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NAHOST/1373: Al-Nusra-Front in Syrien auf dem Vormarsch? (SB)


Al-Nusra-Front in Syrien auf dem Vormarsch?

Al-Kaida-Ableger räumt mit den säkularen Rebellengruppen auf


Der militärische Erfolg des Kalifats Islamischer Staat (IS), das weite Teile des syrischen Ostens sowie des Westens und Nordens des Iraks erobert hat und deshalb seit dem vergangenen September von den Streitkräften der USA und deren Verbündeten bekämpft wird - hauptsächlich durch Luftangriffe -, hat die zweitwichtigste Rebellengruppe im syrischen Bürgerkrieg, die Jabhat Al Nusra, auch Al-Nusra-Front genannt, weitgehend aus der westlichen Berichterstattung verdrängt. Dies könnte sich bald ändern. An mehreren wichtigen Fronten, bei Aleppo im Nordwesten nahe der Grenze zur Türkei, in der Region Kalamoun in der Nähe des Nordlibanons sowie im Süden am Fuße der Golanhöhen, ist es die Al-Nusra-Front, welche die Hauptlast des Kampfes gegen die staatlichen syrischen Streitkräfte und die mit ihnen verbündete libanesisch-schiitische Hisb-Allah-Miliz trägt.

Am 5. März kam die Al-Nusra-Front wieder in die Schlagzeilen, als sie den Tod ihres ranghöchsten Kommandeurs, Abu Human Al Schami, meldete. Der Veteran der Kriege in Afghanistan und im Irak starb zusammen mit drei weiteren Al-Nusra-Kommandeuren, als es bei einer Strategiebesprechung in der Stadt Salkin in der Provinz Idlib nahe der Grenze zur Türkei zu einer Explosion kam. Die Ursache der Detonation ist unklar. Ein Sprecher der Anti-IS-Koalition erklärte, es seien im fraglichen Zeitraum keine Luftangriffe auf Ziele in Idlib geflogen worden. Sollte diese Angabe stimmen, dann richtet sich der Verdacht der Urheberschaft gegen die syrische Luftwaffe bzw. gegen Rebellengruppen, die der Al-Nusra-Front feindlich gegenüberstehen. Davon gibt es nicht wenige.

Seit vergangenem Oktober geht Al Nusra besonders im Raum Idlib und Aleppo verstärkt gegen die "gemäßigte" Hazzm-Harakat vor, deren Kämpfer von der CIA ausgebildet wurden und von ihr schwere Waffen wie Anti-Panzer-Raketen vom Typ BGM-71 TOW erhielten. Im Verlauf der Kämpfe hat die Al-Nusra-Front mehrere Lager der Hazzm-Bewegung überrannt und dabei größere Mengen hochmoderner westlicher Waffen samt Munition erbeutet. Nach einer Serie von Niederlagen hat sich die Hazzm-Harakat am 1. März aufgelöst. Ihre Kämpfer, sofern sie nicht zu Al Nusra übergelaufen sind, haben sich der Levante-Front, die hauptsächlich im Raum Aleppo operiert, angeschlossen. Der Untergang der Hazzm-Harakat stellt für die USA und deren Plan, eine "gemäßigte" Rebellenstreitmacht aufzustellen, die es mit IS und Al Nusra aufnehmen und gleichzeitig die Streitkräfte des syrischen Präsidenten Baschar Al Assad in die Knie zwingen könnte, einen schweren Schlag dar.

Wegen der notorischen Schwäche von Gruppen wie Hazzm-Harakat und der Freien Syrischen Armee (FSA) gibt es offenbar Bestrebungen, die Al Nusra zum neuen Gesicht des "gemäßigten" Aufstandes gegen die Zentralregierung in Damaskus zu machen. Wie die Nachrichtenagentur Reuters am 4. März berichtete, haben sich in dieser Angelegenheit in den letzten Monaten die Vertreter Katars mehrmals mit Al-Nusra-Chef Abu Mohammad Al Golani getroffen und ihn dazu gedrängt, Al Kaida den Rücken zu kehren. (Als sich Anfang 2014 Al Kaida im Irak und in der Levante (ISIL) jeweils in Al Nusra und Abu Bakr Al Baghdadis IS aufspaltete, hatte Al Gholani einen Treueeid auf Al Kaida und dessen Anführer Aiman Al Zawahiri geschworen). Wenn es nach dem Willen von Katar geht, dessen Regierung ihre Initiative vermutlich mit den Amtskollegen in Saudi-Arabien, der Türkei, Jordanien und den USA abgesprochen hat, soll sich Al Nusra von Al Kaida lossagen. Im Gegenzug käme sie von der Liste der "Terrororganisationen" herunter und in den Genuß der umfangreichen finanziellen Unterstützung durch Washington, Dubai, Amman, Riad und Ankara.

