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NAHOST/1336: Greift Ägypten in den Bürgerkrieg in Libyen ein? (SB)


Greift Ägypten in den Bürgerkrieg in Libyen ein?

Libyen der Post-Gaddhafi-Ära versinkt ins völlige Chaos



Drei Jahre nach dem von der NATO unterstützten Sturz Muammar Gaddhafis sieht die Lage in Libyen mehr als erschreckend aus. Das ölreiche Mittelmeerland geht am Streit zwischen Islamisten, die einen sunnitischen Gottesstaat samt fundamentalistischer Auslegung der Scharia gründen wollen, und denjenigen, die sich eine eher säkulare Gesellschaft wünschen, in der die Religion nicht das alles beherrschende Element ist, zugrunde. Die Chancen auf eine baldige Beilegung des libyschen Bürgerkrieges sind dermaßen gering, daß in den Medien und in ausländischen Diplomatenkreisen über die Möglichkeit einer Militärintervention Ägyptens wohlwollend spekuliert wird.

Derweil ist im Mittelmeer eine internationale Marineaktion angelaufen, um alle Ausländer auf dem Seeweg aus Libyen herauszuholen; schließlich liefern sich Milizionäre aus der Islamisten-Hochburg Misurata und Stammeskämpfer aus der Berberstadt Zintan seit dem 13. Juli eine heftige Schlacht um den internationalen Flughafen in Tripolis, der inzwischen völlig zerstört ist. In der Nacht vom 26. auf den 27. Juli hatten die USA ihr Botschaftspersonal in der libyschen Hauptstadt mit einem Autokonvoi, der von amerikanischen Kampfjets und Drohnen begleitet wurde, nach Tunesien evakuiert. Eine Woche zuvor hatte bereits die Regierung in Manila die Ausreise aller 13.000 Gastarbeiter aus den Philippinen angeordnet, nachdem die Leiche eines philippinischen Bauarbeiters, der fünf Tage zuvor in Benghazi von Unbekannten entführt worden war, enthauptet aufgefunden wurde. Nachdem eine Krankenschwester aus den Philippinen am 30. Juli in Tripolis von einer Gruppe Männer überfallen und vergewaltigt worden war, hat das Außenministerium in Manila sogar einen Staatssekretär nach Tunesien entsandt, um die Evakuierungsmaßnahmen voranzutreiben.

Am 29. Juli wurde den Säkularisten eine schwere militärische Niederlage zugefügt, als islamistische Milizionäre, angeführt von der Ansar Al Scharia, nach wochenlangen Kämpfen um Benghazi einen strategisch wichtigen Stützpunkt der libyschen Spezialstreitkräfte vor der Stadt überrannt und die Einheiten von General a. D. Khalifa Hifter in die Flucht geschlagen haben. Nachrichtenmeldungen zufolge wurden anschließend die Leichen von 75 Soldaten auf dem Gelände des Stützpunktes geborgen. Eigentlich wollte CIA-Verbindungsmann Hifter, der Mitte Mai seinen großen Kreuzzug gegen den "Terrorismus" begonnen hatte, Benghazi erobern und anschließend mit Militärgewalt, ähnlich dem neuen Machthaber in Ägypten, Ex-General Fatah Al Sisi, in ganz Libyen für Ordnung sorgen. Doch so schnell wird sich Hifters "Operation Würde" offenbar nicht realisieren lassen, wenn überhaupt. Der Al-Schura-Rat, dem die Ansar Al Scharia angehört, erklärte zur Feier des Tages die zweitgrößte Stadt des Landes am 30. Juli zum "Islamischen Emirat". Einige hundert Bewohner der ostlibyschen Hafenstadt, die lautstark gegen die selbstherrliche Entscheidung der Moslem-Fundamentalisten protestierten, wurden prompt mit Warnschüssen verjagt.

