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NAHOST/1297: Israel-Palästina-Gespräche erneut auf der Kippe (SB)


Israel-Palästina-Gespräche erneut auf der Kippe

Spekulationen um Freilassung Marwan Barghuthis und Jonathan Pollards



Vor neun Monaten hat Außenminister John Kerry die Israelis und die Palästinenser zur Teilnahme an neuen Verhandlungen über eine Beilegung des Nahost-Konfliktes überreden können. Um den Boden für konstruktive Gespräche zu schaffen, hat sich die palästinensische Seite um Präsident Mahmud Abbas verpflichtet, während der Verhandlungsphase, die auf 10 Monate begrenzt wurde, keinen eigenen Staat auszurufen und keinen Beitritt Palästinas zu internationalen Gremien - insbesondere nicht zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag - zu beantragen. Im Gegenzug hat sich Israels Regierung um Premierminister Benjamin Netanjahu bereit erklärt, 104 palästinensische Gefangene freizulassen. Inzwischen befinden sich mehr als 70 Personen, die auf der Wunschliste der palästinensischen Führung standen, auf freiem Fuß. Doch die Israelis weigern sich nun, die restlichen 30 Inhaftierten gehen zu lassen. Die Frist, innerhalb derer die Freilassung erfolgen soll, läuft am 29. März aus. Erfüllen die Israelis nicht ihren Teil der Abmachung, wollen die Palästinenser die Verhandlungen, die eigentlich bis zum 29. April gehen sollten, abbrechen. Die ewige Krise im sogenannten Nahost-"Friedensprozeß" hat sich wieder verschärft.

Diskutiert wird seit Juli 2013 lediglich über die Eckpunkte eines Rahmenabkommens, auf dessen Basis ein endgültiger Friedensvertrag ausgehandelt werden soll. Offiziellen Verlautbarungen zufolge sind die palästinensischen Unterhändler mit dem bisherigen Stand der Gespräche im höchsten Maße unzufrieden. Wenn es nach Kerry und Netanjahu geht, sollen sich die Palästinenser mit einem Ministaat zufrieden geben, der im Osten vom Jordantal abgeschnitten ist und daher keine Außengrenzen aufweist, und dessen Hauptstadt nicht aus ganz Ostjerusalem, so wie es die Osloer Verträge von 1993 und 1995 vorsahen, sondern einzig aus dem dortigen Stadtteil Beit Hanina besteht. Darüber hinaus insistieren die Israelis darauf, die größten jüdischen Siedlungen im palästinensischen Westjordanland zu annektieren, wofür sie im Gegenzug auf ein paar Parzellen entlang der ehemaligen Grenze von 1967 aus dem eigenen Staatsgebiet verzichten wollen. Zu guter Letzt verlangt Netanjahu, daß die palästinensische Führung um Präsident Abbas Israel formell als "jüdischen Staat" anerkennt. Gegen diese Forderung, in der man ganz klar den Versuch sieht, das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge im Ausland zu delegitimieren, setzt sich die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) in Ramallah energisch zur Wehr.

Derzeit drohen mehrere Minister in Netanjahus konservativer Koalitionsregierung wegen der möglichen Freilassung des letzten Kontingents an Gefangenen mit einem Rücktritt, weil sich darunter mehrere arabische Bürger des Staates Israels befinden, die wegen "terroristischer" Straftaten hinter Gittern sitzen. Um die umstrittene Maßnahme für das Netanjahu-Kabinett annehmbar zu machen, soll die Regierung Barack Obamas angeboten haben, im Gegenzug Jonathan Pollard zu amnestieren und ihm die Ausreise nach Israel zu gestatten. Der ehemalige Mitarbeiter des US-Marinegeheimdienstes verbüßt wegen der Weitergabe wichtiger Militärgeheimnisse des Pentagons an Israel seit 1987 eine lebenslange Haftstrafe. Anfangs wollten die Israelis nichts mit ihrem enttarnten Agenten zu tun zu haben. 1996 wurde Pollard auf Betreiben Netanjahus die israelische Staatsbürgerschaft verliehen. Inzwischen gilt er in Israel als Held und Märtyrer, für dessen Freilassung sich die gesamte Staatsspitze - bisher vergeblich - einsetzt. Verhindert wurde ein solches Ansinnen durch die öffentliche Ablehnung ehemals führender Repräsentanten des amerikanischen Sicherheitsapparats wie des Ex-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld und des ehemaligen FBI-Chefs Louis Freeh.

