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NAHOST/1569: Humanitäre Krise im Jemen laut UNO "unvorstellbar" (SB)


Humanitäre Krise im Jemen laut UNO "unvorstellbar"

Für das Massensterben im Jemen ist der Westen mitverantwortlich


Nach dem Beschuß Riads mit einer Burkan-2-Rakete am 5. November haben Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) ihre Strangulierung des Jemens, insbesondere der Nordwesthälfte des Landes, wo die Huthi-Rebellen und die Anhänger von Ex-Präsident Ali Abdullah Saleh das Sagen haben, verschärft und die Einfuhr von Lebensmitteln und Medikamenten praktisch zum Erliegen gebracht. Nach zweieinhalb Jahren Krieg, den Riad und Abu Dhabi mutwillig angezettelt haben, um dem gestürzten, von ihnen jedoch favorisierten Präsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi wieder zur Macht zu verhelfen, sind 21 von 28 Millionen Jemeniten zum Überleben auf humanitäre Hilfe angewiesen. Sieben Millionen leiden unter einer schweren Hungersnot. 900.000 Menschen haben sich mit Cholera infiziert, 2200 sind bereits daran gestorben. Das sind Zahlen, die der Sprecher der UN-Hilfsorganisation Jamie McGoldrick bei einer Pressekonferenz am 14. November in Genf präsentierte. Sichtlich bewegt, bezeichnete McGoldrick das Ausmaß der humanitären Katastrophe im Jemen als "unvorstellbar".

Die wahren Dimensionen des Grauens im Jemenkrieg sind dem westlichen Nachrichtenkonsumenten bisher weitgehend verborgen geblieben. Vereinzelt werden Luftangriffe der Saudis und der Emirater sowie Bombenanschläge seitens Al Kaida auf der arabischen Halbinsel gemeldet, aber meistens nur dann, wenn die Zahl der Opfer im zweistelligen Bereich liegt. Doch die Zahl der Todesopfer wird seit Monaten durch alle Medien hindurch fast unverändert mit 10.000 angegeben. Man könnte meinen, im Jemen tobe der Krieg noch lange nicht so schlimm wie etwa in Syrien, wo Hunderttausende Menschen infolge der Kampfhandlungen das Leben verloren haben. Dieser Eindruck täuscht und zwar gewaltig.

Nach Angaben der britischen Hilfsorganisation Save The Children sind in den ersten neun Monaten dieses Jahres im Jemen 40.000 Kinder an Hunger, Mangelernährung und den damit einhergehenden Erkrankungen gestorben. Dies berichtete am 15. November die in London erscheinende konservative Zeitung Daily Telegraph. Bis Ende Oktober lag nach Schätzungen der Vereinten Nationen und der anderen im Jemen tätigen Hilfsorganisationen die Kindersterblichkeitsrate infolge der desaströsen medizinischen und sonstigen Versorgungslage bei 130 am Tag. Nach der Verschärfung der Blockade durch Saudi-Arabien und die VAE dürfte das Kindersterben zunehmen. Man geht von mindestens 50.000 toten Kindern in diesem Jahr aus.

In Washingtoner Kongreß regt sich schon länger Widerstand gegen die militärische Unterstützung der USA und deren NATO-Verbündeten Deutschland, Frankreich und Großbritannien, ohne die Saudi-Arabien und die VAE den Krieg im Jemen nicht führen könnten. Am 14. November hat das Repräsentantenhaus eine Resolution mit 366 zu 30 Stimmen verabschiedet, die den Jemenkrieg verurteilt, eine Einstellung der Kämpfe fordert und alle beteiligten Parteien zu Verhandlungen aufruft. Im Vorfeld hatten die Spitzenvertreter der demokratischen und republikanischen Fraktion im Repräsentantenhaus die Resolution jedoch erheblich abgeschwächt, indem sie den aus Sicht der Urheber entscheidenden Passus, nämlich ein Verbot des Exports amerikanischer Bomben und Raketen sowie der militärischen Hilfe vor Ort durch US-Soldaten und Angestellte von Rüstungsfirmen, aus dem Gesetzesentwurf strichen.

Im Senat hat am selben Abend der Demokrat Chris Murphy, der zusammen mit seinem republikanischen Kollegen Rand Paul aus Kentucky seit Monaten vergeblich einen Rüstungsexportstopp für Saudi-Arabien durchzusetzen versucht, seine Enttäuschung über die Vorgänge im Unterhaus des Kongresses zum Anlaß genommen, eine bis dahin beispiellose Anklage gegen den Massenmord im Jemen abzuliefern. Dabei hat Murphy die Verantwortung der USA für die mannigfaltigen Kriegsverbrechen der Saudis und der Emirater im Jemen klar hervorgehoben. Es folgen die wichtigsten Passagen der Murphy-Rede in der Übersetzung des Schattenblicks:

Abertausende Menschen sterben gegenwärtig im Jemen. Die von Saudi-Arabien angeführte Koalition, die seit zwei Jahren ohne Unterbrechung den Jemen bombardiert, hat dort auch eine Blockade verhängt. Sie läßt keine humanitäre Hilfe - weder Treibstoff, noch Lebensmittel, noch Wasser - in das Land hinein. Wären die USA lediglich Beobachter, sähe die Sache anders aus. Sie sind jedoch beteiligt.

(...)

Das Grauen ist eine Folge unserer Entscheidung, eine Bombenkampagne zu ermöglichen, die Kinder ermordet, und die saudische Strategie im Jemens gutzuheißen, bei der Krankheit, Hungersnot und der Entzug humanitärer Hilfe als Taktik angewandt werden.

(...)

Die Vereinigten Staaten sind beim Krieg [im Jemen] von Anfang an ein stiller Partner gewesen, der Waffen zur Verfügung stellt, in die Zielauswahl involviert ist und Luftbetankung für die saudische Luftwaffe leistet. Die Obama-Administration hat die Saudis mit Waffen im Wert von mehr als 100 Milliarden Dollar beliefert. Fragmente aus Waffen amerikanischer Produktion sind am Schauplatz der schlimmsten Greueltaten des Krieges gefunden worden. Präsident Trump hat versprochen, diese Politik fortzusetzen, und sich bei seinem Besuch in Riad zum Export weiterer Waffen im Wert von mehr als 110 Milliarden Dollar schriftlich verpflichtet.

Es sind US-Tankflugzeuge, die am Himmel über dem Jemen kreisen, die saudische Kampfjets betanken, damit sie noch mehr Bomben und Raketen abwerfen können. Es sind amerikanische Bomben und Raketen, welche diese Kampfjets mit sich führen und gegen zivile Ziel und Infrastrukturobjekte im Jemen einsetzen. Die Vereinigten Staaten sind Teil dieser Koalition. Ohne uns könnte die Bombenkampagne, welche die Cholera-Epidemie verursacht hat, nicht stattfinden. Jene Bombenkampagne, die gezielt die Elektrizitätsinfrastruktur des Jemens ins Visier genommen hat, wäre ohne die Unterstützung der USA nicht möglich. Es sind die USA, welche die saudischen Kampfpiloten mit den entsprechenden Zielkoordinaten versorgen.

(...)

Wir haben die Verantwortung sicherzustellen, daß die Koalition, an der wir beteiligt sind, nicht Hungersnot als Kriegswaffe benutzt. Es wäre ein Schandfleck im Gewissen unserer Nation, sollten wir weiterhin dazu schweigen.

18. November 2017


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