianz des Ex-Premierministers und früheren CIA-Kontaktmannes Iyad Allawi und Malikis eigene, schiitisch-geprägte Da'wa-Fraktion einer begrenzten US-Militärpräsenz wohlwollend gegenüber, doch wird sie von den anderen großen schiitischen Gruppierungen, dem Obersten Islamischen Rat im Irak (OIRI) um Ammar Al Hakim und Muktada Al Sadrs Sadr-Trend, skeptisch respektive ablehnend betrachtet.

In einer Presseerklärung, die am 6. August auf der Website seiner Partei erschienen ist, hat Al Sadr, dessen mächtige Mahdi-Armee sich seit 2008 im Waffenstillstand befindet und der derzeit in der iranischen Pilgerstadt Qom der Ausbildung zum Ajatollah nachgeht, eine mehr als deutliche Position bezogen. Sollten die US-Streitkräfte ihren Aufenthalt im Irak über die Jahreswende hinaus fortsetzen, "werden sie als tyrannische Besatzer, gegen die mit militärischen Mitteln vorzugehen ist, behandelt. ... Eine Regierung, die ihrem Verbleib, und sei es zum Zwecke der Ausbildung, zustimmt, ist eine schwache Regierung", so Al Sadr.

Die kommenden Monate werden zeigen, ob Al Sadrs Nein zur amerikanischen Militärpräsenz wirklich kategorisch oder nur Teil des politischen Pokerspiels in Bagdad ist. Die Haltung des in der westlichen Presse stets als "Radikalprediger" bezeichneten Sprosses der berühmten schiitischen Ayatollahdynastie Al Sadr - wie übrigens diejenige Malikis und des OIRI-Anführers Al Hakim - dürfte nicht zuletzt vom Stand der Beziehungen zwischen den USA und dem Iran abhängen. Leider entwickeln sich diese in letzter Zeit nicht zum Besten. Neokonservative Publizisten und Hardline-Militaristen in den USA behaupten, hinter der in den letzten Wochen zu verzeichnenden Zunahme der Verluste auf Seiten der amerikanischen Streitkräfte im Irak und Afghanistan stecken der Iran bzw. dessen Revolutionsgarden. Auf einen Beleg zur Untermauerung der Glaubwürdigkeit solcher Behauptungen, die immer wieder erhoben werden, wartet man - wie stets - vergeblich.

10. August 2011