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NAHOST/1231: NATO steht am Rande einer Intervention in Syrien (SB)


NATO steht am Rande einer Intervention in Syrien

Jordanien soll Israels Luftwaffe bereits Überflugsrechte gewährt haben



Beim Treffen der NATO-Außenminister in Brüssel am 23. April hat es keine eindeutige Entscheidung für eine Intervention in den Bürgerkrieg in Syrien gegeben. Unweigerlich jedoch läuft die Entwicklung darauf hinaus, denn die jüngste halbherzige russisch-amerikanische Friedensinitiative ist wegen der kompromißlosen Haltung der religiösen Fanatiker unter den syrischen Rebellen, allen voran der al-kaida-nahen Al-Nusra-Front, die als schlagkräftigste Truppe unter den Gegnern Bashar Al Assads gilt, von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Das Desinteresse der westlichen Mächte an einer friedlichen Beilegung des Bürgerkrieges in Syrien, die nicht einer bedingungslosen Kapitulation der säkularen Regierung in Damaskus gleichkommt, zeigt sich auch in der Entscheidung der Außenminister der Europäischen Union vom 22. April, das von ihnen 2011 verhängte Embargo auf syrisches Öl teilweise aufzuheben. Begründet wurde der Beschluß offiziell mit dem Wunsch, "der Zivilbevölkerung zu helfen". In Wirklichkeit werden die Einnahmen aus dem Rohstoffexport aus den von der Opposition kontrollierten ölreichen Provinzen Ostsyriens die Taschen der Al-Nusra-Front füllen, die dort das Sagen haben und sich in den letzten zwei Jahren vorwiegend durch schwere Bombenanschläge mit vielen Opfern unter der Zivilbevölkerung und die brutale Ermordung gefangengenommener Gegner - mittels Kopfabhacken - einen Namen gemacht hat. Als US-Außenminister John Kerry nach den Bombenanschlägen am 15. April auf den Marathon in seiner Heimatstadt Boston erklärte, "Terror, egal, wo auf der Welt und egal, gegen welches Land, ist inakzeptabel", hat er offenbar Syrien nicht im Sinn gehabt.

Medienberichten zufolge wurde die Versorgung der syrischen Rebellen über Jordanien in den letzten Wochen massiv verstärkt. Nachdem die Rebellen zuvor Landstriche "befreien" konnten, die im Nordwesten bei Idlib an der Türkei und im südöstlichen Dair Al Zawr an den Irak angrenzen, soll nun offenbar das gleiche im Süden geschehen. Auf der syrischen Seite der Grenze zu Jordanien, nahe der Stadt Daraa, soll ein Brückenkopf geschaffen werden, von wo aus die Eroberung der nahegelegenen syrischen Hauptstadt Damaskus endlich gelingen könnte. Wie US-Verteidigungsminister Chuck Hagel am 17. April bei einer Anhörung vor dem Kongreß in Washington bekanntgab, werden die 150 Militärberater, die das Pentagon in den letzten Monaten nach Jordanien entsandt hat, in den kommenden Tagen um einen 50köpfigen Kommandostab von der 1st Armored Division in Fort Bliss, Texas, ergänzt. In einem Bericht des Nachrichtensenders CNN vom 19. April über die steigende US-Militärpräsenz in Jordanien erklärten zwei namentlich nicht genannte Pentagon-Mitarbeiter, damit versetze man sich in die Lage, "im Falle eines entsprechenden Befehls eine vereinigte Einsatzgruppe für Militäroperationen" in Syrien "einzurichten".

Auch am 19. April berichtete die panarabische, in London erscheinende Zeitung Asharq Alawsat unter Verweis auf Quellen aus dem jordanischen Verteidigungsministerium, in den kommenden Wochen würde die Anzahl der US-Militärs im haschemitischen Königreich auf 500 ansteigen. Laut Asharq Alawsat sind die US-Soldaten in Jordanien hauptsächlich mit der Studie der topographischen Lage auf der anderen Seite der Grenze zu Syrien, mit dem Aufbau von Radarstationen, um die Situation im Nachbarland zu eruieren, und mit dem Ausbau von Kommunikationsnetzwerken befaßt - was sich alles in der Tat wie Invasionsvorbereitungen anhört. Angeblich hat US-Präsident Barack Obama bei seinem Besuch im März in Amman positiv auf die Bitte König Abdullahs nach einer Stationierung von Patriot-Abwehrraketen in Jordanien, um das Land vor einen Angriff mit Chemiewaffen zu schützen, reagiert. Es wird erwartet, daß zwei Patriot-Batterien aus Kuwait und Katar demnächst an die jordanisch-syrische Grenze verlegt werden.

In einem ebenfalls am 19. April erschienenen Bericht des palästinensischen Internetportals Middle East Monitor zeigte sich der ehemalige jordanische Luftwaffengeneralmajor Mamoun Abu Nawar besorgt über die Lage. Ihm zufolge sei Jordanien längst von seiner erklärten Politik der Nicht-Einmischung in syrische Angelegenheiten abgewichen. Abu Nawars Einschätzung zufolge werden die militärischen Vorkehrungen der USA in Jordanien, wo bereits seit Monaten syrische Rebellen von amerikanischen, britischen und französischen Spezialstreitkräften nahe Amman ausgebildet werden, die syrischen Streitkräfte zu einem "präemptiven Angriff, am wahrscheinlichsten durch den Einsatz von Chemiewaffen", verleiten.

Wie man weiß, hat Obama vor längerem den Einsatz von Chemiewaffen durch die syrischen Streitkräfte als Überschreiten der "roten Linie" bezeichnet, was schwerste Konsequenzen zur Folge hätte. Ihrerseits beteuert die Regierung in Damaskus, ihre Armee würde solche Waffen niemals gegen die Aufständischen im eigenen Land, sondern nur zur Zurückschlagung einer ausländischen Invasion einsetzen. In den vergangenen Wochen hat es unbestätigte Berichte über die Verwendung von chemiewaffenhaltigen Granaten in Syrien gegeben. Während die syrischen Streitkräfte behaupten, dahinter steckten die Rebellen, insistieren Frankreich und Großbritannien, über Beweise für das Gegenteil zu verfügen.

In dieser Frage wollte sich John Kerry auf dem Treffen der NATO- Außenminister in Brüssel nicht festlegen. Und das, obwohl am selben Tag auf einer Sicherheitskonferenz in Tel Aviv General Itai Brun vom israelischen Militärgeheimdienst die syrischen Streitkräfte bezichtigte, die Rebellen bei Aleppo und Damaskus am 19. März mit sarinhaltigen Giftgasgranaten beschossen zu haben. Dazu meinte Kerry: "Ich weiß nicht, wie die Fakten sind. Ich glaube nicht, daß irgend jemand weiß, wie die Fakten sind." Während Obamas Chefdiplomat den Ball flach hält, laufen im Hintergrund die Kriegsvorbereitungen unvermindert weiter. Bereits am 22. April berichtete die französische Tageszeitung Le Figaro, Jordanien habe Israel die Erlaubnis zum Überfliegen seines Territoriums gegeben, um zunächst Aufklärungsflüge in Syrien und gegebenenfalls auch Luftangriffe auf die syrischen Chemiewaffenbestände durchführen zu können. Durch die Vereinbarung zwischen Amman und Tel Aviv könnten die israelischen Piloten den Weg über den Südlibanon und damit die Gefahr, von Raketen der schiitischen Hisb-Allah-Miliz abgeschossen zu werden, vermeiden.

24. April 2013