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NAHOST/1363: AP-Bericht zum jüngsten Gaza-Krieg belastet Israel (SB)


AP-Bericht zum jüngsten Gaza-Krieg belastet Israel

US-Nachrichtenagentur legte Hinweise auf Kriegsverbrechen vor


Fast sechs Monate nach Ende der israelischen Militäroperation Protective Edge, die vom 8. Juli bis zum 26. August dauerte und nach Angaben der Vereinten Nationen 2205 Palästinenser, die meisten von ihnen Zivilisten, und 72 Israelis das Leben kostete, sieht die Lage im Gazastreifen katastrophal aus. Von Wiederaufbau kann keine Rede sein. Viele Familien hausen bei winterlichen Temperaturen in Ruinen. Weite Teile der Infrastruktur sind nach wie vor zerstört. In den Krankenhäusern sowie ambulant werden Zehntausende Verletzte notdürftig behandelt. Weitere Hunderttausende sind traumatisiert, haben Freunde und/oder Familienmitglieder verloren.

Schuld an der Misere tragen die USA, die EU, Israel, Ägypten und die von der Fatah dominierte Palästinensische Autonomiebehörde (PA) im Westjordanland, die dafür sorgen, daß die versprochenen Hilfsgelder in Millionenhöhe zum Wiederaufbau von Gaza und zur Linderung des Leids der Menschen dort nur spärlich ankommen. Auf diese Weise werden die Gazabewohner demonstrativ dafür bestraft, 2006 die "Terroristen" von der islamischen Widerstandsbewegung Hamas in die Regierung gewählt zu haben.

Seit Ende der offenen Kampfhandlungen haben Israel und Ägypten ihre wirtschaftliche Stangulierung von Gaza verstärkt. Ende letzten Jahres ließ die neue Diktatur in Kairo unter der Führung von General a. D. Fatah Al Sisi bei Rafah auf der ägyptischen Seite der Grenze zu Gaza auf einem Streifen von 500 Meter Breite sämtliche Gebäude abreißen. Den Bewohnern wurde nur 24 Stunden Zeit gelassen, ihre Häuser zu räumen. Eine Entschuldigung oder gar Entschädigung gab es nicht. Mit dieser drakonischen Maßnahme will Ägypten endlich den Schmuggelbetrieb, der seit mehr als sieben Jahren den Gazastreifen am Leben hält, zum Erliegen bringen. In diesem Zusammenhang ist es Medienberichten zufolge dem ägyptischen Militär auch gelungen, fast alle unterirdischen Tunnel von der Halbinsel Sinai nach Gaza zu zerstören.

Unterdessen hat die US-Nachrichtenagentur Associated Press eine eigene Studie der fünfzigtägigen Offensive vom vergangenen Sommer erstellt und am 13. Februar veröffentlicht, welche die israelischen Streitkräfte in Mißkredit bringt. In der Studie hat die AP-Redaktion jene 247 von den insgesamt 5000 Angriffen der israelischen Luftwaffe untersucht, bei denen nachweislich Wohnungen durch Bomben oder Raketen getroffen wurden. Dieser Aspekt der Militäroperation in Gaza ist für Israel deshalb heikel, weil Angriffe auf zivile Wohnungen nach internationalem Kriegsrecht verboten sind. Die Israelis behaupten, sie hätten solche Angriffe nur dann geflogen, wenn aus den Wohnungen Raketen abgefeuert wurden oder sich dort Hamas-Kämpfer versteckten. Die Palästinenser dagegen insistieren, die meisten solcher Bomben- und Raketeneinschläge seien willkürlich erfolgt und hätten keine militärische Begründung im engeren Sinn gehabt.

Laut AP-Analyse kamen bei den besagten 247 Luftangriffen 844 Menschen ums Leben. 508 der Getöteten - 60 Prozent - waren Frauen, Kinder oder ältere Männer, das heißt Zivilisten. Bei 208 Opfern handelte es sich um Kinder unter 16 Jahren, darunter 19 Säuglinge und 108 Kinder im Vorschulalter zwischen einem Jahr und fünf Jahren. Bei 83 der Angriffe starben jeweils drei oder mehr Angehörige der betroffenen Familien. Unter den Getöteten befanden sich lediglich 96 Männer - 11 Prozent der Gesamtzahl -, die entweder nachweislich Kombattanten waren oder bei denen man das vermutet. Bei den restlichen 240 Getöteten geht AP davon aus, daß es männliche Zivilisten waren, da ihre Namen nirgendwo als Kämpfer auftauchten, weder auf den Webseiten der verschiedenen militanten palästinensischen Verbände des Gazastreifens noch auf den Straßenplakaten, auf denen die Märtyrer geehrt wurden.

Bereits während der Gazakrieg tobte, wurde Israel wegen der hohen Verluste unter der Zivilbevölkerung kritisiert. Laut vorläufigen UN-Angaben waren 1483 - 66 Prozent - der insgesamt 2205 palästinensischen Opfer Zivilisten. Die hohe Prozentzahl ziviler Opfer allein ist kein Beweis für Kriegsverbrechen. Die Umstände jedes einzelnen Angriffs müßten genau unter die Lupe genommen werden. Derzeit leistet dies eine dreiköpfige Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats, die über einen Stab von zwölf Mitarbeitern verfügt. In den letzten Monaten hat sie Nachrichtenmaterial und Eingaben von offizieller israelischer und palästinensischer Seite ausgewertet sowie bei Anhörungen in Jordanien und in der Schweiz Augenzeugen zu Wort kommen lassen. Ihr Bericht soll im März veröffentlicht werden.

Schon im Vorfeld wird um das Ergebnis des UN-Berichts erbittert gekämpft. Anfang Februar ist Professor William Schabas aus Kanada als Kommissionsmitglied zurückgetreten. Der 64jährige Experte für internationales Strafrecht, der enge Verwandte im Holocaust verloren hat, sah sich zu diesem Schritt gezwungen, nachdem ihm die Israelis öffentlich Parteilichkeit zugunsten der Palästinenser unterstellt hatten. Ihm wurde zur Last gelegt, vor Jahren eine Expertise im Wert von 1300 Dollar für die PLO geschrieben sowie einmal erklärt zu haben, daß der amtierende israelische Premierminister Benjamin Netanjahu vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gehört. Den zu erwartenden Anfeindungen der israelischen Behörden hätte Prof. Schabas vielleicht widerstanden. Doch als er dann Todesdrohungen und Beschimpfungen, ein "selbsthassender Jude" zu sein, per E-Mail erhielt, entschied er sich zum Rücktritt. Über den traurigen Fall berichtete am 12. Februar die New York Times unter der Überschrift "Former Head of Inquiry Into Gaza War Says He Faced Pressure and Threats".

14. Februar 2015


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