Die PA drängt ihrerseits auf die Freilassung Marwan Barghuthis und versucht sie als Preis dafür zu installieren, daß die Friedensverhandlungen auch nach dem 29. April fortgesetzt werden. Der frühere Kommandeur der Tanzim-Miliz der palästinensischen Fatah-Partei befindet sich seit 2002 in israelischer Haft, wo er wegen Verwicklung in den "Terrorismus" eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt. Barghuthi wurde lange Zeit als potentieller Nachfolger Jassir Arafats gehandelt. Wegen seiner Kompromißlosigkeit wollen die Israelis ihn lieber im Gefängnis behalten, als mit ihm am Verhandlungstisch sitzen zu müssen.

Eine Freilassung Pollards hätte für Israel einen großen symbolischen Wert, eine Freilassung Barghuthis wäre für die Palästinenser vor allem von praktischem Nutzen. Mahmud Abbas ist inzwischen 79 Jahre alt. Lange wird er seine Ämter als Chef der Fatah und De-facto-Präsident Palästinas nicht mehr ausüben können. Wie einst Arafat hat der 54jährige Barghuthi stets auf eine einheitliche palästinensische Front gegenüber Israel gedrängt und deshalb nie den Kontakt zur islamistischen Hamas-Bewegung abreißen lassen. Seit Jahren liegen die im Westjordanland regierende Fatah und die im Gazastreifen herrschende Hamas im Streit. Barghuthi wäre die geeignete Person, die durch den mißlungenen Putschversuch der Fatah 2007 im Gazastreifen entstandenen Wunden zu heilen. Seit Jahren gilt er laut Umfragen bei den meisten Palästinensern als Wunschkandidat für die Präsidentschaft.

Wollte die Netanjahu-Regierung einen gerechten Frieden mit den Palästinensern schließen, wäre jetzt ein geeigneter Zeitpunkt, Barghuthi doch noch freizulassen und die noch ausstehenden Fragen bezüglich einer Zweistaaten-Lösung auszuhandeln. Schließlich hat Scheich Hassan Yousef, der ranghöchste Vertreter der Hamas im Westjordanland, in einem am 25. März bei der Times of Israel erschienenen Interview die Bereitschaft seiner Organisation erklärt, ein von der PA ausgehandeltes Friedensabkommen mit Israel zu akzeptieren, vorausgesetzt, das palästinensische Volk votiere mehrheitlich für dessen Annahme. Bisher weigert sich die Hamas das Existenzrecht des Staats Israel anzuerkennen, weshalb sie für Tel Aviv formell als Verhandlungspartner nicht in Frage kommt.

Es sieht jedoch ganz danach aus, als würden die Palästinenser statt Marwan Barghuthi den ehemaligen Sicherheitschef der PA in Gaza, Mohammed Dahlan, als Präsidenten bekommen. 2007 war es Dahlan, der mit Hilfe der CIA gegen die Hamas in Gaza vergeblich zu putschen versuchte. Anschließend mußte er in das Westjordanland übersiedeln. 2011 wurde er wegen Bestechungsvorwürfen aus der Fatah ausgeschlossen. Seitdem lebt er in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dort sowie in Ägypten und Jordanien soll er über enge Verbindungen zu Politik und Geheimdienst verfügen. Seit 2011 kursieren Gerüchte, wonach Dahlan für den mysteriösen Gifttod Arafats vor zehn Jahren verantwortlich sein soll.

Seit im vergangenen Juli in Kairo die Generäle Präsident Mohammed Mursi von der Moslembruderschaft gewaltsam gestürzt haben, gibt es Spekulationen, wonach das ägyptische Militär in den Gazastreifen einmarschieren könnte, um die Hamas zu entmachten. Die Spekulationen haben vor wenigen Tagen durch den ersten Besuch ägyptischer Militärs in Israel seit dem Ende der Ära Hosni Mubaraks 2011 neuen Auftrieb erhalten. Interessanterweise hat Präsident Abbas bei einem Treffen der Fatah-Führung Anfang März Dahlan der Beteiligung an sechs Morden bezichtigt. In einem Artikel, der am 24. März auf der Website des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera veröffentlicht wurde, nur um nach wenigen Stunden "aus rechtlichen Gründen" wieder entfernt zu werden, berichtete Joseph Massad, der aus Palästina stammende Geschichtsprofessor an der New Yorker Columbia University, die USA und die Europäische Union (EU) würden Abbas dazu drängen, Dahlan zu seinem Nachfolger zu ernennen. Es scheint, als würde der Nahost-Friedensprozeß nicht zuletzt deshalb in der Dauerkrise stecken, weil niemals mit offenen Karten gespielt, sondern ständig nur intrigiert wird.

27. März 2014