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NAHOST/1602: Syrien - Karussell der Gegenseitigkeiten ... (SB)


Syrien - Karussell der Gegenseitigkeiten ...


Auf den Golanhöhen, die im Gouvernement Quneitra im Südwesten Syriens liegen und deren größter Teil seit 1967 von Israel besetzt gehalten wird, und im Gouvernment Deraa, das an Jordanien grenzt, läuft die Aufstandsbekämpfung seit Mitte Juni auf Hochtouren. Mit der militärischen Unterstützung Rußlands ist die Syrische Arabische Armee (SAA) gerade dabei, die Rebellen von der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) und der al-kaida-nahen Al-Nusra-Front aus ihren letzten Hochburgen dort zu vertreiben. Eine genaue Anzahl der Gefallenen sowie der zivilen Opfer der heftigen Kämpfe gibt es nicht, sie dürfte aber hoch liegen.

Die Großoffensive der SAA im Südwesten Syriens ist von erheblicher Bedeutung, was die Chancen einer Beilegung des militärischen Konflikts in dem geschundenen Land betrifft. Im Frühjahr 2011 haben sich in der Stadt Deraa jene regierungskritischen Proteste entzündet, die sich bald darauf in ganz Syrien ausbreiteten. Valide Hinweise deuten darauf hin, daß die ersten Schüsse in Deraa von bewaffneten Islamisten und/oder ausländischen Scharfschützen abgegeben wurden, um eine drastische Reaktion staatlicher syrischer Stellen zu provozieren - was dann ja auch geschah. Jahrelang wurde von einem grenznahen Stützpunkt in Jordanien aus die finanzielle und waffentechnologische Ausstattung der Rebellen koordiniert. An der verdeckten Operation waren amerikanische, britische, französische, jordanische und saudische Verbindungsoffiziere beteiligt.

Als sich die SAA-Offensive im Südwesten durch Truppenmassierungen abzeichnete, hatten die USA vor "schweren Folgen" gewarnt, sollte die Regierung in Damaskus gegen jenes "Deeskalationsabkommen" verstoßen, das Moskau, Amman und Washington im Juli 2017 auch in Absprache mit den Aufständischen für die Region Deraa/Quneitra ausgehandelt hatten. Doch auf die Ermahnungen der USA sind keine Taten gefolgt. Während syrische Panzer- und Artilleriedivisionen immer weiter Richtung jordanischer Grenze vorrücken und die russische Luftwaffe massive Bombardements auf Rebellenpositionen durchführt, bleibt das US-Militär vollkommen passiv. Aus Sicht der Rebellen ist es noch schlimmer gekommen. In einer Depesche aus Washington an die Führung der sogenannten Freien Syrischen Armee (FSA), die die Nachrichtenagentur Reuters einsehen konnte (24. Juni), hieß es wörtlich, diese sollte ihre künftigen "Entscheidungen nicht auf die Annahme oder die Erwartung einer militärischen Intervention" seitens der USA "gründen".

Für die abwartende Haltung der USA in bezug auf die Vorgänge in Syriens Südwesten sind zwei Dinge ausschlaggebend. Das erste Aspekt betrifft Donald Trumps Ablehnung einer amerikanischen Verwicklung in den Syrien-Krieg, die er nicht ganz zu Unrecht für das Ergebnis eines schweren strategischen Fehlers seitens seines Vorgängers als US-Präsident, Barack Obama, und dessen Außenministerin Hillary Clinton hält. Der zweite Aspekt ist, daß Israel vor kurzem offenbar grünes Licht für die Rückeroberung Deraas und Quneitras durch die SAA gegeben hat, nachdem Moskau die Sicherheitsbedenken Tel Avivs zerstreuen konnte. Nach direkten Gesprächen zwischen Wladimir Putin und Benjamin Netanjahu wurde eine Pufferzone fest vereinbart, derzufolge iranische Militärs und die schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz der Grenze Israels respektive Jordaniens nicht näher als 40 Kilometer kommen dürfen.

Was die bevorstehende Befriedung Quneitras und Deraas für die weitere Entwicklung in Syrien bedeutet, ist unklar. Ein Abklingen des Säbelrasselns zwischen dem Iran auf der einen Seite, Israel und den USA auf der anderen wäre zuviel erwartet. Der Streit um den vor einigen Monaten erfolgten Austritt der USA aus dem 2015 mit dem Iran abgeschlossenen Atomabkommen hat zu wachsenden Spannungen zwischen Washington und Teheran geführt. Auch die anderen Unterzeichnerstaaten des Nuklearvertrags - China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Rußland - fühlen sich durch die eigenmächtige Entscheidung Trumps düpiert. Die erneute Drohung aus Washington, Geschäfte mit dem "Schurkenstaat" Iran zu sanktionieren, empfinden die Politiker in Berlin, London, Moskau, Paris und Peking als Teil jenes Handelskriegs, mit dem seit einigen Monaten die USA vergeblich ihre Position als alleinige Supermacht zu behaupten suchen und dabei ein globales Inferno riskieren.

Während die USA die Rebellen im syrischen Südwesten fallenlassen, sind sie scheinbar immer noch gewillt, ihre Position im Norden und Osten zu verteidigen. Dabei bekommen sie es dort jedoch zunehmend mit dem Widerstand lokaler Kräfte zu tun. Die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), bisher die wichtigsten Verbündeten der US-Streitkräfte in Syrien, sind dermaßen über die Entscheidung Washingtons, der türkischen Armee die Stadt Manbidsch im Norden des Gouvernements Aleppo zu überlassen, erbost, daß sie den "Dialog" mit der Regierung in Damaskus suchen. Käme es zu einer Aussöhnung zwischen Präsident Baschar al Assad und den SDF, die immerhin rund 30 Prozent des syrischen Territoriums kontrollieren, wäre das für die Amerikaner ein schwerer Schlag. Schließlich befinden sich die meisten der rund zwei Dutzend US-Militärstützpunkte in Syrien in den drei von den SDF weitgehend kontrollierten Gouvernements Rakka, Al-Hasaka und Deir ez-Zor.

Für die US-Militärangehörigen auf dem Stützpunkt bei Al Tanf könnte es bald eng werden. Jene Basis ist für das Pentagon enorm wichtig, denn von ihr aus läßt sich das Länderdreieck Jordanien-Syrien-Irak sowie die wichtigste Straßenverbindung zwischen Bagdad und Damaskus kontrollieren. Aktuell rücken SAA-Einheiten dem Stützpunkt immer näher und sind sogar in die umliegende, von den US-Streitkräften verhängte Sperrzone eingedrungen. Hinzu kommt, daß sich die US-Streitkräfte durch einen Luftangriff auf syrische und irakische Milizen, gerade als diese gegen IS-Kämpfer in der Grenzregion vorgingen, neue mächtige Feinde gemacht haben. Bei dem Luftangriff letzte Woche kamen 22 Mitglieder der irakischen Hisb Allah um, die zu den Volkmobilisierungskräften gehören, die 2014 zur Zurückschlagung des IS-Vormarsches Richtung Bagdad gegründet worden waren und sich seitdem um die Beseitigung des Kalifats von Abu Bakr Al Baghdadi verdient gemacht haben. Den Amerikanern hat am 24. Juni Jamal Jafar Ibrahimi, ein Kommandeur der Popular Mobilisation Forces (PMF), der dem Iran angeblich nahesteht und dessen Männer durch den Raketenangriff getötet wurden, Rache geschworen. Für die USA dürfte es zunehmend schwierig werden, ihre illegalen Basen nahe der Grenze Syriens zum Irak zu halten.

25. Juni 2018


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