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NAHOST/1376: Bruderzwist zwischen Fatah und Hamas nimmt kein Ende (SB)


Bruderzwist zwischen Fatah und Hamas nimmt kein Ende

Hauptfeind der PLO scheint die Hamas und nicht Israel zu sein


Als Israels Premierminister Benjamin Netanjahu im vergangenen Juli den Befehl zur Durchführung der Militäroperation Protective Edge gegen Gaza erteilte, wurde sie offiziell als Reaktion auf die Ermordung dreier Jugendlicher aus einer jüdischen Siedlung im besetzten Westjordanland begründet. Nur wenige Menschen hat dieses Argument überzeugt, denn die Täter hatten von der in Gaza regierenden Hamas keinen entsprechenden Auftrag erhalten, zumal sie der islamischen Widerstandsbewegung feindlich gegenüber standen. Deshalb haben die meisten Beobachter hinter der Entscheidung Netanjahus für einen erneuten Gazakrieg das Streben vermutet, die wenige Wochen zuvor vereinbarte Regierung der nationalen Einheit zwischen Fatah im Westjordanland und Hamas im Gazastreifen zu Fall zu bringen und die beiden wichtigsten politischen Organisationen der Palästinenser wieder gegeneinander aufzubringen. Sollte dies tatsächlich das Motiv Netanjahus gewesen sein, dann ist die Rechnung voll aufgegangen.

Seit Ende der jüngsten Kampfhandlungen, die vom 8. Juli bis zum 26. August dauerten und 2205 Palästinensern respektive 72 Israelis das Leben kosteten, liegen Hamas und Fatah politisch im Clinch. Der Wiederaufbau des Gazastreifens kommt nicht voran, weil die Fatah praktisch allein über die Verteilung der internationalen Hilfsgelder entscheiden will, um sich mit den Bewohnern in Gaza gutzustellen und in der Folge die Hamas als stärkste Kraft dort abzulösen. Unterstützung für den hamas-feindlichen Kurs erhält Fatah-Chef Mahmud Abbas, der immer noch in Ramallah als Palästinas De-Facto-Präsident residiert, obwohl seine reguläre Amtszeit vor Jahren abgelaufen ist, von Ägypten.

Seit die Militärs unter General Fatah Al Sisi 2013 Mohammed Mursi, den ersten demokratisch gewählten Präsidenten Ägyptens, gestürzt und Abertausende Mitglieder seiner Moslembruderschaft entweder getötet oder verhaftet haben, hat die wirtschaftliche Strangulierung des Gazastreifens drastisch zugenommen. Mit dem Beginn von Protective Edge ist der Grenzverkehr zwischen Ägypten und Gaza zum Erliegen gekommen. Die Ägypter halten seit Monaten den Grenzübergang bei Rafah geschlossen. In den vergangenen Monaten haben die ägyptischen Streitkräfte alle Häuser auf ihrer Seite der Grenze zum Gazastreifen in einer Breite von bis zu 500 Metern abreißen lassen und die meisten unterirdischen Tunnel zerstört. Mit der Maßnahme wollen sie angeblich die Überfälle und Anschläge militanter Islamisten auf der Sinai-Halbinsel unterbinden, unterstützen dabei aber um so mehr die israelische Blockade von Gaza. Die ägyptische Regierung bezichtigt die Hamas, die 1988 als palästinensische Ablegerin der Moslembruderschaft gegründet wurde, den Aufstand in Sinai zu unterstützen, und hat sie deshalb Ende Februar von einem Gericht in Kairo zu einer "terroristischen Organisation" erklären lassen. Durch die Entscheidung habe sich Ägypten als "direkter Agent" israelischer Interessen entlarvt, so Hamas-Sprecher Salah Bardaweel am 1. März gegenüber der israelischen Zeitung Ha'aretz.

