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NAHOST/1359: Der Jemen vom Zerfall und Bürgerkrieg akut bedroht (SB)


Der Jemen vom Zerfall und Bürgerkrieg akut bedroht

Vormarsch der Huthi-Rebellen löst politische Krise in Sanaa aus


Im Jemen droht ein heftiger Bürgerkrieg, gar die Aufspaltung bzw. Auflösung des Staates. Der Einzug der aus dem Norden stammenden, schiitischen Huthi-Rebellen in die Hauptstadt Sanaa im vergangenem September und deren Entscheidung, am 21. Januar Präsident Abd Rabbuh Mansur Hadi unter Hausarrest zu stellen, hat eine politische Krise ausgelöst, für die es absehbar keine Lösung gibt. Es ist zu befürchten, daß das Ringen um Macht zwischen den verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppierungen das bitter arme Land in eine Katastrophe stürzen wird, die mit derjenigen in Syrien mit Tausenden Toten und Millionen Flüchtlingen jedem Vergleich standhält.

Begünstigt wurde der Vormarsch der Huthis dadurch, daß Teile der jemenitischen Streitkräfte, die sich immer noch loyal zu dem früheren Präsidenten Ali Abdullah Saleh verhalten, sie haben gewähren lassen und ihnen gegenüber keinen Widerstand leisteten. Im Zuge des Arabischen Frühlings 2011 wurde Saleh Anfang 2012 von den USA und Saudi-Arabien zum Rücktritt gezwungen. An seine Stelle trat der bisherige Vizepräsident Hadi. Doch über seinen Klan, seine politische Partei, den Allgemeinen Volkskongreß, und seine Anhänger im Sicherheitsapparat verfügt Saleh, der von 1978 bis 1990 Präsident von Nordjemen und nach der Vereinigung 1990 mit Südjemen 12 Jahre lang Staatsoberhaupt des geeinten Landes war, nach wie vor über enormen Einfluß.

Anfangs haben die meisten Hauptstadtbewohner den Einzug der Huthi-Rebellen in Sanaa in der Hoffnung begrüßt, dies würde den von Präsident Hadi zwei Jahre zuvor angekündigten, aber ins Stocken geratenen Reformprozeß befördern. Wegen Dauerstreitigkeiten hat die neue Einheitsregierung unter Teilnahme aller politischen Kräfte des Jemens bis auf Al Kaida auf der arabischen Halbinsel (AQAP) die in sie gesteckten Erwartungen jedoch nicht erfüllt. Durch ihr selbstherrliches Auftreten in der Öffentlichkeit haben die bewaffneten Huthi-Kämpfer viel Sympathie verloren. Die willkürliche Festnahme von Präsident Hadi und seiner wichtigsten Minister hat die Huthis endgültig in Mißkredit gebracht.

Die Entscheidung von Hadi und des gesamten Kabinetts, am 22. Januar zurückzutreten, war ein geschickter Schachzug. Dadurch übernahmen die Huthis die vollständige Verantwortung für Sanaa und die dort befindlichen staatlichen Institutionen - eine Position, die sie als Vertreter von Partikularinteressen schnell überfordern dürfte. Seitdem reißen die Straßenproteste in Sanaa gegen die "Herrschaft" der Huthis nicht ab. Letztere weigern sich hartnäckig, den Rücktritt von Hadi anzuerkennen, die Abgeordneten im Parlament wollen ihn aber annehmen und den Parlamentspräsidenten zum Interimspräsidenten machen. Weil sich beide Seiten in dieser Frage nicht einigen können, haben alle im Parlament vertretenen Parteien am 2. Februar die unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen stattfindenden Gespräche mit den Huthis bis auf weiteres ausgesetzt. In einem Artikel, der am 3. Februar bei der Beiruter Zeitung Daily Star erschienen ist, warf Abdullah Noaman, Anführer der Nasseristisch-Unionistischen Volksorganisation, den Huthis vor, einen regelrechten Putsch durchzuführen. In diesem Zusammenhang hob er die Forderung, alle 20.000 Huthi-Kämpfer in die regulären Streitkräfte zu integrieren, welche die Rebellen angeblich zur Bedingung für eine Lösung der politischen Krise gemacht hätte, hervor.

Innenpolitisch sind die Zwistigkeiten in Sanaa Wasser auf die Mühlen von Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel und den Separatisten, die die Neugründung Südjemens auf ihre Fahne geschrieben haben. Berichten zufolge wollen immer mehr sunnitische Stammeskrieger mit AQAP zusammenarbeiten, um die Huthis gen Norden zurückzudrängen. In den letzten Tagen sind in den verschiedenen Provinzen mindestens zehn Huthi-Kämpfer bei Überfällen und Anschlägen der AQAP und der Gruppe Ansar Al Scharia getötet worden. In der Provinz Lajh sind bei Kämpfen zwischen der Armee und südlichen Aufständischen drei Menschen ums Leben gekommen und fünf weitere verletzt worden. Die USA, die formell die Genehmigung der Behörden in Sanaa benötigen, wenn sie Drohnenangriffe auf islamistische Ziele im Jemen durchführen wollen, lassen sich nicht vom Fehlen einer Zentralregierung irritieren. Wie die Nachrichtenagentur Agence France Presse am 2. Februar berichtet, hat die CIA seit dem Rücktritt Hadis drei Drohnenangriffe geflogen und dabei 11 Menschen, darunter zwei 12jährige Jungen, getötet.

Nach dem Ableben des 89jährigen Königs Abdullah am 23. Januar sind die Saudis hauptsächlich damit befaßt, unter dem neuen Herrscher, dem 73jährigen König Salman, die Kontinuität der Monarchie zu gewährleisten und potentielle Machtkämpfe in Riad zu verhindern. Mit einer direkten Einmischung Saudi-Arabiens in die Angelegenheiten des Jemens ist also vorerst nicht zu rechnen. Einen weiteren Grund für die Gelassenheit Riads angesichts des Chaos im Nachbarland Jemen liefern Hinweise, wonach es nicht Saudi-Arabiens Erzfeind, die schiitische Großmacht Iran, sondern die sunnitisch-geprägten Vereinigten Arabischen Emirate waren, die das politisch-militärische Zweckbündnis zwischen den Huthis und Ex-Präsident Saleh finanziert haben. Dies berichtete der Nahost-Experte David Hearst bereits im vergangenem Oktober in der Zeitung Middle East Eye.

3. Februar 2015


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