Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1393: Riad will Jemens demokratischen Aufbruch vernichten (SB)


Riad will Jemens demokratischen Aufbruch vernichten

Das saudische Herrscherhaus zieht Al Kaida dem Volkswillen vor


Im Jemen setzt die Militärallianz aus Saudi-Arabien und anderer sunnitischer Monarchien am Persischen Golf trotz vorübergehender Unterbrechungen ihre am 26. März begonnenen Bomben- und Raketenangriffe auf die Huthi-Rebellen fort. Laut UN-Angaben ist die humanitäre Lage im ärmsten Land der arabischen Welt inzwischen absolut desolat. Aufgrund der umfangreichen Zerstörung der staatlichen Infrastruktur und der Hafenblockade durch die Kriegsschiffe Saudi-Arabiens, Ägyptens und der USA sind für die Jemeniten Wasser, Lebensmittel, Medikamente und Treibstoff extrem knapp geworden. Die Luftangriffe und die Kämpfe am Boden sollen bereits mehr als 1.000 Menschen das Leben gekostet und mehr als 4.000 schwer verletzt haben. In einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters vom 27. April erklärte Marie Clair Feghali, Sprecherin des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK), es gäbe "einfach keine Worte dafür, wie schlimm" die Zustände im Jemen inzwischen seien.

Zur Rechtfertigung des völkerrechtlich illegalen Überfalls auf den Jemen haben die Saudis die Huthis zu den Handlangern des Iran erklärt. Es gelte, dem Streben des Iran nach Hegemonie auf der Arabischen Halbinsel Einhalt zu gebieten, so die Parole aus Riad (sowie interessanterweise auch aus Tel Aviv). Die Position Saudi-Arabiens wird von den USA militärisch und diplomatisch gestützt. Während das Pentagon durch logistische und nachrichtentechnische Hilfe die Operation Entscheidender Sturm überhaupt möglich macht, hat US-Außenminister John Kerry mehrmals zu verstehen gegeben, daß die Luftangriffe so lange weitergehen würden, bis die Huthis die Forderung, ihre Waffen niederzulegen und sich aus den jemenitischen Städten, insbesondere aus Sanaa, Aden und Taiz, zurückzuziehen, erfüllt haben. Des weiteren beteiligt sich Washington nach Kräften durch Bezichtigungen, deren Faktengehalt bei Null liegt, an der Propagandakampagne, derzufolge der Iran allein für die Destabilisierung des Jemens verantwortlich sei.

Gegen die in den westlichen Medien weitverbreitete Betrachtungsweise, im Jemen finde wie im Irak und in Syrien ein sunnitisch-schiitischer Stellvertreterkrieg statt, sprechen die Angaben des ehemaligen UN-Sonderbeauftragten Jamal Benomar gegenüber dem Wall Street Journal, die in der Onlineausgabe der Zeitung am 26. April erschienen sind. Im Frühjahr 2011, im Zuge des Arabischen Frühlings, war der marokkanische Diplomat von den Vereinten Nationen in den Jemen entsandt worden, um zwischen den Anführern der demokratischen Reformbewegung und dem langjährigen Präsidenten Ali Abdullah Saleh zu vermitteln. 2012 ist Saleh zugunsten seines Stellvertreters Abd Rabbuh Mansur Hadi zurückgetreten, der wiederum lediglich kommissarisch als Staatsoberhaupt fungieren sollte, bis die Teilnehmer am sogenannten Nationalen Dialog eine neue Verfassung ausgearbeitet und sich auf einen Termin für neue Parlaments- und Präsidentenwahlen geeinigt hätten.