Ein solch paulinischer Wandel seitens der Al-Nusra-Führung käme eigentlich gar nicht überraschend. Auf den Golanhöhen herrscht seit längerem ein "inoffizieller Nicht-Angriffspakt" - siehe dazu den am 4. März bei Consortium News erschienenen Artikel "Congress Cheers Netanyahu's Hatred of Iran" von Robert Parry - zwischen Al Nusra und den Streitkräften Israels. In einem bereits im vergangenen Dezember veröffentlichten, von der westlichen Presse jedoch weitestgehend ignorierten Bericht hat die seit 1974 auf den Golanhöhen stationierte United Nations Disengagement Observer Force die Richtigkeit der wiederholten Meldung von einer heimlichen Zusammenarbeit zwischen der israelischen Armee und islamistischen Aufständischen auf den Golanhöhen bestätigt.

Nach UNDOF-Angaben kam es allein zwischen März 2013 und Mai 2014 auf den Golanhöhen zu mindestens 59 Treffen zwischen israelischen Offizieren und islamistischen Rebellenkommandeuren - hauptsächlich von Al Nusra. In jener Zeit wurden 89 verletzte Rebellen in israelischen Krankenhäusern behandelt. Des weiteren haben UNDOF-Soldaten des öfteren beobachtet, wie israelische Armeeangehörige an der Demarkationslinie Kisten an die syrischen Rebellen aushändigten. Man geht davon aus, daß sich darin Waffen und Munition befanden. Seit dem israelischen Luftangriff, bei dem am 18. Januar auf dem von Syrien kontrollierten Teil der Golanhöhen fünf Hisb-Allah-Kommandeure und ein iranischer General getötet wurden, ist zumindest in neokonservativen Kreisen in den USA die stille Allianz zwischen Al Nusra und Tel Aviv ein offenes Geheimnis.

Auch wenn Al Nusra demnächst auf Anraten der Gegner Assads zu Al Kaida und IS auf Distanz gehen sollte, sind Zweifel ob der Echtheit des Wandels weg vom sunnitisch-salafistischen Fanatismus und hin zum säkularen Demokratieverständnis mehr als angebracht. Wie die libanesische Zeitung Al Akhbar am 3. März berichtete, hat Al Nusra der Gemeinde der schiitisch-ismailitischen Drusen im Raum Idlib unter Todesdrohung eine Frist bis zum 1. Februar gegeben, zum Sunnitentum zu konvertieren und ihre gesamten Schreine zu zerstören. Auf Anraten des libanesischen Parlamentsabgeordneten Walid Dschumblat, des wichtigsten politischen Anführers der Drusen in der Levante, sind die betroffenen Menschen der Aufforderung gefolgt. Der brutale Umgang von Al Nusra mit den Drusen bei Idlib steht dem des IS mit Christen und Yesiden in Nordirak in nichts nach. Dschumblat hat den Glaubensgenossen in Syrien laut Al Akhbar angeblich deshalb den Wechsel zum Sunnitentum angeraten, weil er unter anderem nach Gesprächen mit Vertretern der türkischen Regierung zu der Überzeugung gelangt ist, daß Al Nusra bis Ende 2015 den Süden Syriens bis hinauf zum Berg Hermon und das westliche Bekaa des Libanon unter ihre Kontrolle gebracht haben werden. Der Verwirklichung jenes Szenarios werden sich Hisb-Allah-Miliz und syrische Armee wohl mit aller Macht entgegenstemmen.

6. März 2015


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