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NAHOST/1103: Deutscher Sonderweg zur Bemächtigung der libyschen Beute (SB)


Primat ökonomischen Zugriffs - Militäreinsatz in Stellung


Während die Kämpfe in Libyen weitergehen und selbst jahrelange Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Fraktionen nicht auszuschließen sind, ist der Streit um die Kriegsbeute längst in vollem Gange. Das proklamierte "neue und freie" Libyen soll auch in Zukunft Europa und die USA mit Erdöl und Erdgas beliefern, westlichen Unternehmen günstige Verwertungsbedingungen gewähren und nicht zuletzt als vorgelagertes Bollwerk die Armutsmigration zurückwerfen. Anders als unter Gaddafi, der mit Hilfe der Ölrente Libyen zum Land mit dem höchsten Lebensstandard in Afrika gemacht und zahlreiche andere afrikanische Länder unterstützt hat, werden die Erträge künftig einer tendentiellen Umverteilung auf die gesamte Bevölkerung und dem Einsatz für eine unabhängige Entwicklung des Kontinents entzogen. Mit massiver militärischer und politischer Hilfe des Westens an die Macht gebracht, soll das Konglomerat der Rebellen mit seiner Führung in Gestalt des Nationalen Übergangsrats nach der Simulation einer Revolution nun die nicht minder fragwürdige Übergangsregierung handlungsfähig machen. Als Protektorat von Gnaden Europas und der USA wird das nordafrikanische Land fortan eng ins Geschirr genommen, um Handlangerdienste ökonomischer, regionalpolitischer und geostrategischer Art zu verrichten.

Nachdem der Übergangsrat angekündigt hat, die neue libysche Führung werde mindestens bis zu den ersten freien Wahlen alle Verträge mit ausländischen Firmen und Staaten einhalten, ist der obligatorische erste Schritt getan. [1] Zugleich ließ die Übergangsregierung keinen Zweifel daran, wem der Löwenanteil der Beute zugeschustert werden soll. Sie will beim Wiederaufbau des Landes vor allem diejenigen Staaten belohnen, die sie bei ihrem Kampf gegen Muammar al Gaddafi unterstützt haben. Wie der Präsident des Nationalen Übergangsrats der Rebellen, Mustafa Abdel Dschalil, auf einer Pressekonferenz in Bengasi erklärte, sollen die Länder entsprechend ihrer Unterstützung behandelt werden. [2]

Für ihre Strategie, sich der arabischen Welt nicht als militärischer Aggressor, sondern engagierter Aufbauhelfer anzudienen, hat die deutsche Regierung harsche Kritik im In- und Ausland geerntet. Dies gilt um so mehr, als der Angriffskrieg der NATO gegen Libyen angesichts seiner hohen Akzeptanz in den westlichen Ländern die verbliebenen Restbestände friedenspolitischer Vorbehalte weithin aus dem Feld schlug. Daß es keineswegs friedliebende Motive waren, die den verhöhnten deutschen "Sonderweg" beförderten, dokumentieren aktuelle Stellungnahmen des Verteidigungsministeriums. Thomas de Maiziére räumte ein, daß der Einsatz der NATO wesentlich für den Erfolg der Rebellen war. Er rechnet weder mit einem jahrelangem Bürgerkrieg noch einer Aufforderung zur Beteiligung an einer internationalen Stabilisierungstruppe und geht davon aus, daß die künftige libysche Regierung selbst für die Sicherheit im Land sorgen kann und dazu keine Hilfe von außen braucht. [3]

Deutlicher wurde der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Christian Schmidt, der einen Stabilisierungseinsatz der Bundeswehr durchaus für möglich hält. "Es kann sein, wenn die Vereinten Nationen, die EU oder die Nato das für notwendig halten, dass man zu Stabilisierungshilfe auch mit militärischen Elementen aufgefordert wird. Natürlich würden wir dann im Rahmen unserer eigenen Interessen und unserer internationalen Verantwortung nicht abseits stehen können." Allerdings sollte ein derartiger Einsatz keine reine NATO-Aktion sein, sondern von der arabischen und nordafrikanischen Nachbarschaft mitgetragen werden. "Aber wenn die Nato gefordert ist, dann sind auch wir gefordert."

