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NAHOST/1365: US-Bodentruppen in Kämpfe mit dem IS im Irak verwickelt (SB)


US-Bodentruppen in Kämpfe mit dem IS im Irak verwickelt

Versöhnung der irakischen Sunniten mit Bagdad läßt auf sich warten


Im Irak tobt der Krieg auf hohem Niveau. Die Meldungen aus dem Kriegsgebiet sind jedoch widersprüchlich. Am 11. Februar erklärte General Kassem Soleimani, ranghoher Kommandeur der Iranischen Revolutionsgarden, der seit Juni 2014 die militärische Hilfe Teherans und der libanesischen Hisb Allah für die verschiedenen schiitischen Milizen im Irak, insbesondere die Badr-Brigade, koordiniert, die sunnitisch-salafistische Gruppe Islamischer Staat sei "am Ende", der Sieg über sie stehe kurz bevor. Tatsächlich haben die Anhänger des "Kalifen" Abu Bakr Al Baghdadi seit September infolge der Luftangriffe der von den USA angeführten Anti-IS-Koalition schwere Verluste hinnehmen müssen. Dennoch haben die IS-Freiwilligen durch eine Überraschungsoffensive gegen Stellungen der kurdischen Peschmerga um Kirkuk im Norden und die Eroberung der Stadt Al-Baghdadi in der zentralirakischen Provinz Anbar ihre ungebrochene Kampfkraft bewiesen. Berichten zufolge soll der IS im Irak und Syrien neben unzähligen Einheimischen rund 20.000 Ausländer unter Waffen haben.

Bei den Kämpfen um Al-Baghdadi soll es zum ersten Kriegseinsatz von US-Bodentruppen im Irak seit ihrem offiziellen Abzug aus dem Zweistromland im Dezember 2011 gekommen sein. Parallel zu der ersten Angriffswelle in Al-Baghdadi am 11. Februar haben rund 25 IS-Kämpfer, darunter mehrere Selbstmordattentäter, versucht, sich gewaltsamen Zugang zum Luftwaffenstützpunkt Ain al-Asad zu verschaffen, der 15 Kilometer südwestlich der Stadt liegt. Dort bilden derzeit 320 US-Marineinfanteristen Soldaten und Offiziere der 7. Division der irakischen Armee aus. Der Angriff auf Ain Al-Asad konnte abgewehrt werden.

Nach Angaben des Pentagons waren die U. S. Marines in Ain Al-Asad zu keinen Zeitpunkt gefährdet und haben sich auch nicht an den Kampfhandlungen beteiligt. Bei der Schlacht um Al-Baghdadi griffen jedoch US-Kampfhubschrauber wiederholt auf seiten der irakischen Armee ein, ohne daß dies besonders geholfen zu haben scheint. Nachdem sie die IS-Angreifer am 13. Februar aus der Mitte von Al-Baghdadi vertrieben hatten, haben die irakischen Soldaten die Stadt am darauffolgenden Tag aus bislang ungeklärten Gründen selbst geräumt. Seit dem 15. Februar weht über dem Rathaus von Al-Baghdadi die schwarz-weiße Fahne des Kalifats. Manche Beobachter vergleichen die Kapitulation der irakischen Streitkräfte in Al-Baghdadi mit dem spektakulären Fall von Mossul im Juni vergangenen Jahres, als Zehntausende Soldaten die zweitgrößte Stadt des Iraks fast kampflos 1.300 IS-Dschihadisten überließen.

Für die Pläne der USA, demnächst zum Sturm auf Mossul zu blasen und die Hauptstadt der Provinz Nineveh dem Kalifat zu entreißen, sind die Ereignisse von Al-Baghdadi niederschmetternd. Eigentlich sollten die irakischen Bodentruppen die Hauptlast der Rückeroberung von Mossul tragen, doch es scheint fast so, als wären sie dazu gar nicht in der Lage. Vielleicht hat das Pentagon deshalb letzte Woche 4.000 Soldaten und größere Mengen schwerer Waffen nach Kuwait beordert. Offiziell soll die Verlegung den US-Militärberatern in Bagdad zu größerer "Flexibilität" verhelfen, doch sie hat den Verdacht aufkommen lassen, daß amerikanische Infanteristen beim Angriff auf Mossul an vorderster Front stehen werden.

