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NAHOST/1623: Syrien - Konflikt der Großmächte ... (SB)


Syrien - Konflikt der Großmächte ...


Auf den Abschuß einer russischen Aufklärungsmaschine Iljuschin-20M und den Tod aller 15 Insassen während eines israelischen Luftangriffs auf Ziele in der syrischen Mittelmeerprovinz Latakia am Abend des 17. September hat der Kreml zunächst verhalten reagiert. Präsident Wladimir Putin nahm das telefonisch übermittelte Beileid des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu entgegen und ordnete eine Untersuchung der Unglücksursachen an. Diese hat inzwischen die ursprünglichen Vorwürfe des Verteidigungsministeriums in Moskau bestätigt, Israel habe das russische Militär in Syrien viel zu spät bzw. nicht richtig über Zeitpunkt und Ort des geplanten Angriffs informiert und seine F-16s hätten sich hinter dem Radarschatten der im Landeanflug befindlichen Iljuschin-20M-Propellermaschine versteckt, wodurch diese von einer syrischen S-200-Boden-Luft-Rakete getroffen wurde. Als Konsequenz hat Moskau eine Verlegung mehrerer Batterien seines S-300-Luftabwehrsystems angeordnet. Über den Schritt sind Washington und Tel Aviv nun verärgert.

Auf Drängen Israels hatte Rußland seit 2013 den geplanten Verkauf des S-300-Systems an die Syrische Arabische Armee (SAA), die sich bekanntlich seit 2011 mit einem vom den USA, Saudi-Arabien, der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar, Großbritannien, Frankreich und Jordanien finanzierten und bewaffneten Aufstand sunnitischer Dschihadisten herumschlägt, verschleppt. Dadurch konnte die israelischen Luftwaffe quasi nach Belieben Angriffe gegen Ziele in Syrien fliegen. Israelischen Angaben zufolge sollen es allein in den letzten 18 Monaten mehr als 200 solcher Operationen gewesen sein, die sich ausschließlich gegen Einheiten der iranischen Revolutionsgarde bzw. der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz richteten, die an der Seite der SAA gegen die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS), die Al-Kaida-nahe Al-Nusra-Front und unzählige andere Freischärlergruppen kämpfen. Für Israel stellt die militärische Zusammenarbeit des "Mullah-Regimes" in Teheran mit der Hisb Allah bzw. der Transfer hochmoderner Waffen vom Iran in den Libanon eine "existentielle" und damit nicht akzeptable Bedrohung dar.

Nach dem gräßlichen Tod der Besatzung der Iljuschin-20M ist für Israels Fliegerasse die Ära der "Open Skies" über Syrien endgültig vorbei. Wie der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu am 24. September bekanntgab, werden innerhalb der nächsten vierzehn Tage acht S-300-Batterien nach Syrien verlegt. Diese werden in das bisherige Flugabwehrsystem der SAA integriert und dieses wiederum mit den noch überlegeneren S-400-Batterien, welche die russischen Militärstützpunkte in Latakia schützen, gekoppelt, damit künftig die Freund-Feind-Kennung von Flugzeugen und Raketen fehlerfrei funktioniert. Schoigu erklärte, die Maßnahme sei gegen keinen Drittstaat gerichtet und diene ausschließlich dem Schutz der russischen und syrischen Streitkräfte.

In Israel und den USA beurteilt man die neue Entwicklung etwas anders, denn in einem solchen Umfang deckt das zu liefernde S-300-Luftabwehrsystem in Verbindung mit den russischen S-400- und syrischen S-200-Komponenten, die bereits vorhanden sind, praktisch den gesamten Luftraum Syriens ab. Moskau und Damaskus könnten, wenn sie wollten, über ganz Syrien eine Flugverbotszone für alle Maschinen außer den eigenen, verhängen. Netanjahu hat bereits angekündigt, weiterhin gegen verdächtige Aktivitäten der Iraner und der Hisb Allah vorzugehen. Doch ob er es tatsächlich riskieren will, seine Kampfpiloten wieder in den syrischen Luftraum zu schicken, nachdem Rußlands Verteidigungsministerium Israels "grobe Fahrlässigkeit" als Ursache für den Abschuß der Iljuschin-2M-Maschine ausgemacht hat, muß sich zeigen. Man kann auf jedem Fall davon ausgehen, daß die Hotline-Verbindung, mit der die russischen und israelischen Militärs bis zum 17. September 2018 Mißverständnisse und Zusammenstöße im syrischen Luftraum erfolgreich vermieden hatten, künftig nicht wie vor diesem Datum gehandhabt wird.

Während sich die Israelis aus naheliegenden Gründen mit Kritik an der russischen Maßnahme zurückhielten, fühlte man sich in der Regierung von US-Präsident Donald Trump zu keinerlei Zurückhaltung verpflichtet. Der Nationale Sicherheitsberater John Bolton, der sich unter George W. Bush als Staatssekretär im State Department und UN-Botschafter mit bombastischen Äußerungen einen Ruf als unverbesserlichen Kriegstreiber verschafft hat, warf Rußland vor, eine "bedeutende Eskalation" in Syrien vorzunehmen, ließ jedoch die Frage nach einer amerikanischen Gegenreaktion offen. Ganz der neokonservative Ideologe, der er ist, tat Bolton die Maßnahme Moskaus als unnötig und unverantwortlich ab, denn eigentlich sei "der Iran die für den Abschuß des russischen Flugzeugs verantwortliche Partei". Zu einer solch irrwitzigen Schlußfolgerung kann man nur kommen, wenn man wie Bolton und die anderen Mitglieder von Israels fünfter Kolonne in Washington seit Jahrzehnten den Iran zum "Hauptsponsor des internationalen Terrorismus" und zur Ursache allen Übels im Nahen Osten aufbauscht.

Die Errichtung eines russisch-geführten Luftabwehrsystems, das das ganze syrische Staatsgebiet abdeckt, dürfte unweigerlich zu Problemen mit den amerikanischen Streitkräften, die illegal im Osten Syriens stationiert sind, führen. In den letzten Tagen haben sowohl Bolton als auch US-Verteidigungsminister James Mattis die amerikanische Militärpräsenz in Syrien als unbefristet bezeichnet. Laut Bolton werden die US-Streitkräfte solange in Syrien bleiben, bis der Iran alle seine Soldaten und Militärberater von dort wieder abgezogen hat. Das Szenario von General a. D. Mattis war noch schwammiger. Dem Irakkriegsveteranen zufolge werden die US-Streitkräfte solange in Syrien bleiben, wie die Bekämpfung des IS erforderlich ist. Darüber hinaus gab Mattis die Ausbildung der kurdischen Verbündeten Washingtons als weiteren Grund an, warum niemand im Pentagon an einen baldigen Abzug der rund 2500 US-Soldaten aus den syrischen Provinzen, die im Norden an die Türkei und im Osten an den Irak grenzen und in denen der Ölreichtum des Landes liegt, denkt.

Seit Wochen gibt es Meldungen in der arabischen Presse darüber, wie das US-Militär seine Stützpunkte in Syrien auf dem Landweg mit neuem Kriegsgerät aus dem Irak ausbaut. Am 31. August berichtete der Middle East Monitor unter Verweis auf das russische Nachrichtenportal Svobodnaya Pressa, die Amerikaner hätten inzwischen eine eigene Radarstation im kurdischen Kobane zwecks Errichtung einer "Flugverbotszone" der USA im Osten Syriens in Betrieb genommen. Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, ob sich Rußland und die USA den syrischen Luftraum teilen können oder ob das Streben nach alleiniger Kontrolle zu einem Konflikt führt.

27. September 2018


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