Dazu ist es jedoch nicht gekommen. Aus Frustration über den schleppenden Verlauf der Beratungen haben die Huthis, die 2011 die Demokratiebewegung mit anführten, im September vergangenen Jahres die Hauptstadt Sanaa besetzt. Im Januar haben sie Hadi, den sie verdächtigten, den nationalen Dialog zu verschleppen, zum Rücktritt gezwungen und unter Hausarrest gestellt. Im Februar gelang Hadi die Flucht nach Aden, wo er seinen Rücktritt widerrief und dort eine Gegenregierung aufzubauen versuchte. Als die Huthis und ihre Verbündeten, Saleh-treue Teile der jemenitischen Streitkräfte, im März auf Aden zu marschierten, hat Hadi sich nach Saudi-Arabien abgesetzt und Riad um militärischen Beistand gebeten, der prompt erfolgte. Am 16. April ist Benomar aufgrund der mangelnden Erfolgsaussichten als UN-Sondervermittler zurückgetreten. Am 27. April hat er dem UN-Sicherheitsrat in New York Bericht erstattet und die Gründe für das Scheitern seiner Mission erläutert. Die Sitzung fand hinter verschlossenen Türen statt, was den Bericht des Wall Street Journal mit dem Titel "Former U. N. Envoy Says Yemen Political Deal was Close Before Saudi Airstrikes Began" um so bedeutender macht.

Gegenüber WSJ-Reporter Joe Lauria schildert Benomar, wie die zwölf wichtigsten politischen Gruppierungen des Jemens, darunter auch die Huthis, im Februar kurz davor waren, eine neue, für alle Seiten zufriedenstellende Machtaufteilung zu beschließen, und wie durch die Militäroperaton Saudi-Arabiens die Beilegung der politischen Krise im Nachbarland regelrecht torpediert wurde. Im Rahmen des neuen Arrangements wäre Hadi nicht mehr alleiniger Präsident, sondern Mitglied einer mehrköpfigen Übergangsregierung geworden. Das wollte Riad, auf dessen Drängen Hadi drei Jahre zuvor Nachfolger Salehs geworden war, aber nicht hinnehmen. Ein weiterer Aspekt der neuen jemenitischen Verfassung sorgte in Saudi-Arabien, wo Frauen gesellschaftlich stark benachteiligt sind und nicht einmal Auto fahren dürfen, für Verärgerung. Im WSJ-Bericht heißt es, die Saudis hätten deshalb interveniert, um die Vereinbarung über die Aufteilung der Macht im Jemen zu verhindern, weil das neue System dort den Frauen 30 Prozent der Sitze im Parlament und 30 Prozent der Kabinettsposten in der Regierung garantiert hätte.

In einem Interview mit dem Real News Network hat WSJ-Korrespondent Lauria am 28. April eine Parallele zwischen dem Vorgehen Saudi-Arabiens im Jemen mit der militärischen Unterstützung Riads für die Niederschlagung der Demokratiebewegung in Bahrain im Frühjahr 2011 und seine finanzielle und diplomatische Rückendeckung für den gewaltsamen Putsch der Generäle gegen die gewählte Regierung Mohammed Mursis von der Moslembruderschaft 2013 in Ägypten gezogen. Nach Ansicht Laurias will die saudische Monarchie um König Salman keine Demokratie auf der Arabischen Halbinsel dulden, weil sie die eigene Herrschaft in Frage stellt und damit bedroht.

Um seine Interessen im Jemen durchzusetzen, greift Saudi-Arabien - inoffiziell versteht sich - auf die Hilfe derselben "terroristischen" Kräfte zurück, die als Al Kaida, Al-Nusra-Front Islamischer Staat (IS) et cetera seit einigen Jahren kräftig dabei sind, die säkularen Vielvölkerrepubliken Syrien und Irak zu zerlegen. Nach der Eroberung der Hafenstadt Mukalla, der Hauptstadt der ostjemenitischen Provinz Hadramaut, am 16. April samt Armeestützpunkt, Waffendepot, Ölverladeterminal und Flughafen haben sich die Al-Kaida-Kämpfer dort schnell in ein "Volkskomitee" umbenannt. Im Rahmen der Operation Entscheidender Sturm erhalten solche sunnitischen Anti-Huthi-Gruppierungen in anderen Teilen des Jemen bereits Waffen und Munition sowie militärische Beratung aus Saudi-Arabien.

28. April 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang