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NAHOST/1649: Ägypten - Al Sisis Herrschaftsdefensive ... (SB)


Ägypten - Al Sisis Herrschaftsdefensive ...


In Ägypten verfestigt Präsident Abdel Fatah Al Sisi mit Duldung bzw. Zustimmung des Westens seine brutale Herrschaft. Im Parlament zu Kairo haben am 5. Februar die Claqueure des ehemaligen Generalstabschefs mit überwältigender Mehrheit einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der mittels weitreichender Veränderungen der Verfassung die Militärdiktatur im bevölkerungsreichsten arabischen Staat dauerhaft zementieren soll. Im Mai sollen die Verfassungsänderungen durch eine Volksbefragung abgesegnet werden. In Ägypten werden Opposition und Medien inzwischen dermaßen stark unterdrückt, daß man bereits jetzt mit einem für Al Sisi positiven Ausgang des Referendums rechnen muß. Schließlich stehen im Fall einer Mehrheit für Nein den ägyptischen Behörden alle Möglichkeiten, das Ergebnis im Sinne des neuen Pharaos am Nil doch noch in sein Gegenteil zu verkehren, sei es durch Falschzählung, Vernichtung von Stimmzetteln et cetera, zur Verfügung.

2014, ein Jahr nach dem gewaltsamen Putsch und der Verhaftung von Mohammed Al Mursi, dem ersten frei gewählten Präsidenten Ägyptens, und dem Verbot seiner Moslembruderschaft, ließ sich Al Sisi erstmals zum Staatsoberhaupt wählen. Die Wahl erfolgte auf Basis einer im selben Jahr vom Volk verabschiedeten Verfassung, welche die Präsidentschaft auf zwei Amtszeiten à vier Jahre beschränkt. Al Sisi war 2018 nach massiven Repressalien gegen die Kandidaten der Opposition, von denen mehrere aus fadenscheinigen Gründen bis heute hinter Gitter sitzen, wiedergewählt worden. Also müßte er 2022 eigentlich aus dem Amt scheiden, aber er denkt offenbar nicht einmal in Ansätzen daran. In Verbindung mit einer in der neuen Verfassung vorgesehen Verlängerung der präsidialen Amtszeit von vier auf sechs Jahre gibt es eine Sonderregelung, die Al Sisi nützt. Durch die geplante Annahme der neuen Verfassung würden dessen beide Amtszeiten nicht gezählt. Der Ex-Armeekommandeur könnte wieder bei null anfangen, sich 2022 erneut zum Präsidenten wählen und 2028 wiederwählen lassen. Er würde damit bis 2034 an der Spitze des ägyptischen Staats stehen und erst im hohen Alter von 80 Jahren seinen Hut nehmen.

Zudem stattet die neue Verfassung den ägyptischen Präsidenten mit weitreichenden neuen Befugnissen aus. Künftig ist dieser für die Ernennung und Entlassung der Richter sowie des Generalstaatsanwalts allein zuständig. Die nationale Pressebehörde wird durch ein neues Informationsministerium ersetzt, um die Kontrolle der Exekutive über die Medien noch weiter zu verstärken. Eine Änderung von Artikel 200 legt den Streitkräften ausdrücklich die Pflicht auf, "die Verfassung, die Demokratie und die grundlegende Zusammensetzung der Gesellschaft und ihre zivile Natur" zu schützen. Al Sisi und die Offizierskaste am Nil kontrollieren ohnehin mittels eines weitverzweigten Firmenimperiums einen Großteil der ägyptischen Wirtschaft. Ihr "Staat im Staat" wird mit besagter Verfassungsänderung quasi zu einer unantastbaren Größe.

Während es sich die Generäle auf ihren üppigen Ländereien gut gehen lassen, nagt die Mehrheit der rund 100 Millionen Ägypter in den Slums von Kairo und Alexandria sowie außerhalb der beiden großen Metropolen am Hungertuch - nicht zuletzt infolge weitreichender Subventionskürzungen bei Grundnahrungsmitteln und Energie, die das Al-Sisi-Regime mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) aushandelte, um von diesem einen Notkredit in Höhe von zwölf Milliarden Dollar zu erhalten. Der Tourismus, die größte Devisenquelle Ägyptens, hat sich seit den Umwälzungen der Jahre 2011 bis 2014 nicht mehr erholt. Nachrichten über schlechte hygienische Bedingungen in einigen Luxus-Hotels sowie über die Unterdrückungsorgie seit mehr als fünf Jahren mit Zehntausenden willkürlicher Verhaftungen und Hunderten von verhängten oder vollstreckten Todesurteilen schrecken ausländische Archäologie-Begeisterte und Hobby-Taucher gleichermaßen ab.

Hinzu kommt eine nicht abreißende Anschlagswelle, die nicht zuletzt von dem anhaltenden Krieg zwischen der ägyptischen Armee und islamistischen Aufständischen auf der Sinai-Halbinsel gespeist wird. Verläßliche Zahlen über Verluste in diesem Konflikt sind wegen der ägyptischen Militärzensur schwer zu erhalten. Auf seiten der staatlichen Streitkräfte kann es jedenfalls nicht zum besten stehen. In einem Bericht, der am 31. Januar bei Middle East Eye erschienen ist, sprachen einfache Soldaten anonym vom dem Geschehen im Sinai als "unser Vietnam". Um den Schein zu wahren, alles doch im Griff zu haben, empfing Al Sisi Ende Februar im Badeort Scharm Al Scheich an der Südspitze der Sinai-Halbinsel mehr als 20 Staatschefs, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel, die britische Premierministerin Theresa May und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, beim prunkvollen Gipfeltreffen von Afrikanischer Union (AU) und Europäischer Union (EU).

Demonstrativ lieferte sich Al Sisi bei der Abschlußpressekonferenz des kontinenteübergreifenden Treffens einen heftigen Schlagabtausch mit dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, der in Anspielung auf die Hinrichtung von neun "Terrorverdächtigen" wenige Tage zuvor die Einhaltung der Menschenrechte angemahnt hatte. Die Länder Afrikas und erst recht Ägyptens ließen sich nicht mehr irgendwelche Belehrungen seitens der alten Kolonialmächte gefallen, so Al Sisi. Die Zeit sei vorbei; die Staaten Afrikas hätten ihre eigenen Standards; die Europäer sollten sich besser an die eigene Nase fassen und einen humaneren Umgang mit den Bootsflüchtlingen im Mittelmeer pflegen. Ägyptens Präsident wähnt sich aktuell in einer starken Position. Die innenpolitische Opposition hat er mit polizeistaatlichen Mitteln mundtot gemacht. Israel braucht seine Hilfe, um das Palästinenser-Problem zu lösen. Ohne die Unterstützung Kairos bekommen die EU-Staaten die Flüchtlingsroute über Libyen nicht geschlossen. Kein Wunder, daß aktuell die EU mit Ägypten und den anderen Staaten Afrikas über eine Zusammenarbeit bei der Datenerfassung und der Überwachung der sozialen Medien verhandelt, während am 5. März britische und ägyptische Militärs im Norden des Sinais mit einem monatelangen Manöver auf dem Feld der "Terrorbekämpfung" begannen.

7. März 2019


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