De Maiziére verteidigte die Vorgehensweise der Bundesregierung mit den Worten, Deutschland wolle generell zurückhaltend sein und sich nicht aufdrängen und einmischen. Die wutschnaubende Kritik aus den Reihen der Sozialdemokraten und Grünen, die der Koalition Feigheit vor dem Feind vorwerfen und dafür breite Zustimmung der bundesdeutschen Medien einfahren, gebärdet sich kriegstreiberischer als das Bündnis konservativer und wirtschaftsliberaler Provenienz. Während die lodengrünen Militaristen nach legalisiertem Mord und Totschlag im Namen des Guten lechzen, zumal der Libyenkrieg geradezu im Sonderangebot zu haben war, denken die Traditionalisten kapitalistischer Verwertung und imperialistischer Bestandssicherung in längeren Fristen. Sie ziehen es vor, den militärischen Führungsmächten den kostspieligen Vortritt beim Waffengang zu überlassen, um die ökonomische Stärke Deutschlands strategisch auszubauen.

Der deutsche Verteidigungsminister macht es vor, wenn er Hilfe bei der Beseitigung chemischer Kampfstoffe anbietet, die nicht in falsche Hände gelangen dürften: "Wir bieten Hilfe gerne an, wenn die Libyer sie wollen." Deutschland greift nicht mit Bomben und Raketen an, Deutschland hilft partnerschaftlich und zuverlässig, kommt die eiserne Härte der führenden Wirtschaftsmacht Europas gleichsam mit Baumwolle umwickelt daher. Selbst wenn die libysche Übergangsregierung zuerst Geschenke an die kriegführenden Regierungen verteilt und die Deutschen wegen ihrer Zurückhaltung leer ausgehen läßt, will das auf lange Sicht wenig besagen. Die Bundesregierung denkt über den Tag hinaus an lukrativere und stabilere Zugriffsstränge nach Nordafrika, als sie mit einer dubiosen und in sich widersprüchlichen Rebellentruppe zu befestigen wären.

Nach Angaben von Diplomaten liegen rund 30 Milliarden Dollar auf libyschen Auslandskonten, die allerorts Begehrlichkeiten wecken. Wen kümmert es schon, daß es sich bei den zumeist als "Gaddafi-Vermögen" titulierten Geldern in erheblichen Teilen um den Besitz des libyschen Staates und mithin seiner Bürger handelt, der nun kurzerhand geraubt und den neuen Machthabern übereignet wird. Der UN-Sicherheitsrat hat auf Druck der USA soeben 1,5 Milliarden Dollar aus diesen eingefrorenen Geldern freigegeben, die angeblich für humanitäre Zwecke verwendet werden, aber auch die Position des Übergangsrats stärken sollen. Südafrika hatte sich der Freigabe zuvor widersetzt, weil diese als automatische Anerkennung des Nationalen Übergangsrats durch die UNO gewertet werden kann. Die italienische Regierung hat angekündigt, sie wolle 350 Millionen Euro an gesperrtem libyschen Vermögen freigeben.

In dem Konzert selbstermächtigter Finanzumverteiler mischt auch die Bundesregierung in der Hoffnung mit, sich durch diesen Transfer Optionen auf die künftige Verwertung libyscher Ressourcen und Wirtschaftsleistungen zu sichern. Außenminister Guido Westerwelle bekräftigte die Bereitschaft, den Wiederaufbau Libyens zu unterstützen, das ein reiches Land sei. Sieben Milliarden Euro libyscher Gelder seien auf deutschen Konten eingefroren, und er habe bereits bei seinen US-amerikanischen und britischen Amtskollegen darauf gedrängt, diese Gelder baldmöglichst dem Übergangsrat zur Verfügung zu stellen. Zeitgleich kündigte der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dirk Niebel an, er werde bis zu sieben Millionen Euro Soforthilfe zur Aufrechterhaltung der Energie- und Wasserversorgung bereitstellen. Sobald die Öl- und Gasproduktion wieder anlaufe, könne Libyen im Gegenzug zur weiteren Entwicklung des Landes auf die deutsche Wirtschaft zurückgreifen. [4]

