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NAHOST/1498: Die USA weiten ihre Drohnenangriffe in Libyen aus (SB)


Die USA weiten ihre Drohnenangriffe in Libyen aus

Enthauptungsschläge dürften den "Antiterrorkrieg" nur noch verschärfen


In Libyen herrscht nach wie vor das Chaos. Die Wirtschaft liegt darnieder, dafür steigen die Lebensmittelpreise und die Verbrechensrate. Wegen eines anhaltenden Streits mit der Libyschen Zentralbank verfügt die Ende letzten Jahres von den Vereinten Nationen aus der Taufe gehobene Regierung der nationalen Einheit (Government of National Agreement - GNA) über wenig Geld und hat dadurch große Probleme, sich in der Hauptstadt Tripolis durchzusetzen. Seit Ende Mai versuchen Milizionäre aus Misurata mit Hilfe westlicher Spezialstreitkräfte, die "Terroristen" vom Islamischen Staat (IS) aus dessen Hochburg Sirte zu vertreiben, kommen aber nur langsam voran und erleiden hohe Verluste. Ähnlich langwierig erweist sich die "Operation Würde", mit der seit 2014 im Osten des Landes die Libysche Nationalarmee (LNA) unter dem Vorsitz ihres "Feldmarschalls" Khalifah Hifter die Islamisten von der Ansar Al Scharia aus Benghazi zu verjagen versucht. Nun kommen Berichte, wonach die USA - ob CIA oder Pentagon ist nicht klar - ihre Drohnenangriffe in Libyen ausweiten. Ob dadurch das nordafrikanische Land stabiler wird? Da kann man seine Zweifel haben.

Hifters LNA operiert im Namen des aus den Parlamentswahlen 2014 hervorgegangenen House of Representatives (HoR), dessen Abgeordnete sich aus Angst vor Islamisten im selben Jahr von Tripolis in das östliche Tobruk abgesetzt hatten. Bis heute weigert sich das HoR, die GNA anzuerkennen, wodurch letzterer die notwendige Legitimität fehlt. Beim HoR hofft man, nach der Wahl des Republikaners Donald Trump zum neuen US-Präsidenten von Washington ebenso wie der CIA-Verbindungsmann Hifter als maßgebliche Instanzen anerkennt zu werden, mit denen sich eine Zusammenarbeit in Libyen wirklich lohnt. Bereits jetzt werden Hifter und die LNA von Streitkräften aus Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Frankreich unterstützt, die auf dem Luftwaffenstützpunkt Al Kadim, 100 Kilometer östlich von Benghazi, stationiert sind. Ausländische Militärberatung und Rüstungshilfe hat Hifters LNA in Benghazi genauso nötig wie die Misurater in Sirte. Bei einer vergeblichen, zweitägigen Offensive gegen zwei von der Ansar Al Scharia noch kontrollierte Viertel von Benghazi, Guwarscha und Ganfouda, wurden jüngst 20 LNA-Angehörige getötet und weitere 40 verletzt. Dies meldete die Nachrichtenagentur Reuters am 16. November.

Seit Juni führen die US-Luftwaffe und die CIA von einem Stützpunkt in Tunesien per Drohne Aufklärungsflüge über Libyen aus. Am 11. November kündigte die Washington Post unter Verweis auf eigene Quellen im US-Sicherheitsapparat eine systematische Ausweitung der bisher eher punktuellen amerikanischen Drohnenangriffe in Libyen an. Die Überschrift des Artikels lautete: "In Libya, United States lays plans to hunt down escaped Islamic State fighters." Demnach habe das Afrikakommando des Pentagons (AFRICOM) in den letzten Wochen und Monaten die Fluchtwege "Hunderter" IS-Freiwilliger aus Sirte verfolgt und bereite entsprechende Drohnenangriffe vor, damit sich die Kalifatsanhänger nicht neuformieren und in einer anderen Stadt etablieren können. Aus Angst, zivile Opfer zu verursachen, die Bevölkerung in die Arme der Islamisten zu treiben und Libyen noch weiter zu destabilisieren, würden die Angriffspläne genauestens abgewogen und vorbereitet, hieß es in der Washington Post.

Am 15. November hat die libysche Nachrichtenagentur LANA den Auftakt der Umsetzung besagter Drohnenangriffspläne von AFRICOM gemeldet. Demnach sind in den späten Abendstunden des 14. November in drei Häuser nahe der Kleinstadt Sabha im entlegenen Süden Libyens Raketen einschlagen. Zwei der Häuser wurden völlig zerstört, das dritte wurde schwer beschädigt. Aus den Trümmer wurden sieben verkohlte Leichen geborgen, so LANA. Es wird vermutet, daß einer der Toten Abu Talha Al Hasnawi, ein führender Islamist Nordafrikas, war, dem vor einiger Zeit der Ausbruch aus dem Belagerungsring um Sirte gelang. Bewohner von Sabha, mit denen LANA gesprochen hat, wußten von der Anwesenheit Al Hasnawis in einem der angegriffenen Häuser. In den frühen Morgenstunden des 15. November haben bewaffnete Männer das Leichenschauhaus des örtlichen Krankenhauses gestürmt, mittels vorgehaltener Waffen die Aushändigung der Leichen erzwungen und diese gleich mitgenommen, um eine für das US-Militär nützliche, eindeutige Identifizierung der getöteten Personen zu verhindern.

Al Hasnawi galt als enger Vertrauter des aus Algerien stammenden, ehemaligen afghanischen Mudschaheddin Mokhtar Belmokhtar, der seit 1993 im Namen von Al Kaida im Maghreb die ganze Sahelzone unsicher macht. 2005 wurde der Name Belmokhtar auf die offizielle Terrorliste des US-Außenministeriums gesetzt. Belmokhtar wurde 2013 durch die Geiselnahme von 800 Mitarbeitern der Gasraffinerie Amenas in Algerien weltweit bekannt. Bei der Aktion kamen vierzig Zivilisten, darunter sechs Briten und drei Amerikaner, ums Leben. Bei einem Drohnenangriff der USA im Juni 2015 auf ein Haus in der ostlibyschen Stadt Adschdabiya soll Belmokthar getötet worden sein. Doch eine Bestätigung für seinen damals von den libyschen Behörden gemeldeten Tod steht noch aus. In dem Bericht der LANA über den jüngsten Drohnenangriff bei Sabha hieß es, Bewohner der Ortschaft hätten in den zurückliegenden Tagen Hasnawi in Begleitung des einäugigen Belmokhtar gesehen. Auch wenn beide "Topterroristen" erfolgreich beseitigt worden sind, heißt das noch lange nicht, Libyen käme bald zur Ruhe. Leider ist das Gegenteil zu befürchten. Wie der Kriegskorrespondent Nick Turse am 3. August in einem Artikel für TomDispatch.com hervorgehoben hat, ist auf dem schwarzen Kontinent die Zahl der "Terroranschläge" seit der Gründung von AFRICOM von 400 im Jahr 2007 auf fast 2000 in 2015 gestiegen und im selben Zeitraum die Anzahl der "terroristischen" Gruppen von einer auf 43 regelrecht in die Höhe geschossen.

19. November 2016


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