Entsprechend chaotisch präsentieren sich die politischen Verhältnisse. Am 25. Juni fanden Wahlen zum neuen libyschen Parlament statt, das den von islamistischen Parteien dominierten Allgemeinen Volkskongreß (General National Congress - GNC), ersetzen soll. Aus Sicherheitsgründen tagte die neue Versammlung weder in Tripolis noch in Benghazi, worauf die Vertreter der religiösen Fraktionen gedrängt hatten, sondern in Tobruk. Der GNC weigert sich, die neue Versammlung, die ohnehin Schwierigkeiten hat, ein Quorum von 160 Abgeordneten zusammenzubekommen, anzuerkennen. In einer Stellungnahme aus Tripolis hat am 4. August der scheidende GNC-Präsident Nuri Abusahmain, der zu den Islamisten zählt, das Treffen in Tobruk als verfassungswidrig abgetan.

Ob Ägypten seine Finger in dieses Wespennest stecken will oder soll, bleibt fraglich. Allen Bekenntnissen von Präsident Al Sisi der letzten Wochen bezüglich der Rolle Ägyptens als arabische Ordnungsmacht zum Trotz scheint Kairo derzeit diplomatisch mit der Vermittlung zwischen der Hamas und Israel in der aktuellen Gaza-Krise und militärisch mit der Bekämpfung des Aufstandes islamistischer Gruppen auf der Sinai-Halbinsel ziemlich ausgelastet zu sein. Ägypten verfügt über eine gutausgerüstete Armee - mit fast 800.000 Mann zudem die zehntgrößte der Welt - und könnte vermutlich schnell Libyen erobern bzw. die wichtigsten Städte dort besetzen. Aber das wäre es denn auch schon. Ohne starke zivile und militärische Institutionen vor Ort stünden die ägyptischen Streitkräfte vor genau derselben unlösbaren Besatzungsaufgabe wie die NATO ab 2001 in Afghanistan und die US-Armee ab 2003 im Irak.

Bei einem Besuch in Tunesien bestritt Ägyptens Außenminister Sameh Schukri am 4. August kategorisch, daß in Kairo über eine Militärintervention in Libyen zur Unterstützung der Armee von General Hifter im Kampf gegen die Islamisten nachgedacht wird. "Die Aufgabe der ägyptischen Armee beschränkt sich auf den Schutz der ägyptischen Staatsgrenzen", so Schukri. Anlaß zur Stippvisite des ägyptischen Chefdiplomaten in Tunis war die Lage von Tausenden seiner Landsleute, die vor den Kämpfen in Libyen fliehen und nun an der tunesischen Grenze festsitzen. Tunesien läßt aus Libyen derzeit nur diejenigen Ausländer hinein, deren Regierungen für die Heimreise sorgen bzw. entsprechende Maßnahmen in die Wege geleitet haben. Am libysch-tunesischen Grenzübergang Ras Jadeer kommt es seit Tagen zu häßlichen Szenen. Bewaffnete Angreifer haben dort am 31. Juli 15 Ägypter, die sie angeblich für flüchtende Libyer aus dem Feindeslager hielten, getötet. Als daraufhin 15.000 Menschen in Panik den Grenzübergang stürmten, haben die tunesischen Streitkräfte das Feuer auf die Menge eröffnet und dabei zwei Menschen umgebracht.

Am 4. August berichtete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu von einem Besuch einer Delegation libyscher Politiker Ende Juni in Algier, welche der Führung dort eine Militärintervention Algeriens an der Seite Ägyptens vorschlug. Demnach wird der Plan, eine internationale, hauptsächlich aus ägyptischen und algerischen Soldaten bestehende Interventionsstreitmacht in Libyen einmarschieren zu lassen, von den USA, Frankreich und der Arabischen Liga unterstützt (Interessanterweise hat ebenfalls am 4. August Ägyptens Präsident Al Sisi bei einem Treffen mit dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil Al Arabi, in Kairo die Lage in Libyen erörtert und auf der anschließenden Pressekonferenz die Milizen im Nachbarland aufgerufen, ihre Waffen niederzulegen und in einen politischen Dialog miteinander zu treten). Laut Anadolu steht die Führung Algeriens, die Probleme mit der islamistischen Opposition im eigenen Land hat, dem Interventionsplan skeptisch bis ablehnend gegenüber. Vermutlich wollen die Algerier den Preis ihres Einsatzes, in diesem Fall die entsprechenden Gegenleistungen von Frankreich und den USA, einfach erhöht sehen, bevor sie eine endgültige Entscheidung treffen.

5. August 2014