Deutsche Unternehmen stehen Gewehr bei Fuß, sich an dem lukrativen Wiederaufbau zu beteiligen. Vor dem Krieg gehörte Libyen neben Rußland, Großbritannien und Norwegen zu den wichtigsten Erdöllieferanten Deutschlands. Wegen des Ölgeschäfts war Libyen eines der wenigen Länder, die mehr Waren nach Deutschland lieferten als sie von dort bezogen. Deutsche Unternehmen waren daher von den Finanzsanktionen der EU gegen Libyen in erheblichen Maße betroffen. Neben Konzernen der Energiewirtschaft waren auch Anlagenbauer und Zulieferer sowie Baufirmen und Anbieter von Infrastrukturleistungen in dem nordafrikanischen Land präsent.

Wie der Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hervorhob, hätten deutsche Unternehmen in den Bereichen Infrastruktur und Energiewirtschaft viel zu liefern. Sie stünden bereit, sich am Wiederaufbau zu beteiligen und zeigten schon jetzt Präsenz in der Region. Sobald das Rechtsumfeld stimme, könnten diese Unternehmen aktiv werden. Zudem werde sich ein Ende der Kampfhandlungen über eine verbesserte Ölversorgung und den sinkenden Ölpreis positiv auf die deutsche Wirtschaft auswirken. [5]

Daß aus deutscher Sicht das Primat wirtschaftlicher Expansion eine militärische Komponente keineswegs ausschließt, signalisierte Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Deutschland verfüge über viele Möglichkeiten, Libyen auf dem Weg zur Demokratie zu helfen. Sein Beitrag könne nicht zuletzt darin bestehen, die libyschen Handelsbeziehungen mit der EU zu verbessern. Für den Fall anhaltender Kämpfe rivalisierender Fraktionen nach dem Sturz Gaddafis wollte Ischinger einen deutschen Militäreinsatz nicht ausschließen.

Unterhalb der Schwelle allgemeiner Aufmerksamkeit hat sich Deutschland ohnehin am Krieg beteiligt. Ohne zuvor das Parlament zu informieren, sagte De Maiziére im Juli der NATO Nachschub an Komponenten für Bomben und andere Ausrüstung zu. Kritik an seiner Entscheidung wies er mit dem Hinweis zurück, es habe sich um einen alltäglichen Vorgang in der Allianz gehandelt. In Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage räumte der Verteidigungsminister zudem ein, daß elf Angehörige der Luftwaffe im italienischen Hauptquartier der NATO unter anderem an der Auswahl von Angriffszielen mitwirkten. Das Parlament zu informieren, sei nicht erforderlich gewesen, da man sich gleich aus dem Bündnis verabschieden könne, wollte man sich solchen Routinevorgängen verschließen. Wie zudem bekannt geworden ist, schützt die Elitetruppe GSG9 der Bundespolizei das deutsche Liaisonbüro im Hauptquartier des Übergangsrats in der ostlibyschen Stadt Bengasi. Wie De Maiziére kürzlich im Gespräch mit Spiegel Online unterstrich, werde es künftig keinen deutschen Sonderweg mehr geben, weder in der EU noch mit Blick auf die anderen Bündnispartner.

Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,782512,00.html

[2] http://www.tagesschau.de/ausland/libyen1334.html

[3] http://www.welt.de/politik/ausland/article13566092/Dutzende-Leichen-in-verlassener-Klinik-entdeckt.html

[4] http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2011-08/unternehmen-aufbau-libyen

[5] http://www.wsws.org/articles/2011/aug2011/germ-a25.shtml

26. August 2011