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NAHOST/1538: Cholera-Epidemie im Jemen außer Kontrolle (SB)


Cholera-Epidemie im Jemen außer Kontrolle

Der Saleh-Klan soll Saudi-Arabien den Kriegsausstieg ermöglichen


Für die USA und Großbritannien wird ihre Beteiligung am Jemenkrieg zunehmend zu einem politischen Problem. Mit amerikanischen und britischen Waffen und hauptsächlich aus der Luft hat eine von Saudi-Arabien angeführte Koalition sunnitischer Staaten schwere Schäden an der zivilen Infrastruktur des Landes angerichtet. Es wurden seit März 2015 nicht nur Stellungen der schiitischen Huthi-Rebellen, sondern auch zahlreiche Schulen, Krankenhäuser, Brücken, Lagerhallen und Wasseraufbereitungsanlagen bombardiert und zerstört. Mehr als zehntausend Menschen sind gewaltsam ums Leben gekommen und mehr als 40.000 verletzt worden - die meisten von ihnen Zivilisten.

Seit einiger Zeit steht der Vorwurf im Raum, die Saudis und ihre Verbündeten, allen voran die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), begingen im Jemen Völkermord. Wegen der völkerrechtlichen Konsequenzen für die eigenen Staatsbeamten und Militärs - beispielsweise sind in Saudi-Arabien stationierte US-Militärangehörige an der Zielauswahl sowie der Luftbetankung der eingesetzten Kampfjets beteiligt - bemühen sich London und Washington um Distanz zu den grausamen Vorgängen im Armenhaus Arabiens. Hinter den Kulissen drängen die Regierungen Donald Trumps und Theresa Mays die Machthaber in Riad und Abu Dhabi, das Gemetzel im Jemen so schnell wie möglich zu beenden.

Mit der im März ausgebrochenen Cholera, die durch den absoluten Mangel an sauberem Trinkwasser begünstigt wird, haben sich inzwischen über 313.000 Menschen infiziert. Die Zahl der Todesfälle liegt bei mehr als 1700. Diese Zahlen gaben am 12. Juli die Vereinten Nationen und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bekannt. Gleichzeitig hat die WHO ihren Plan, mehr als eine Million Jemeniten gegen Cholera zu impfen, aufgegeben, weil er aufgrund der anhaltenden Kämpfe und der zerstörten Transportwege logistisch nicht durchführbar ist. Daher liegen in Dschibuti in Lagerhallen mehr als eine Million Dosen Impfstoff gegen Cholera, die im Jemen nicht eingesetzt werden können. Während sich die Epidemie rasch ausbreitet, droht mehr als 10 Millionen Menschen der Hungertod. "Der Cholera ist die heutige Krise; die Hungersnot ist die Krise von morgen", erklärte ein sichtlich niedergeschlagener Jamie McGoldrick, Koordinator der humanitären Hilfe der Vereinten Nationen im Jemen, bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit der WHO am UN-Palast in Genf.

Obwohl nach wie vor erbittert gekämpft wird, herrscht auf dem Schlachtfeld eine Pattsituation. Saudi-Arabien, die VAE und die Kräfte um den 2014 von den Huthis gestürzten Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi kontrollieren den Süden und Osten einschließlich der strategisch wichtigen Hafenmetropole Aden, während die Huthis, die mit jenen Teilen der staatlichen Streitkräfte kooperieren, die zum früheren langjährigen Präsidenten Ali Abdullah Saleh und dessen Klan halten, weiterhin im Norden, Westen und in der Hauptstadt Sanaa das Sagen haben. Hadi, der sich aus Sicherheitsgründen in Riad aufhält, hat sich durch unablässige Kontroversen mit den Mitgliedern seiner Exilregierung sowie mit den Emiratern ins Abseits manövriert. Medienberichte zufolge soll er demnächst von den Koalitionären fallengelassen werden.

Im Juni berichteten die Onlinezeitungen von der Absicht der Saudis und der Emirater, Hadi durch den von ihm 2016 entlassenen Premierminister Khaled Bahah zu ersetzen. Doch inzwischen sehen die Pläne Riads und Abu Dhabis ganz anders aus. Am 13. Mai wartete MEE mit der spektakulären Meldung auf, Saudi-Arabien und die VAE führten Geheimverhandlungen mit dem Saleh-Klan, die zur Rückkehr Ali Abdullah Salehs als Staatsoberhaupt führen könnten. Demnach hat sich Ende Juni Generalmajor Ahmed Al Assiri, der als rechte Hand des saudischen Thronfolgers und Verteidigungsministers, Kronprinz Mohammed Bin Salman, gilt, mit Ahmed Saleh in Abu Dhabi getroffen. Dort war der Lieblingsohn des Ex-Präsidenten des Jemens einige Jahre selbst früher der Botschafter seines Landes. Bei diesem Treffen soll über die Bildung einer neuen jemenitischen Regierung gesprochen worden sein, der entweder Saleh sen., Saleh jun. oder ein Vertrauensmann aus ihrem Klan vorstehen könnte.

Man weiß nicht, was man von alledem halten soll. Mit Sicherheit wäre den Saudis nichts lieber, als die Zweckallianz zwischen den Huthis und dem mächtigen Saleh-Klan, die einander in der Vergangenheit häufig bekriegt haben, zu sprengen. Ob die Saleh-Leute ihnen diesen Gefallen tun werden, muß sich jedoch zeigen. Durch den zweijährigen Krieg haben im Süden die Kräfte, die eine Aufteilung des Landes in Nord- und Südjemen befürworten, deutlich an Stärke gewonnen. Im Mai wurde zu diesem Zweck in Aden ein Südlicher Übergangsrat gebildet, dem zwei Mitglieder des Hadi-Kabinetts und die Gouverneure von fünf südlichen Provinzen angehören. Saleh, der 1978 Präsident des Nordjemens wurde und unter dessen Führung 1990 die Vereinigung mit Südjemen stattfand, ist inzwischen 75 Jahre alt. Ihm fehlt vermutlich die Kraft, um das kriegsgeschüttelte Land zu versöhnen.

2012 war der Autokrat Saleh durch eine landesweite Demokratiebewegung, welche auch die Huthis unterstützten, zum Rücktritt gezwungen worden. Hadi hat - es wird vermutet mit Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Feudalmonarchie in Saudi-Arabien - als Interimspräsident die konstitutionelle Reform des jemenitischen Staats verschleppt. Wegen seiner Funktion als Reformbremse wurde er vor drei Jahren gestürzt. Niemand kann sagen, wie stark heute jene Demokratiebewegung noch ist. Durch den zweijährigen Bürgerkrieg haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse sehr stark polarisiert. Die Huthis, die sunnitischen Anhänger von Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel (Al Qaeda in the Arabian Peninsula - AQAP) und die südlichen Separatisten stehen einander feindlich gegenüber. Es kann sein, daß die Einheit des Jemens nicht mehr zu retten ist, auch nicht vom mächtigen Saleh-Klan. Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed, der Hauptverantwortliche für das militärische und humanitäre Fiasko, wäre bestimmt damit gedient, würden ihm die Salehs einen Ausweg aus dem Jemenkrieg ohne Gesichtsverlust ermöglichen. Dafür müßten sie sich mit den Huthis, an deren Seite sie aktuell kämpfen und sterben, anlegen. Derzeit ist kein Grund ersichtlich, warum die Saleh-Leute Riad diesen großen Gefallen tun sollten, der für sie eventuell mehr Nachteile als Vorteile hätte.

15. Juli 2017


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