Während die Mannschaftsstärke der demoralisierten irakischen Streitkräfte auf 48.000 geschrumpft ist, sollen die diversen schiitischen Milizen des Landes 100.000 bis 120.000 stark motivierte Kämpfer in ihren Reihen haben. In den vergangenen Monaten haben die schiitischen Milizen einige Schlachten gegen den IS gewonnen, sollen aber anschließend in den von ihnen "befreiten" Dörfern und Landstrichen mehrere Massaker unter der männlichen sunnitischen Bevölkerung verübt haben. Die Regierung von US-Präsident Barack Obama möchte eine Versöhnung zwischen Sunniten und Schiiten im Irak herbeiführen, um den Staat und seine Institutionen - allen voran die Armee - zu retten. Darum gibt es seitens Washington Bemühungen, eine Rückkehr des sunnitischen Ex-Vizepräsidenten Tareq Al Haschemi, der sich 2011 aus Angst um sein Leben in die Türkei absetzte, in den Irak zu ermöglichen (2012 war er im Rahmen eines politischen Prozesses von einem Gericht in Bagdad als "Terrorchef" zum Tode verurteilt worden). Wenn es jemanden gibt, der für die sunnitische Minderheit sprechen und einen Deal mit der politischen Führung der schiitischen Mehrheit machen könnte, dann wäre es Al Haschemi.

Doch je länger der Bürgerkrieg im Irak andauert, um so mehr gerät die Vision einer sunnitisch-schiitischen Aussöhnung in immer weitere Ferne. Am 13. Februar wurde ein wichtiger Vertreter der irakischen Sunniten, Scheich Kasim Sweidan Al Dschanabi, der zuletzt mit Premierminister Haider Al Abadi bei der Wiederansieldung geflohener sunnitischer Familien in den ehemals von IS-Kämpfern kontrollierten Dörfern und Städten gearbeitet hat und als gemäßigt galt, ermordet. Al Dschanabi, sein Sohn und neun Leibwächter, die mit einem Autokonvoi auf dem Weg ins Regierungsviertel waren, wurden bei einer Straßenkontrolle im Südwesten Bagdads von bewaffneten Männern in Uniform festgenommen und weggefahren. Wenig später fand man ihre Leichen auf einem brachliegenden Gelände im schiitischen Nordosten der irakischen Hauptstadt. Ihre Hände waren ihnen hinter den Rücken gebunden worden. Alle elf Männer waren per Genickschuß exekutiert worden. Der Neffe des Scheichs, Said Al Dschanabi, der Parlamentsabgeordneter ist und an der selben Straßenkontrolle entführt worden war, wurde später, nachdem man ihn schwer zusammengeschlagen hatte, freigesetzt.

Wenngleich sich niemand zu der Tat bekannt hat, geht man davon aus, daß es sich bei den Mördern um schiitische Milizionäre handelt. In Reaktion auf die Hinrichtung von Scheich Al Dschanabi und seinen Begleitern haben die beiden wichtigsten sunnitischen Fraktionen, die Iraqiya-Allianz und die Nationalkoalition, die zusammen über 75 Abgeordnete verfügen, ihre Mitwirkung an den Beratungen des Parlaments bis auf weiteres ausgesetzt. In einem Artikel, der am 14. Februar in der Online-Version der Washington Post unter der Überschrift "Sunnis may exit Iraq parliament after sheik's slaying" erschienen ist, wurde der sunnitische Abgeordnete Raad Al Dahlaki mit den Worten zitiert: "Die Kugel, die Scheich Kasim traf, hat auch die nationale Versöhnung im Herzen getroffen. Die Regierung gibt nette Worte von sich, setzt ihre Versprechen aber nicht in die Tat um. Sie ist zu schwach, um die [schiitischen - Anm. d. SB-Red.] Milizen zu kontrollieren." Die Beurteilung Al Dahlakis läßt nachvollziehen, warum viele Sunniten im Irak weiterhin ihren Schutz beim IS suchen werden.

17. Februar 2015


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