Vom selben Vorwurf versuchen sich Abbas und die von der Fatah dominierte PLO-Regierung im Westjordanland mit allerlei Manövern zu befreien. Am 30. Dezember ist vor dem UN-Sicherheitsrat in New York ein Antrag der PLO auf Gründung eines palästinensischen Staates und Abzug der israelischen Streitkräfte aus dem Westjordanland innerhalb von zwei Jahren gescheitert. Es besteht der Verdacht, daß es sich hier um eine symbolische Aktion handelte, die gar nicht gelingen sollte. Anders ist die schlechte diplomatische Vorarbeit der palästinensischen UN-Delegation im Vorfeld der Abstimmung nicht zu erklären. Seit Anfang des Jahres verweigern die Israelis, die von ihnen eingetriebenen, eigentlich dem palästinensischen Staat zustehenden Steuereinnahmen im Wert von monatlich 127 Millionen Dollar auszuzahlen. Mit dem Überweisungsstopp will Tel Aviv die Regierung in Ramallah dafür bestrafen, am 2. Januar den Beitritt Palästinas zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag beantragt zu haben. Mit dem Schritt soll der Weg für Ermittlungen wegen israelischer Kriegsverbrechen freigemacht werden.

Das Ausbleiben der Steuereinnahmen hat im Westjordanland erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten ausgelöst. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) hat bei internationalen Banken eine Reihe von Überbrückungskrediten aufnehmen müssen, um ihren rund 150.000 Angestellten immerhin 60 Prozent ihrer Gehälter weiter auszahlen zu können. Als Protest gegen die selbstherrliche Maßnahme Tel Avivs hat das Zentralkomittee der PLO am 5. März dafür votiert, die Sicherheitszusammenarbeit mit den israelischen Behörden im Westjordanland und in Ostjerusalem zu beenden. Ein Datum für die Umsetzung des Votums, die einem Abbruch der Beziehungen zwischen Ramallah und Tel Aviv und einer Rückkehr zu den Verhältnissen vor Abschluß der Osloer-Verträge Anfang der neunziger Jahre gleichkäme, wurde nicht genannt. Somit ist der Eindruck entstanden, daß es sich hier um eine leere Drohung handelt, die einen letzten Rest von Widerstandsbereitschaft seitens der ohnehin hoffnungslos kompromittierten PLO vortäuschen sollte.

Für diese Interpretation spricht die Verhaftung von rund 80 Hamas-Mitgliedern im Westjordanland, darunter Mitarbeiter von Wohltätigkeitsorganisationen, Studenten und ehemalige Häftlinge, in der Nacht vom 8. auf den 9. März. Bezeichnenderweise wurden die Razzien von Mitgliedern der palästinensischen und israelischen Sicherheitskräfte gemeinsam durchgeführt. In einem Bericht der Times of Israel wurde Hamas-Vertreter Ismail Radwan dahingehend zitiert, die anhaltende Sicherheitszusammenarbeit zwischen PLO und Israel sei ein "Messer im Rücken des palästinensischen Volks" und ein Beweis dafür, daß die Fatah kein Interesse an einer Versöhnung mit der islamischen Widerstandsbewegung habe. Auf seiner Facebook-Seite ging Hamas-Sprecher Husam Badran mit der PA schwer ins Gericht. "Diese Festnahmen demonstrieren der [israelischen] Besatzung, daß die [palästinensischen] Sicherheitsbehörden das machen, was von ihnen erwartet wird. ... Wir weisen die Verantwortung für diese Kampagne gegen die Hamas und für die anhaltende Einschränkung der Freiheit [der Menschen] auf der Westbank PA-Präsident Abbas und Premierminister [Rami] Hamdallah zu."

Erst nach der für den 17. März anberaumten Knessetwahl wird man erfahren, wie es mit dem unerträglichen Trauerspiel "Nahost- Friedensprozeß" weitergeht. Mit einer Verbesserung der mißlichen Situation der Palästinenser ist jedenfalls nicht zu rechnen, unabhängig davon, ob aus dem Urnengang in Israel das konservative Lager um Netanjahu oder das gemäßigte um Präsidentensohn Isaac Herzog und Ex-Außenministerin Tzipi Livni als Sieger hervorgeht.

11. März 2015


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