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NAHOST/1342: Libyen zum Somalia am Mittelmeer verkommen (SB)


Libyen zum Somalia am Mittelmeer verkommen

Greifen Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate ein?



Drei Jahre nach dem Sturz und der bestialischen Ermordung Muammar Gaddhafis hat sich Libyen - wie es damals schon die Kritiker der Unterstützung der Aufständischen durch die NATO-Mächte USA, Frankreich und Großbritannien prognostiziert haben - zu einem zweiten Somalia vor der Haustür Europas entwickelt. Der von den Islamisten dominierte Allgemeine Volkskongreß (General National Congress - GNC) in Tripolis weigert sich, die im Juni vom Volk gewählte, neue Nationalversammlung anzuerkennen. Nach wochenlangen heftigen Kämpfen haben islamistische Milizionäre aus Misurata am 23. Juni den internationalen Flughafen von Tripolis erobert und die dort seit 2011 stationierten Kämpfer aus der Bergstadt Zintan vertrieben.

Noch im Juli sind angesichts des Zusammenbruchs der öffentlichen Ordnung die meisten Ausländer über den Landweg nach Tunesien oder Ägypten geflohen bzw. wurden von ihren Regierungen per Schiff von der Küste evakuiert. Am 30. Juli hat der Schura-Rat der Revolutionäre Benghazis, dem die "Terrorgruppe" Ansar Al Scharia angehört, zur Feier einer gewonnenen Schlacht gegen die Streitkräfte des CIA-Verbindungsmanns Khalifa Hifter, der Libyens neuer starker Mann werden wollte bzw. immer noch will, die zweitgrößte Stadt Libyens samt Umland zum "Islamischen Emirat" erklärt. Damit war Benghazi, in dessen Nähe die wichtigsten Ölfelder Nordafrikas liegen, vorerst unter die vollständige Kontrolle der Islamisten geraten.

Was die Durchsetzung einer strengen Auslegung der Scharia-Gesetzgebung für die Menschen im Konkreten bedeutet, zeigt ein schauerlicher Vorfall, der sich am 19. August in der Hafenstadt Derna, 290 Kilometer östlich von Benghazi, ereignete. Wie einst während der Taliban-Herrschaft in Kabul wurde in aller Öffentlichkeit auf dem Spielfeld des Fußballstadions ein knieender, Augenbinden tragender Ägypter, der des Mordes verdächtigt wurde, per Genickschuß hingerichtet. Für die Aktion zeichnete sich die Gruppe Schura-Rat der Islamischen Jugend verantwortlich. Sie war es auch, die zu Propagandazwecken die Videobilder der Hinrichtung ins Internet gestellt hat.

Während der letzten Woche der Kämpfe um den Flughafen von Tripolis war es zweimal zu Luftangriffen auf die Misurata-Milizionäre gekommen. Die Attacken, die mehrere Opfer forderten, sollten den Kämpfern aus Zintan helfen, den Flughafen zu halten, haben am Ende jedoch nicht ausgereicht. Dennoch war die Frage der Urheberschaft tagelang ein Rätsel. General Hifter hatte sie für sich reklamiert, doch wurde die Behauptung wenig ernst genommen. Zwar haben sich vor Monaten weite Teile der Spezialstreitkräfte und der Luftwaffe der Gaddhafi-Armee Hifter angeschlossen, doch sollen letztere für die Durchführung einer solchen Flugaktion wie der in Tripolis zu schwach sein. Von daher wurde auch in der internationalen Presse vermutet, daß Ägypten mit seinem gigantischen Militärapparat dahinter stecke. Schließlich zählt Ägyptens neuer Diktator, General a. D. Fatah Al Sisi, der letztes Jahr Präsident Mohammed Mursi von der Moslembruderschaft gewaltsam stürzte, zu den eifrigsten Gegnern der Islamisten in der ganzen Region. Doch Kairo stritt jede Beteiligung ab.

Am 26. August hat die New York Times das Geheimnis gelüftet. Unter Verweis auf Angaben von vier nicht namentlich genannten Vertretern der Regierung Barack Obama hieß es im NYT-Artikel "Arab Nations Strike in Libya, Surprising U.S.", die Luftwaffe der Vereinigten Arabischen Emirate (United Arab Emirates - UAE) habe die Doppelangriffe durchgeführt und mit Genehmigung Kairos Stützpunkte in Ägypten zur Zwischenlandung benutzt sowie eigene Auftankflugzeuge eingesetzt. Immerhin beträgt die Flugdistanz zwischen Abu Dhabi und Tripolis rund 2500 Kilometer. Obwohl die Maschinen der UAE-Luftwaffe aus amerikanischer Produktion stammen und Ägypten jährlich finanzielle und militärische Hilfe der USA in Milliardenhöhe erhält, sollen beide Staaten Washington nicht vorab über die Operation informiert haben. Hinter der Intervention wird eine Rivalität vermutet, die auf den Aufstand gegen Gaddhafi 2011 zurückgeht. Damals hatte Katar die Islamisten in Misurata und Benghazi, die UAE die Zintaner mit Geld und Waffen versorgt.

Am 25. August trafen sich die Außenminister der Nachbarländer in Kairo zu Beratungen über die Krise in Libyen. Überschattet wurde das Treffen am Nil vom Vormarsch der Islamisten in Tripolis, die unter der Führung ihres Kommandeurs Salah Badi nach der Eroberung und der Verwüstung des Flughafens mordend und plündernd durch zwei Stadtviertel, dessen Bewohner sie Sympathien für General Hifter verdächtigten, gezogen waren. Trotz eines Hilferufs seitens des libyschen Premierministers Abdullah Al Thani lehnt die ägyptische Regierung bisher jede Militärintervention ab. Noch im Juli wurden 21 ägyptische Grenzsoldaten bei einem Überfall getötet. Über die genaue Identität der Angreifer herrscht bis heute Unklarheit. Damals hat Amr Moussa, der ehemalige Außenminister Ägyptens und Ex-Generalsekretär der Arabischen Liga, als erster Politiker seines Landes die Diskussion um eine mögliche Militärintervention in Libyen eröffnet. Greift das Chaos in Libyen immer weiter um sich, dürfte Ägypten, das sich traditionell als die arabische Führungsmacht schlechthin versteht und über eine riesige Armee verfügt, um ein Eingreifen nicht mehr herumkommen.

26. August 2014