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NAHOST/1567: Das Bandenwesen läßt Libyen nicht zur Ruhe kommen (SB)


Das Bandenwesen läßt Libyen nicht zur Ruhe kommen

Unruheherd Libyen wird für die Nachbarländer zum Dauerproblem


In Libyen kommen die Bemühungen des neuen UN-Sondergesandten, des ehemaligen libanesischen Kulturministers Ghassan Salamé, um einen Ausweg aus der politischen Krise, die das Land seit dem gewaltsamen Sturz Muammar Gaddhafis 2011 fest im Griff hat, nicht voran. Bei den jüngsten Gesprächen in Tunis konnten sich die Vertreter der in Tripolis sitzenden Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA) um Premierminister Fayiz Al Sarradsch und des in Tobruk angesiedelten Repräsentantenhauses (House of Representatives - HoR) nicht auf die nächsten Schritte zur Umsetzung von Salamés "Roadmap", welche die Verabschiedung einer neuen Verfassung und Parlamentswahlen im kommenden Jahr vorsieht, einigen.

Hauptstreitpunkt war erneut die Kontrolle über die Streitkräfte einschließlich der Frage, wer den Posten des Verteidigungsministers besetzt bzw. wem gegenüber dieser künftig verantwortlich ist - dem Premierminister, Parlament oder Präsidenten. Beansprucht wird die Position des Verteidigungsministers bzw. des Oberbefehlshabers der Streitkräfte vom einstigen Gaddhafi-Gegner und CIA-Verbindungsmann Khalifah Hifter, der im Rang eines Feldmarschalls und im Auftrag des HoR seit 2014 den Feldzug der Libyschen Nationalarmee (LNA) gegen islamistische Dschihadistengruppen leitet. Doch während sich die Politiker streiten, tritt der wirtschaftliche Wiederaufbau auf der Stelle.

Ende Oktober meldeten die Onlinezeitung Middle East Eye und die in London erscheinende Independent, die Menschen in der libyschen Hauptstadt hätten wegen fehlenden Wassers im öffentlichen Versorgungsnetz begonnen, die Bürgersteige aufzureißen und eigene Brunnen zu bohren. Als Grund für den Wassermangel in Tripolis wurde die Vernachlässigung der nötigen Wartungsarbeiten infolge der politischen Instabilität angeführt. Dort hat die GNA lediglich nominell das Sagen. Tatsächlich stehen die verschiedenen Stadtteile, Ministerien und staatlichen Einrichtungen unter der Kontrolle diverser Milizen, die sich als private Sicherheitsunternehmen betätigen und gleichzeitig ihre Reviere erbittert verteidigen.

Mitte Oktober mußte wegen eines Feuergefechts unter Milizionären der Betrieb am internationalen Flughafen Mitiga eingestellt und das Gebäude komplett geräumt werden. Auslöser der Kämpfe war eine Razzia der Special Deterrence Force (RADA) gegen Drogenschmuggler. Die ehemalige islamistische Miliz RADA operiert im Auftrag des Innenministeriums seit fünf Jahren als eine Art Sonderpolizei. Zu ihren Aufgaben gehören die Bewachung von Mitiga sowie die Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Was letztere Problematik betrifft, so haben die Kämpfe, die Ende September in Sabratha zwischen der Dabbaschi-Miliz und einer Gruppe namens Operations Room drei Wochen lang tobten, dazu geführt, daß von dort aus der Zustrom an Migranten nach Malta und Italien wieder in vollem Gange ist. Im Sommer hatte die Regierung in Rom mittels Bestechungsgeldern für einen Rückgang der Migrationswelle sorgen können, doch haben diese Zuwendungen in Millionenhöhe ihrerseits Begehrlichkeiten und Machtkämpfe ausgelöst. Es besteht auch der Verdacht, daß der Autobombenanschlag, der am 16. Oktober auf Malta die Enthüllungsjournalistin Daphne Caruana Galizia tötete, von sizilianischen Mafiosi verübt wurde, die das Geschäft mit Öl betreiben, das mit Hilfe des IS illegal aus Libyen geschmuggelt wird.

Vor einem Jahr hat die mächtige Misurata-Miliz nach monatelangen Kämpfen und schweren Verlusten endlich die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) aus ihrer libyschen Hochburg Sirte vertreiben können. Vor wenigen Monaten hat Hifters LNA ihre mühselige Offensive gegen die Ansar Al Scharia in Benghazi erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin haben sich die gewaltbereiten Salafisten ins entlegene Landesinnere zurückgezogen, von wo aus sie, offenbar unterstützt von zurückkehrenden Kameraden aus Syrien und dem Irak, ihren Dschihad fortsetzen. Die Gotteskrieger in Libyen sorgen nicht nur dort für Instabilität, sondern exportieren sie in die Nachbarländer Tunesien, Algerien und Ägypten. Die Potenz des von Libyen ausgehenden Dschihads wurde eindrucksvoll demonstriert, als am 20. Oktober ein Militärkonvoi in der westägyptischen Provinz Gizeh in einen sorgfältig geplanten Hinterhalt geriet und 59 Mitglieder der Sicherheitskräfte, darunter zehn Oberleutnants der Armee und zwei Brigadegeneräle der Polizei, im Kugel- und Granatenhagel starben. Zu dem spektakulären Anschlag, der die Militärdiktatur in Kairo um General Abdel Fata Al Sisi in schwere Erklärungsnot brachte, bekannte sich die bis dahin unbekannte Gruppe Ansar Al Islam, die scheinbar aus der Wüstengegend Ostlibyens heraus operiert.

11. November 2017


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